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Der Diskurs der Macht
der politische Diskurs der Sowjetunion unter Nikita Chruščev (anhand der Analyse ausgewählter Reden)
Christina-Maria Lenhardt
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Anna Kretschmer
DOI
10.25365/thesis.12851
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29067.16962.318559-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Als Nikita Chruščev im Jahre 1956 seine berühmte Geheimrede gegen den stalinistischen Personenkult hielt, befand sich die Sowjetunion gerade in einer gewaltigen Umbruchphase. Der Tod des großen Diktators hatte schwere Machtkämpfe ausgelöst, die Wirtschaft lag nach Krieg und Misswirtschaft darnieder, überall brach die Erleichterung über das Ende des stalinistischen Regimes hervor. Doch auch von außen kamen neue Herausforderungen auf die Sowjetunion zu. Die alte Weltordnung der Vorkriegszeit war inzwischen obsolet geworden, die Sowjetunion benötigte einen generellen Kurswechsel.
In dieser heiklen Phase der sowjetischen Geschichte schaffte es nun ein Mann die Spitze der sowjetischen Macht zu erklimmen und die Zukunft des größten Staates der Erde nach seinen Vorstellungen zu formen. Dieser Mann war Nikita Chruščev, ein ehemaliger Viehhirt aus Kalinovka, welchem es mit viel politischem Geschick gelang seinen alleinigen Machtanspruch gegen alle Widerstände durchzusetzen.
Besondere Aufmerksamkeit sol hier Chruščev’s ganz persönlichem Sprachstil gewidmet werden, um somit die Charakteristik der totalitären Sprache in Verbindung mit Chruščev’s Stileigenheiten aufzuzeigen, da er als einer der wenigen sowjetischen Führer gilt, welchem die Entwicklung eines eigenen Stils gelang. Bei der Analyse des persönlichen Sprachstiles Nikita Chruščevs soll diese Untersuchung vor allem in Kontext der totalitären Sprache nach Daniel Weiss durchgeführt werden, d.h. es soll aufgezeigt werden auf welche Art und Weise Chruščev mit dem propagandistischem Repertoire der russischen Neusprache umging bzw. wie er diese Sprachform durch seinen persönlich Gebrauch derselben auch veränderte und variierte. Die russische Variante der totalitären Sprache, hier novojaz oder auch russische Neusprache, weist wie jede totalitäre Sprachform bestimmte Merkmale und Eigenheiten auf, welche zur Untersuchung der Rhetorik Chruščevs herangezogen werden sollen.
Das augenscheinlichste Merkmal des novojaz ist seine hochgradige Formelhaftigkeit, wodurch eine hochgradige Redundanz und Voraussagbarkeit entsteht. Die Hauptfunktion des novojaz besteht nun darin, das dualistische Weltbild des totalitären Systems sprachlich zu realisieren. Die Konfrontation dieser totalitaristischen, starren und voraussagbaren Sprachform mit der Person Nikita Chruščevs ergibt nun einige interessante Ergebnisse, denn dessen persönlicher Sprachstil wurde vor allem durch seine markante Persönlichkeit bestimmt. Wie kein anderer sowjetischer Führer ließ er seinen expressiven Charakter in sein öffentliches Image einfließen. Chruščev zeichnete sich vor allem durch seine sehr direkte, volksnahe, zuweilen auch etwas unberechenbare und grobe Art aus, welche ihm jedoch auch Kritik einbrachte. Häufige Kritikpunkte nach seiner Absetzung waren etwa sein mangelndes diplomatisches Feingefühl, wie auch sein Subjektivismus und seine Unberechenbarkeit. Dennoch verlieh Chruščev, welcher in seinem Auftreten dem Klischeebild des russischen mužiks nicht unähnlich war, dem politischem Diskurs der Sowjetunion einen neuen Anstrich, da er sich durch seine direkte und spontane Art sehr von seinen Vorgängern abhob. Vor allem der Unterschied zu Stalin erscheint hier sehr deutlich, da Chruščev im Gegensatz zu Ersterem auf innovative Art und Weise mit der Sprache umging, anstatt das redundante Material der russischen Neusprache einfach zu übernehmen. So entsteht der Chruščev’sche Stil einerseits aus seinem starken und expressiven Charakter heraus, andererseits aus der Fähigkeit die Sprache kreativ nützen zu können. Typische Elemente der Rhetorik Nikita Chruščevs stellen etwa seine Vorliebe für volkssprachliche Vergleiche, sowie auch der häufige Gebrauch von Sprichwörtern dar.
