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Wende in Jugoslawien
Erinnerung an den Sozialismus
Christine Penz
Art der Arbeit
Magisterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Marija Wakounig
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.12260
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30038.99542.528963-0
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Das Ziel dieser Arbeit war es, der Frage auf den Grund gehen, wie der Sozialismus, die Wende und der Postsozialismus im ehemaligen Jugoslawien erinnert wird. Zu diesem Zweck wurde die Methode der Oral History gewählt, dies schien der naheliegendste Weg zu sein, der Erinnerung und dem Gedächtnis auf die Spur zu kommen. Schwerpunkt war, Rück-schlüsse auf den sozialen Wandel, die Erinnerung an den Sozialismus und an die Wende im ehemaligen Jugoslawien auf der Basis von Erzählungen von Menschen aus ihrem Alltagsle-ben zu ziehen. Für die narrativen Interviews wurde ein Erzählimpuls gegeben, es wurde nicht mit gezielten Fragen gearbeitet. So war es möglich, darzustellen, welche Schwerpunkte die Befragten selber in ihre Erzählungen legen und welche Themenbereiche die Personen unauf-gefordert ansprechen. Die Oral History Interviews, durchgeführt mit Migrantinnen in Wien, wurden mit der qualitativen Sozialforschungsmethode gegenstandsbezogener Theoriebildung (Grounded Theory) interpretiert. So entstanden Kategorien, die auf eine Theorie schließen ließen. Als Darstellung der Rahmenbedingungen wurde das Thema der Migration innerhalb Jugoslawiens sowie die Emigration aus Jugoslawien nach Österreich behandelt. Zwischen 1971 und 1981 gab es große Wanderungswellen, mehr als 415.000 Menschen migrierten von einer Republik in eine andere. Die Wanderungen waren teilweise ethnisch-national, teilweise aber auch wirt-schaftlich bedingt. Viele zogen vom wirtschaftlich niedriger entwickelten Südosten in den besser gestellten Nordwesten des Landes. Die Arbeitsmigration nach Westeuropa begann in den Fünfzigerjahren, da in den jeweiligen Industriezentren Arbeitskräfte vonnöten waren. Zur Zeit der Balkankriege in den Neunzigerjahren ergaben sich erneut große Wanderungswellen, neben den Flüchtlingsströmen nach Westeuropa flohen auch viele in angrenzende Republiken. Vor dem Hauptteil wurde die Wende und die postsozialistische Periode im ehemaligen Jugoslawien beschrieben. Vorerst geschah dies in einem größeren Bezugsrahmen, der über die ehemaligen jugoslawischen Republiken hinausgeht. Die fünf Rubriken Revisionismus, Eska-pismus, aktiver Nihilismus, Lifestyle (‚Ostalgie’) und Gegenkultur wurden als Strategien der Vergangenheitsverarbeitung im ehemaligen Jugoslawien beschrieben. Hier fand auch das Thema Geschichtsschreibung in ehemaligen sozialistischen Natio-nen seinen Platz, der Einfluss auf das kollektive Gedächtnis und die Erinnerung hat. Die Ge-schichtsschreibung Jugoslawiens wurden an Anforderungen angepasst, die bedingten, eine einheitliche jugoslawische, den sozialistischen Prinzipien und dem Internationalismus ver-pflichteten Gesellschaft zu schaffen. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens 1991/92 wurde wieder ein Geschichtsrevisionismus betrieben, der in eine nationalistische Richtung verlief. Es wurde zurückgegriffen auf die mittelalterlichen Reiche der jeweiligen Nationen und die Zeit des Kommunismus als Unterbrechung in der nationalen Entwicklung des Landes darge-stellt. Die Orientierungslosigkeit der Bevölkerung in den Wirren der Wende ermöglichte eine Empfänglichkeit für Mythen und nationale Heldengeschichten. Die individuelle Erinnerung an Vergangenes wird allerdings zumindest ambivalent beurteilt. Im Hauptteil wurde die Interpretation