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Petitionen an das Regime
(rhetorische) Strategien in der Kommunikation mit der kommunistischen Bürokratie in der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik 1953-1989
Inga Paslaviciute
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie (Dissertationsgebiet: Geschichte)
Betreuer*innen
Karin Liebhart ,
Oliver Rathkolb
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.63008
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-16303.85113.193667-8
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Petitionen bildeten eine besondere Variante der öffentlichen Meinungsäußerung beziehungsweise privaten Kommunikation mit den Herrschaftsträgern in der Sowjetunion. Es handelte sich um Bittschriften, Beschwerden und sonstige Stellungnahmen der Bevölkerung an die verschiedenen Instanzen von Staat und Partei. Ziel des Schreibens war es, private Interessen durchzusetzen beziehungsweise auf gesellschaftliche Mängel aufmerksam zu machen. Auf diese Weise vermittelten die Briefe der Werktätigen dem Staat Stö-rungen in allen Bereichen öffentlichen (zum Beispiel Arbeit, Konsum) und privaten Lebens (zum Beispiel Wohnen). Der politisch-ideologisch aufgebaute Staat führte die Kommunikation mit dem Bürger, um einerseits in dessen Sorgen und Nöte Einblick zu haben (Signalisierungseffekt), andererseits um die Kontrolle in der „sozialistischen Demokratie“ zu behalten (Dampfkesseleffekt). Aus diesem Grunde förderte der Staat das Petitionswesen, beispielsweise, indem Beschwerdebüros eingerichtet oder Beschwerdekästen in staatlichen beziehungsweise öffentlichen Einrichtungen aufgestellt wurden. Unter diesen Bedingungen unternahmen die Bürger einzeln, kollektiv oder anonym Schreibversuche, um sich aus den Zwängen der Mangelwirtschaft zu befreien. Somit stellte das Petitionswesen ein Kommunikationspara-digma zwischen Staat und Gesellschaft dar. Es führte zu einer Praxis der Bitt- und Beschwerdekultur seitens der Bevölkerung und der Sozialdisziplinierung seitens des Staates. De facto trat der Zustand einer verkehrten Wirklichkeit ein: Im Sinne der Partei übernahm der Bürger eine aktive Gestaltungsrolle am Aufbau des sozialistischen Ideals, während die Verfasser von Briefen sich eigentlich nicht selten mit einem letzten Hilferuf aus dessen Zwängen zu befreien versuchten. Neben der Erforschung der alltagskulturellen und -historischen Diskurse in den Briefen der Werktätigen umfasst der Schwerpunkt der Dissertation folgende Bereiche: die Reflexion des Konsens/Dissens hinsichtlich der Politik der Sowjetunion, Beobachtung der Kritikäußerung, Feststellung der sprachlichen Dependenzverhältnisse der forcierten Öffentlichkeit in den Medien und der „Ersatzöffentlichkeit“ in den Briefen, Verifizierung des Einsatzes der Denunziation, Gewalt und Drohung sowie sprachliche Analyse der Quellen (Formation der rhetorischen Strukturen). Die Absicht der empirischen Analyse ist die Erschließung des bewussten beziehungsweise unbewussten Handelns in einer fragmentierten Öffentlichkeit unter herrschaftlichen Zu-sammenhängen sowie der inneren Werthaltung in Bezug auf die Sowjetisierung Litauens. Im historischen und sprachwissenschaftlichen Rahmen wurde untersucht, inwieweit in-nerhalb der Kommunikation mit der kommunistischen Elite ein nonkonformes, systemre-sistentes beziehungsweise systemangepasstes sprachliches Denken und Handeln vorhan-den war, konstant blieb oder sich veränderte. Die Untersuchung des Petitionswesens half dabei, die Grenzen der Loyalität aufzuspüren, und lieferte Antworten darauf, in wieweit ein absoluter Herrschaftsanspruch „die Stimme des Volkes“ in die (Non)Konformität drängte.
Abstract
(Englisch)
As a part of fragmented Soviet publicity, petitions were tolerated by the state and were established by the citizens as a way of exerting influence. The extent of this kind of com-munication, together with the subjects, strategies and demands of participation developed into a mutual interaction with the totalitarian political system. These were petitions, com-plaints and statements of the people addressed to various institutions of state and party. The politically and ideologically organized state power felt responsible to conduct com-munication with the citizens to have an insight into their concerns and needs (control function) and to keep the control in the "socialist democracy" (valve function). The inves-tigation of the petitions will help to track the boundaries of (il)loyalty with the state-power, due to the fact that the petitions deliver answers how far an absolute claim of con-trol pushed "the voice of the people" to the (non) conformity and was part of destabiliza-tion of the regime. The state felt responsible to support the petitioning system either through the establish-ment of complaints offices or putting up complaint boxes in state or public institutions. Under these conditions the citizens took individually, collectively or anonymous writing attempts to free themselves from the constraints of the shortage economy. The petitioning system can be considered as a communication field between the state and society. It led to the practice of supplication and complaint culture in the society on the one hand side and to the social discipline of the state on the other hand side. In fact it became a wrong reality: For the communist party citizens took an active, creative role in building the so-cialist ideal, while such trials to write about the needs were often the last cry for help for the authors themselves. The purpose of the narrative analysis is to track the content of communication and to rela-te it to everyday history and cultural development. Along the questions on the exploita-tion of (self) criticism, the metamorphosis of propaganda language, the use of denuncia-tion violence descriptions this study constructs strategies of communication with the communist authorities.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Letters complains petitions history of LSSR history of SU history of communism everyday history
Schlagwörter
(Deutsch)
Briefe der Werktätigen Petitionen Beschwerden Geschichte der LTSR Geschichte der SU Kommunismusgeschichte Alltagsgeschichte
Autor*innen
Inga Paslaviciute
Haupttitel (Deutsch)
Petitionen an das Regime
Hauptuntertitel (Deutsch)
(rhetorische) Strategien in der Kommunikation mit der kommunistischen Bürokratie in der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik 1953-1989
Paralleltitel (Englisch)
(Rhetorical) strategies in the communication with the communist bureaucracy in the Lithuanian Soviet Socialist Republic from 1953 to 1989
Publikationsjahr
2019
Umfangsangabe
257 Seiten : Illustrationen
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Thomas Bohn ,
Dorothée de Nève
Klassifikation
15 Geschichte > 15.73 Baltische Republiken
AC Nummer
AC15673737
Utheses ID
55795
Studienkennzahl
UA | 792 | 312 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1