Ein weiterer Bestandteil hier ist auch ein gewisser Witz, welcher Chruščevs Aussagen oft innewohnte, der oft durch seine skurrilen Sprachbilder erzeugt wurde, seine Aussagen waren von einem offensichtlich vorhandenen Humor geprägt. Auch beim Gebrauch der politischen Metapher, welche einen essentiellen Teil des Repertoires des novojaz darstellt, war Chruščev nicht gerade zimperlich. Hier kamen alle möglichen Tiere und sämtliche Formen des Unrates in Verwendung. Der Sinnesmensch Chruščev liebte eben die starken Bilder und Vergleiche, welche das Potential hatten einen bleibenden Eindruck vor dem inneren Auge zu hinterlassen.
Im Westen hinterließ Chruščev einen eher groben und vulgären Eindruck, da er sich ganz besonders bei seinem Besuch der Vereinten Staaten verbal nicht sehr zurückhaltend zeigte. Seine wilde und spektakuläre Gestik spielte hier natürlich auch eine große Rolle, ganz besonders wenn Chruščev sich in Rage redete. Bestes Beispiel hierfür ist, der bis heute noch immer nicht ganz geklärte Zwischenfall in einer Rede vor der Generalversammlung in New York, wo Chruščev in seinem wilden Protest angeblich mit seinem ausgezogenen Schuh auf den Tisch klopfte. Eines der hervorstechendsten Merkmale des Sprachstiles von Nikita Chruščev, welches seinen Stil unter allen anderen sowjetischen Führern hervorhebt ist dessen starke volkssprachliche Komponente. Auf diesem Bereich zeigt sich Chruščev tatsächlich als Personifizierung des russischen Bauern, welcher eine Freude daran hatte abstrakte und teilweise politisch höchst brisante Fragen mit Hilfe russischer Sprichwörter zu beantworten. Ein weiteres charakteristisches Element des Chruščev’schen Stils ist die hochfrequente Verwendung von Metaphorik. Den propagandistischen Zwecken folgend bedient sich Chruščev besonders oft der Ausgrenzungsmetaphorik, um somit eine sprachliche Diffamierung des politischen Gegners zu erreichen. Natürlich bevorzugte Chruščev auch hier die besonders aussagekräftigen und expressiven Sprachbilder. All dies sind verschiedene Teilaspekte Chruščevs Rhetorik, welche in ihrer Zusammenfassung das Bild eines ungewöhnlich originellen Sprachstiles im Kontext des sowjetischen Polit-Diskurses ergeben. Dieser neue Sprachstil Chruščevs, der in einem nicht geringe Grade seinem Charakter zu verdanken war, war auch sehr wichtig für die Entstalinisierung des politischen Diskurses der Sowjetunion, welcher über Jahrzehnte hinweg von Stalins Hetztiraden und Persönlichkeitskult geprägt war. So leistete Chruščev auch auf dieser Ebene einen wichtigen Beitrag zur Entstalinisierung.
Im zweiten Teil der Arbeit soll nun anhand einer diskursanalytischen Untersuchung zweier Reden Chruščev’s mit Hilfe der Kritischen Diskursanalyse nach JÄGER, LINK, FAIRCLOUGH und WODAK ein tieferer Einblick in den politischen Diskurs der Sowjetunion in der Ära Chruščev gewonnen werden.
Die erste Rede, nämlich die Geheimrede Chruščevs vom XX. Parteitag des Jahres 1956, wurde deshalb zu dieser Analyse ausgewählt, da sie nicht nur ein Fragment des politischen Diskurses der Sowjetunion ausmacht, sondern zusätzlich ein essentielles diskursives Event darstellt. Chruščev löste mit dieser Rede eine neue politische Periode aus, nämlich jene, welche in die Geschichte der Sowjetunion als Tauwetterperiode einging. Die andere Rede wiederum soll dagegen einen Einblick in den außenpolitischen Diskurs der Sowjetunion verschaffen, da es hier zu interessanten Entwicklungen kam, im Gegensatz zu jenem der Innenpolitik, wo nach der Durchführung der Entstalinisierung eher eine Stagnation zu verzeichnen ist, welche erst unter Gorbačev ihr Ende finden sollte. Die im Ausland gehaltene Rede ist nun so ausgewählt, dass sie exemplarisch für den politischen Diskurs der Sowjetunion mit Amerika und Europa stehen, andererseits auch die Blockfreien und die Neutralen einschließen, wie etwa die Vereinten Nationen. Die Rede, welche Chruščev vor der Generalversammlung der UNO hielt hat nicht nur die Entkolonialisierung zum Thema, welches ein wichtiges Element des Kalten Krieges darstellt, sondern ist auch jene Rede bei welcher der erboste Chruščev mit seinem Schuh auf den Tisch klopfte.
