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Legitime Nähe
Ibn Taymīyas theoretisches Konstrukt von den "awliyāʾ Allāh"
Lorenz Matthias Nigst
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Stephan Procházka
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DOI
10.25365/thesis.13345
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30496.06474.441059-6
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Ibn Taymīya (gest. 1328 A. D.) hat eine Sichtweise von den awliyā’ „Heiligen“ (Sg. walī) propagiert, die die Heiligen systematisch als Schnittstelle seiner eigenen Überzeugungen definiert. Nachdem die awliyā’ qur’ānisch als die Gläubigen schlechthin charakterisiert werden, überrascht nicht, dass Ibn Taymīyas Überlegungen zu den awliyā’ einer grossen Reflexion zum Thema „Glauben“ entsprechen. (Auch) die von Ibn Taymīya hervorgebrachte Sichtweise von den Heiligen vermag daran zu erinnern, dass es problematisch ist, ʿulamā’ „Rechtsgelehrte“ (Sg. ʿālim) und awliyā’ „Heilige“ ohne nähere Präzisierung als Gegensätze zu begreifen. Ist es korrekt zu konstatieren, dass als awliyā’ bezeichnete religiöse Akteure und als ʿulamā’ bezeichnete religiöse Akteure (historisch) oftmals in einem Konkurrenzverhältnis zueinander standen, so impliziert dies nicht, dass ʿulamā’ die Existenz von Heiligen zurückwiesen. Vielmehr ist es sinnvoll, davon auszugehen, dass ʿulamā’ den Versuch unternommen haben werden, den qur’ānischen Begriff walī „Heiliger“ so zu definieren, dass die awliyā’ ihre eigenen Werte und die Gültigkeit ihres eigenen religiösen Kapitals – ihre Überzeugungen kurzum – verkörperten. Dies ist eine Erinnerung daran, dass walī keinesfalls als ein eindeutiger Begriff zu erachten ist, sondern dass vielmehr umstritten war, wer oder was unter einem walī zu verstehen ist. Eine Aufmerksamkeit für diese Auseinandersetzungen ist entscheidend, da sie erlaubt, solche (theoretischen) Konstrukte von Heiligkeit, wie Ibn Taymīya sie hervorgebracht hat, als objektiv strategisch zu erkennen, d. h. als seinen eigenen Überzeugungen günstig (was keinesfalls gleichbedeutend damit ist, hier Zynismus am Werk zu sehen). Der hier unternommene Versuch, Anteile von Ibn Taymīyas Konstrukt von den awliyā’ „Heiligen“ näher zu analysieren, vermag die grosse Konsequenz ans Tageslicht zu befördern, mit der er daran gearbeitet hat, in die Vorstellung „Heilige“ seine tiefsten Überzeugungen hineinzutragen. Für Ibn Taymīya gab es keinen muslimischen Glauben unabhängig von der Offenbarung, deren Adressat der Prophet Muḥammad war, und für ihn war die von dieser Offenbarung etablierte Glaubensordnung verbindlich, da das Resultat des legislativen (dīnī) Willen Gottes. Konsequent hat er dem Gehorsam den göttlichen Ge- und Verboten gegenüber eine herausragende Bedeutung eingeräumt, und er hat mehrere argumentative Strategien verfolgt, um die Verbindlichkeit dieser Glaubensordnung für alle Gläubigen zu untermauern. Eine nachdrückliche Bestätigung der grossen Bedeutung des Gehorsams bei Ibn Taymīya bietet seine Sichtweise von religiöser Virtuosität, die er bei denen verortet, die selbstbestimmte Manöver in dem, was mubāḥ „erlaubt“ ist, zurückstellen. Nachdrücklich zu betonen ist, dass Ibn Taymīyas religiöse Konstrukte auch insofern anspruchsvoll sind, als sie auf die Bedeutung des Herzens zielen und den Glauben definieren als äusserste Liebe (zu Gott), die zugleich äusserste Demut ist, d. h., seine religiösen Konstrukte teilen die Aversion der religiösen Avantgarden gegen Augendienerei. Wenn Ibn Taymīya äusseren religiösen Werken eine grosse Bedeutung einräumt, dann niemals unabhängig von der Forderung nach dem „Tun des Herzens“, aus dem sie für ihn notwendig hervorgehen. Ibn Taymīyas religiöse Konstrukte transportieren zudem eine bestimmte Vorstellung eines (idealen) muslimischen Gemeinwesens, in dessen Zentrum die Überlegung steht, dass alle Menschen wesensmässig „arm“ (faqīr) und „bedürftig“ (muḥtāǧ) sind. Eine Erkenntnis dieser „Armut“ und ein ihr entsprechendes Handeln – ʿibāda „Dienst an Gott allein“ – entspricht für Ibn Taymīya dabei einer Ökonomie heilbringender Akte, in welcher der Dienst an Gott allein sogleich individuelles wie kollektives sowie dies-wie jenseitiges Heil in Gang setzt. Ibn Taymīyas Sicht von den Heiligen ist ausnehmend kritisch im Hinblick auf eine Reihe von Praktiken und Glaubensüberzeugungen, die mit dem Heiligenkult zusammenhängen, wobei für alle von ihm kritisierten Phänomene gilt, dass sie für ihn in der einen oder anderen Form seiner fordernden Sicht von dem, worin die Religion in Wahrheit besteht, nicht zu genügen vermögen.
