Detailansicht
Im Schatten der Endzeit
zur Konstruktion des Apokalypse Diskurses im 4. bis 6. Jahrhundert
Veronika Wieser
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie Geschichte
Betreuer*in
Walter Pohl
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29847.51811.764964-9
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Abstract (Deutsch): Im Schatten der Endzeit: Zur Konstruktion des Apokalypse-Diskurses im 4. bis
6. Jahrhundert
Eschatologie, der Glaube an die „Letzten Dinge“, an den entscheidenden Kampf zwischen Gut und Böse, die Auferstehung der Toten, das Jüngste Gericht und an die Errichtung eines himmlischen Reichs für alle Gläubigen, ist ein zentraler Teil des christlichen Glaubensbekenntnisses. Im römischen Imperium, gegen Ende des 4. Jahrhunderts, setzten sich führende christliche Persönlichkeiten mit diesen Themen, dem Ablauf der Zeit und der Vorstellung eines göttlichen Gerichts intensiv auseinander. Dieser Diskurs, der hundert Jahre zuvor (vor der Bekehrung Kaiser Konstantins zum Christentum) noch an vereinzelten Überlegungen ausgemacht werden kann, verbreitete sich im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte zunehmend und erhielt eine andere Ausrichtung und Qualität. Es handelte sich dabei keineswegs um die Vorstellungen Einzelner oder die Beschwörungen apokalyptischer ProphetInnen, sondern um die Überlegungen und Anstrengungen religiöser und kirchlicher Autoritäten, endzeitliche Vorstellungen in einem breiten Rahmen zu denken und sie in ein kirchlich-theologisches Programm zu integrieren.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, ebendiese Auseinandersetzungen und die vielfältigen Diskussionen, die daraus hervorgingen, abzubilden und zu untersuchen. Abseits einer ideengeschichtlichen Darstellung von Apokalypse/Eschatologie wurde jenen kulturellen Parametern nachgegangen, die Rede und Bilder über das Ende mitbestimmten, die den Untergang Roms und das Ende der römisch-christlichen Welt zu einer Denkmöglichkeit machten. Es galt, nach der Bedeutung der Vorstellungen von Erlösung und Ende für die spätrömische Gesellschaft zu fragen und die Anwendung apokalyptischer Interpretationen im Kontext der militärischen Herausforderungen und politischen Umbrüche im ausgehenden 4. und beginnenden 5. Jahrhundert zu untersuchen. Dabei wurden besonders Diversität und Polyvalenz des Themenkomplexes berücksichtigt, da gerade für diesen Zeitraum bislang nur eindeutige Aussagen über den Untergang der römischen Welt im Vordergrund der Forschungsdebatte standen.
Das erste Kapitel Die Vermittlung der Zukunft im Alten und Neuen Testament beschäftigte sich mit dem Diskurs von Prophetie und Apokalypse in den Schriften des Alten und Neuen Testaments, und dabei besonders mit den Büchern Ezechiel und Daniel (AT) und der Offenbarung des Johannes (NT). Diese Texte wurden nachhaltig rezipiert, hatten über einen längeren Zeitraum im Judentum und im Frühchristentum Gültigkeit und bestimmten später maßgeblich den prophetisch-apokalyptischen Diskurs der Spätantike und des Frühmittelalters. Im ausgehenden 4. Jahrhundert lieferten diese Schriften und ihre Interpretation wirksame Modelle für die Darstellung von Wandel, Niedergang und Erneuerung politischer Herrschaft (Kap. 2: Fragmente einer Sprache der Endzeit: Die Formierung des römischen Apokalypse-Diskurses). Die Johannesoffenbarung, vor allem die Deutung einzelner Textstellen, stellte zunächst eine Herausforderung dar und war Gegenstand einer breiten Kontroverse, die nicht nur Theologen, sondern auch Laien betraf. Diese Diskussion umfasste grundlegende Fragen nach der Integration apokalyptischer Vorstellungen in den sich langsam entwickelnden christlichen Kanon, der Deutungshoheit über diese Texte sowie nach der Anpassung der antiken romfeindlichen Interpretationen an eine neu geordnete politische Landschaft.
In der damaligen komplexen politischen Situation schienen viele der prophetischen Ankündigungen anschaulich und real geworden zu sein. Die Apokalypse hatte zu Beginn der Völkerwanderungszeit scheinbar eine Gegenwart gefunden. Die barbarischen Völker, Goten und Hunnen, erfuhren als Boten des nahen Weltendes, als Gog und Magog, eine Neuinterpretation und Dynamisierung. Dabei verwendete man die Darstellungen von Barbaren aus antiker Ethnografie und Geografie und führte diese mit dem Text der Bibel, mit Ez 38/39 und Offb 20, zusammen (Kap. 3: Eine Gemeinschaft im Schatten der Endzeit – Die Historisierung der Apokalypse in der Spätantike). Die apokalyptische Perspektive war dabei allerdings nur eine Denkmöglichkeit unter anderen. Zwischen neuen christlichen Gesellschaftsvisionen, wie bei Augustinus und Orosius, oder der vielfachen Annäherung an eine Ankündigung eines nahen Weltendes, wie bei Hieronymus oder Sulpicius Severus, präsentierten die Zeitgenossen Strategien der Gegenwartsdeutung und -bewältigung, die zwischen römisch-antiken narrativen Traditionen und christlich-universalistischen Vorstellungen oszillierten. Die Bandbreite an Deutungsmöglichkeiten und die Diskussionen, die diese begleiteten, gingen auch aus der Vielfältigkeit zeitgenössischer christlicher
Glaubensvorstellungen und Positionen hervor. Was diese Autoren alle miteinander verband war, dass sie in einer Zeit der Krise versuchten neue Visionen von Gemeinschaft zu entwickeln.