Chruščev’s Rede am XX. Parteitag stellt in diesem Zusammenhang vor allem aus dem Grund ein monumentales diskursives Ereignis dar, da er in dieser Rede den Grundstein für den neuen außenpolitischen Diskurs der Sowjetunion legte. Wichtige Elemente sind hierbei vor allem die Vermeidbarkeit der Kriege, sowie ein friedliches Nebeneinander der konkurrierenden Systeme. Somit änderte sich auch der Diskurs mit dem Westen in Chruščevs Ära gewaltig. Der kapitalistische Westen war natürlich immer noch der Feind, den man irgendwann besiegen würde, jedoch war er nicht mehr der Todfeind wie zu Stalins Zeiten, welchen man mit allen Mitteln vernichten musste. Chruščev prägte hierbei den Begriff der friedlichen Koexistenz, welche nun nicht mehr auf die Vernichtung des Gegners abzielte, sondern auf einen gewaltfreien Wettbewerb, welchen das bessere der beiden Systeme schließlich irgendwann gewinnen würde. Bemerkenswerten Einfluss hatte die Entstalinisierung auch auf den außenpolitischen Diskurs mit den eigenen Verbündeten. Hier ist die Anerkennung des sogenannten Nationalkommunismus ein äußerst wichtiger Punkt. Dementsprechend musste sich die Sowjetunion schweren Herzens dazu durchringen ihre Vormachtstellung in der internationalen kommunistischen Bewegung aufzugeben und anderen Ländern, wie etwa China und Jugoslawien, die Möglichkeit eines eigenen Weges zum Kommunismus zugestehen. Davon waren die Länder des Warschauer Paktes jedoch ausgenommen, was schließlich in den Aufständen in Ungarn und Polen des Jahres 1956 gipfelte. Um ein Exempel zu statuieren griff Chruščev hart durch und ließ die Aufstände brutal niederschlagen.
Eine der größten Veränderungen unter Chruščev war auch die Aufgabe des dualistischen Weltbildes von Freund und Feind in der Außenpolitik. Dies geschah aber vor allem aus pragmatischen Gründen, da dieses Modell auf Grund der veränderten realen Verhältnisse nicht mehr zu halten war. Der neue außenpolitische Diskurs sollte nun auch die Berücksichtigung der blockfreien, sowie der der neutralen Staaten, sowie die überstaatlichen internationalen Organisationen, wie etwa die UNO, in sich einschließen.
Im Verlauf des Kalten Krieges wurde diese neue Politik der Entspannung jedoch oft auf eine harte Probe gestellt, da Chruščev, im Wissen darüber die unterlegene Supermacht zu sein, die Wahrung der friedlichen Koexistenz, und somit den Weltfrieden, als strategisches Druckmittel gebrauchte, um somit das Tempo und die Geschehnisse der internationalen Politik zu bestimmen und die Vormachtstellung der USA auf diese Weise zu untergraben. Dies äußerte sich vor allem in den gefährlichen Krisen des Kalten Krieges, allen voran der Kubakrise. Obwohl Chruščev bis zum Äußersten provozierte und die Säbel rasseln ließ, lenkte er jedoch stets im letzten Moment ein, um nicht einen dritten Weltkrieg heraufzubeschwören.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Chruščev political discourse novojaz Critical Discourse Analysis Soviet Union
Schlagwörter
(Deutsch)
Chruščev politischer Diskurs novojaz Kritische Diskursanalyse Sowjetunion
Autor*innen
Christina-Maria Lenhardt
Haupttitel (Deutsch)
Der Diskurs der Macht
Hauptuntertitel (Deutsch)
der politische Diskurs der Sowjetunion unter Nikita Chruščev (anhand der Analyse ausgewählter Reden)
Publikationsjahr
2010
Umfangsangabe
130
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Anna Kretschmer
AC Nummer
AC08407051
Utheses ID
11573
Studienkennzahl
UA | 243 | 361 | |