Abstract
(Englisch)
Muslim saints (awliyā’; sg. walī) are often regarded as a sort of antithesis to legal scholars (ʿulamā’; sg. ʿālim). In fact, there is ample evidence that legal scholars have been very critical of many paradigms of sainthood and rejected (or at least sought to check) beliefs and claims connected with the saints. At the same time, it is well known that walī is a Qur’ānic notion and that the Qur’ān not only declares that awliyā’ in fact do exist, but furthermore characterises them as “believers”. And just because of this fact, the study at hand suggests to take a closer look and start from the assumption that legal scholars will have brought forward their own view of the saints (and one which reflects and “celebrates” their own competences and convictions). This is tantamount to putting forward the argument that walī by no means should be regarded as a word with a clear-cut meaning – on the contrary, it seems that considerabe efforts were made by legal scholars to rule out meanings and understandings which posed a threat to their own convictions. Needless to say, they did so by shaping their own understanding of the notion walī. More narrowly, the study at hand focuses on the important Medieval scholar Ibn Taymīya (d. 1328 A. D.). Ibn Taymīya enjoys considerable fame as a firm critic of the cult of the saints, which was flourishing in his times. It is true that he vehemently criticised a whole range of phenomena, which were directly connected with the saints. At the same time though, Ibn Taymīya consciously developed and defended his own view of the awliyā’ Allāh “saints”. In line with what has been stated above, his theoretic construct of the awliyā’ vigorously corroborates his vision of the “true meaning of Islam” (ḥaqīqat al-islām) and represents nothing less but a major crossroads of many of his core convictions. On a very general level, I am proceeding alongside Vincent Cornell’s distinction between a “way of piety” and a “way of power”, which is quite beneficial to the thematic, because it allows for differentiating between, on the one hand, (theoretic) constructs of sainthood, which emphasise the existence of saints and, on the other hand, a critical attitude as regards the cult of the saints – Ibn Taymīya as clearly insisted that saints do exist as he attacked phenomena that pertain to the cult of the saints (such as turning to the saints for help; the visitation of graves etc.): He (grossly spoken) outlined a “way of piety” and he rejected the “way of power”. In my attempt at reconstructing Ibn Taymīya’s idea of a “way of piety”, I start from the assumption that it is of strategic benefit to relate Ibn Taymīya’s ideas to his competences as a legal scholar and to his “characteristically juridical thinking” (W. B. Hallaq). As a legal scholar, Ibn Taymīya forcefully tried to push through the conviction that the relation between God and mankind had to be organised alongside the Prophetical message of Muḥammad. Not only did he go to great lengths at firmly establishing the relevance and binding character of the revelation for all, but he furthermore positioned the notion of ṭāʿa “obedience” (to God and His commands) at the centre of his ideas regarding religious virtuosity. To put it more explicitly: Ibn Taymīya theoretically construed the awliyā’ “saints” in such a way that, instead of colliding with his convictions, they represent the most sublime and eloquent corroboration of these. The study at hand tries to identify important lines of reasoning by Ibn Taymīya and attempts at focusing upon how Ibn Taymīya dealt with core notions within the cult of the saints (ǧāh, šafāʿa, karāma).

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Islam Ibn Taymiyya saints belief religious virtuosity cult of the saints
Schlagwörter
(Deutsch)
Islam Ibn Taymiyya Heilige Glaube religiöse Virtuosität Heiligenkult
Autor*innen
Lorenz Matthias Nigst
Haupttitel (Deutsch)
Legitime Nähe
Hauptuntertitel (Deutsch)
Ibn Taymīyas theoretisches Konstrukt von den "awliyāʾ Allāh"
Publikationsjahr
2011
Umfangsangabe
521 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Stephan Procházka ,
Rüdiger Lohlker
Klassifikation
11 Theologie > 11.80 Islam: Allgemeines
AC Nummer
AC08464961
Utheses ID
11993
Studienkennzahl
UA | 092 | 385 | |
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