Apokalyptische Interpretationen und Vorstellungen eines Endes waren aber nicht nur auf exegetische Schriften beschränkt. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, jene Quellengattungen zu berücksichtigen und stärker in den Vordergrund zu stellen, die bislang nicht vorangig auf eschatologische Inhalte hin untersucht wurden. Abseits exegetischer und historiografischer Arbeiten sind es in der Spätantike Predigten, der reichhaltige Briefwechsel und Gedichte, die die Komplexität von Vorstellungen einer Endzeit und deren gesellschaftliche Bedeutung auf mehreren Ebenen darstellbar machen. Das letzte Kapitel Omnia turbari misceri cernerentur: Zum Diskurs von Untergang und Erlösung in den Arbeiten von Sulpicus Severus und Paulinus von Nola zeigt, dass eschatologische Vorstellungen, die Ankündigung von Erlösung und Auferstehung, ein Teil jener Debatte waren, die die konvertierte römische Oberschicht über ihre eigene christliche Identität führte.
Abstract
(Englisch)
Abstract (English): In the Shadow of the End of Time: Constructing Apocalyptic Discourse
in the Christian Communities of the Late Roman Empire
This dissertation examines the formation and use of eschatological discourse in Late Antiquity and the Early Middle Ages. Eschatology, the cosmological belief that all things must come to an end, has an integral place in Christianity. As outlined in Chapter 1: Die Vermittlung der Zukunft im Alten und Neuen Testament, this belief comprises key salvific elements such as the Resurrection of the Dead followed by a Divine Judgment, or visions of an eternal afterlife, but also a variety of dreadful tribulations every human would have to face before salvation. In European history, the last two millennia have seen many different ways of proclaiming that the end is nigh and that the world is teetering on the brink of disaster or on the edge of a new epoch. These visions were the product of a cross-fertilisation of chronological models and the apocalyptic repertoires offered by the Bible. Periods of transition, concepts of decline or catastrophic events were often expressed and dealt with eschatological ideas on temporal mutability and transience of the world in general and of political communities in specific. The dissertation analyses the way such notions were formulated, because such formulations are often indicative of fundamental shifts in perceptions of time and history, or of political and religious orders.
At the turn of the fourth century, many leading Christian scholars were intensively debating themes of eschatology, such as the notion of the Divine Judgment and apocalyptic motifs that could find their equivalence in the rapidly changing political landscape of the Late Roman Empire. As shown in Chapter 2: Fragmente einer Sprache der Endzeit: Die Formierung des römischen Apokalypse-Diskurses, apocalyptic interpretations thus took on increasingly uniform characteristics. Nevertheless, they became more differentiated as well – a consequence of the cultural, intellectual and political changes of the fourth century, when Christianity ceased to be a minor, persecuted religious cult within the Empire. Superseding the pessimistic narratives or moral exhortations by individuals, the issue was to ponder the relevance of apocalyptic notions for Christendom in general, to reappraise various ideas about the End Times in a wider, moderate context, and integrate them into the Christian canon . These were the tasks that occupied the minds of many ecclesiastical authorities, such as Jerome or Augustine.
In Chapter 3: Eine Gemeinschaft im Schatten der Endzeit – Die Historisierung der Apokalypse in der Spätantike, it is shown how, especially at the turn of the fourth century, apocalyptic discourse gained a certain urgency and was dominated by repeated annunciations of an approaching end of the world, which would generally be presented as connected to the perceived end of the Roman Empire. Apocalyptic motifs (like the apocalyptic peoples Gog and Magog of Ez 38–39 and Rev 20) were seen to have real-world parallels in the rapidly changing political landscape of the Late Roman Empire. Eschatological thought was an implicit part of many considerations and texts and could be expressed in the form of a full-blown apocalyptic model or quite differently as fragments of an eschatologically inclined language. Moreover, another central element to eschatological deliberations has been thoroughly considered, which is often neglected in favour of a narrative of destruction and catastrophe. Apocalyptic imagery of late antiquity was not merely a theological reaction to political happenings, it was and remained also a debate about the very souls of the Christians living through (what was believed to be) the End of Time. This is the idea of salvation and transformation that forms the core of Chapter 4: Omnia turbari misceri cernerentur: Zum Diskurs von Untergang und Erlösung in den Arbeiten von Sulpicus Severus und Paulinus von Nola. This final chapter show how bishops, theologians or well-known ascetics dealt with these ideas as part of their Christian leadership and how they tried to integrate them both in their personal beliefs as well as in their understanding of Christian history.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Apokalypse Eschatologie Offenbarung Prophetie Spätantike Frühmittelalter Römisches Reich Völkerwanderungszeit
Autor*innen
Veronika Wieser
Haupttitel (Deutsch)
Im Schatten der Endzeit
Hauptuntertitel (Deutsch)
zur Konstruktion des Apokalypse Diskurses im 4. bis 6. Jahrhundert
Paralleltitel (Englisch)
In the shadow of the end of time ; constructing apocalyptic discourse in the Christian communities of the Late Roman Empire
Publikationsjahr
2015
Umfangsangabe
iv, 398 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Walter Pohl ,
Wolfgang Wischmeyer
AC Nummer
AC12698570
Utheses ID
34718
Studienkennzahl
UA | 092 | 312 | |