der Interviews und die Analyse der Ergebnisse beschrieben. Die heraus gearbeiteten Kategorien stellten die Hauptanliegen der sich erinnern-den Personen dar: Nationalismus, soziale Segregation, Unsicherheit, Zukunftsangst, Wirt-schaftsabschwung, Korruption, Armut, Misstrauen in die Politik, Gemeinschaftlichkeit und soziale Netzwerke. In der Kategorie Wirtschafsabschwung, Zukunftsangst, Unsicherheit, Korruption, Ar-mut und Misstrauen in die Politik sind die Empfindungen und persönlichen Erfahrungen durchwegs negativ. Diese Wahrnehmungen können unabhängig vom Bildungsstand der Be-fragten angesehen werden. Diejenigen, die aufgrund ihrer Ausbildung auch nach der Wende eine Anstellung hatten, beschwerten sich zwar weniger eminent darüber, sprachen es aber an und beurteilten diese Entwicklung als ungerecht und schadenbringend. Die Kategorie soziale Segregation scheint besonders stark im täglichen Leben in Er-scheinung zu treten und wurde signifikant negativ beurteilt. Bei den Befragten hat sich nicht nur eine Segregation in Form von Nationalismus in der Wahrnehmung verankert, sondern vor allem eine Segmentierung der – und Ungleichverteilung in der – Gesellschaft, die ihr persön-liches Leben nachhaltig negativ veränderte. Die soziale Segregation betrifft die nahe Umge-bung der Menschen ebenso wie ihre Perzeption bezüglich der gesamten Sozialstruktur. Die Kategorie Gemeinschaftlichkeit und soziale Netzwerke stellt eine Art Herzstück dieser Arbeit dar, schon aus dem Grund, weil diese Wahrnehmungen über die Wende und den Postsozialismus in Jugoslawien in der Literatur kaum bis gar nicht beschrieben bzw. nur als marginale Nebenerscheinung dargestellt werden. In den Interviews hat sich jedoch gezeigt, dass aus soziologischer Perspektive neben der Kategorie der sozialen Segregation die Rubri-ken Gemeinschaftlichkeit und soziale Netzwerke, bzw. deren Veränderung mit der Wende, als signifikante Erinnerungen in Erscheinung treten. Hier konnte festgestellt werden, dass die InterviewpartnerInnen einen Rückgang des zwischenmenschlichen Zusammenhalts beschrei-ben und diesen als Nachteil empfinden. Nicht nur formelle Netzwerke wie Partei, Arbeitsplatz und andere staatlich organisierte Kollektive fielen mit der Wende weg, sondern auch infor-melle Verflechtungen in der Bevölkerung lösten sich auf. Dies war teils bedingt durch die soziale Segregation, unterschiedliche individuelle wirtschaftliche Entwicklung, aufkommen-den Nationalismus und die Umstellung auf eine Orientierung nach kapitalistischen, markt-wirtschaftlichen effizienz- sowie gewinnorientierten Prinzipien. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Veränderungen durch die Wende im ehemaligen Jugoslawien nicht nur die wirtschaftliche und politische Situation sowie das soziale Fortkommen der Bevölkerung betreffen, sondern auch in private Lebensbereiche hin-ein spielen, die vielfach von der Forschung unbeachtet blieben. Diese Prozesse und Wahr-nehmungen sollten nicht unterschätzt werden, da von den sozialen Bedürfnissen und Entbeh-rungen der Bevölkerung Aktivitäten ausgehen können, die sich im größeren Rahmen manifes-tieren.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Wende in Jugoslawien Erinnerung an den Sozialismus
Autor*innen
Christine Penz
Haupttitel (Deutsch)
Wende in Jugoslawien
Hauptuntertitel (Deutsch)
Erinnerung an den Sozialismus
Publikationsjahr
2010
Umfangsangabe
94 S. : graph. Darst., Kt.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Marija Wakounig ,
Margarete Maria Grandner
Klassifikation
15 Geschichte > 15.08 Sozialgeschichte
AC Nummer
AC08348317
Utheses ID
11053
Studienkennzahl
UA | 066 | 805 | |
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