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"Heim ins Reich"
die nationalsozialistische Politik gegenüber den sogenannnten "Volksdeutschen" und ihre Folgen
Carina Vogt
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Bertrand Perz
DOI
10.25365/thesis.13789
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29767.26261.992264-8
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Zusammenfassung
Wie bereits in meiner Einleitung erklärt, habe ich innerhalb dieser Diplomarbeit versucht, eine möglichst gute Einführung in die Thematik der „Volksdeutschen“ und ihr Leben und Leiden vor allem während des Zweiten Weltkrieges zu geben.
Ich hoffe sehr, mir ist dies geglückt, auch wenn so mancher Teilaspekt leider immer noch – trotz der bereits ausgedehnten Länge – zu kurz kommt, da es nicht möglich war, ihn in der ihm zustehenden Ausführlichkeit zu schildern, ohne den Rahmen der Arbeit völlig zu sprengen. Ich denke aber, dass man besonders am Beispiel der Wolhyniendeutschen die Tragweite der nationalsozialistischen Handlungen erkennen kann.
Am Beginn dieser Arbeit erfüllten mich zahlreiche Fragen rund um die Thematik der „Volksdeutschen“, von denen ich die wichtigsten innerhalb der Einleitung versucht habe in Worte zu fassen. Dementsprechend sollen an dieser Stelle nun auch kurze und prägnante Antworten, sofern ich sie im Zuge dieser Arbeit finden konnte, folgen:
Für das später folgende Interesse der Nationalsozialisten an den in ganz Europa verstreut lebenden „Volksdeutschen“ war von maßgebender Bedeutung, wie es überhaupt zu dieser Verstreuung gekommen war. Jene Abwanderungen deutscher Siedler, verbunden mit der Urbarmachung vieler Gebiete mittels Rodung der Urwälder, sollte dann die Begründung ihrer Ideologie und noch viel mehr ihres angeblichen „Rechts“ auf Europa darstellen. Tatsächlich waren die von nationalsozialistischer Seite angeführten Auswanderungen keine Erfindung der Kriegsmaschinerie, jedoch wurden sie je nach Bedarf ausgelegt und umgestaltet.
So wanderte der Großteil aller deutschen Siedler freiwillig und ohne jede Bestrebung von deutscher Seite aus. Beispielsweise war Zarin Katharina II. von Russland aufgrund ihres Manifest zur Sicherung der deutschen Einwanderer, von entscheidender Bedeutung für die deutsche Besiedelung ihrer Gebiete. Auch die Verlockung durch die billigen Wald-, Morast- und Weideländer Wolhyniens sorgte für große Zuwanderungen. Dennoch ist die Auswanderung deutscher Siedler in allen Gebieten Europas und Russlands von ständigen Zu- und Abwanderungen gekennzeichnet und kein strategisch durchgeführter „Drang nach Osten“. Denn mit der Sesshaftwerdung der deutschen Siedler war meist rasch das sie begleitende Stereotyp vom zwar fleißigen und sauberen, aber auch überheblichen und sich abschottenden Kolonisten verbunden. Ihr großer Kinderreichtum, ihr gutes Vermögen sich um ihren Besitz zu kümmern und diesen zu vermehren (z.B. aufgrund des Grundbesitz- und Erbrechts) und vor allem ihr Desinteresse an der Verschmelzung mit der ansässigen Bevölkerung führte über kurz oder lang zum Misstrauen dieser und ihrer Regierungen. So kam es beispielsweise 1892 zur Russifizierung Russlands, welche die Ausbreitung der deutschen Siedler stoppen sollte. Diese waren inzwischen zum Sündenbock und zum Fremdkörper in der Heimat geworden: national, religiös, ökonomisch und sozial.
Im Zuge des Ersten Weltkrieges kam es deshalb rasch zur Enteignung zahlreicher Kolonisten, und das große Minderheitenproblem sollte schließlich entstehen. Der entstandene Nationalstaatsgedanke lies keinen Platz für diese Minoritäten, denen bis auf die im Grunde praktisch nutzlosen Minderheitenschutzverträge keine rechtliche Hilfsfunktionen geboten wurden. Zu jener Zeit begann jedoch eine für die Zukunft prägende, entscheidende Hilfe: der „Verein für das Volkstum im Ausland“ begann, als eine der von Deutschland gestarteten Hilfsaktionen zur Entstehung „deutschen Bewusstseins“, seine Arbeit im Ausland. Die Zwischenkriegszeit war vom großen Hass auf die Pariser Vorortsverträge gekennzeichnet, welche die deutschen Volksgruppen einem enormen Assimilierungs- bzw. „Umvolkungsdruck“ aussetzten. Dies wurde von deutscher Seite ausgenutzt. Als Hitler schließlich mit dem Einmarsch in Polen den Zweiten Weltkrieg begann, sollte das damit beginnende Konzept der „Germanisierung“ das Schicksal der von nun an als „Volksdeutsche“ bezeichneten deutschen Siedler drastisch ändern. Unter diese Gruppe fielen all jene, welche „deutsche Volkszugehörige“ fremder Staatsangehörigkeit waren. Dies schloss alle „Fremdstämmigen“ und alle „Artfremden“ aus. Die Aufteilung Polens in die „eingegliederten Ostgebiete“ und das „Generalgouvernement“, bzw. in russisches Territorium, war der Beginn der „Volksdeutschenumsiedlung“ und sollte auch für andere Menschen, allen voran selbstverständlich die als „artfremd“ bezeichneten Juden, weitreichende, in zahlreichen Fällen sogar tödliche, Folgen haben.
Knapp fünf Jahre lang wurden die Umsiedlungen der „Volksdeutschen“, welche sich zwar zum Teil freiwillig meldeten, jedoch großteils mittels Verträgen dazu gezwungen wurden, vorgenommen. Diese betrafen Deutsche aus Estland, Lettland und Litauen, Wolhynien, Galizien und dem Narewgebiet, dem nun zum Generalgouvernement gehörenden Gebieten um Chelm und Lublin, Rumänien, der Nordbukowina und Bessarabien, der Südbukowina und der Dobrudscha, aus dem Cholmer Land, Serbien, Kroatien und Bulgarien und zuletzt aus Russland. Mittels der sogenannten „Durchschleusung“ wurde im Zuge eines äußerst anspruchsvollen und komplizierten, oft sehr subjektiven Auswahlverfahrens beschlossen, ob der zu Beurteilende ein „Volksdeutscher“ oder ein „Fremdstämmiger“ war und welcher Wertungsgruppe er zugeteilt werden konnte. Je nachdem, ob er zum „A-“, „O-“ oder „S-Fall“ wurde, sollte er entweder im „Altreich“, in den „eingegliederten Ostgebieten“, oder im „Generalgouvernement“ angesiedelt werden. Doch gerade darin bestand das Problem: zwar wurde die mit der Ansiedlung zusammenhängende „Evakuierung“ der jüdischen und polnischen Bevölkerung so gut es ging durchgeführt, doch die eigentlich gleichzeitig zu erfolgende Ansiedlung der „Volksdeutschen“ musste aufgrund fehlender Transportmittel und einer generell schlechten Planung und Organisation der Umsiedlungen teilweise sogar ganz gestoppt werden. Den „volksdeutschen“ Umsiedlern stand somit in zahlreichen Fällen nicht die Sesshaftmachung in ihrer „neuen Heimat“ bevor, sondern vielfach eine teilweise Jahre andauernde Unterbringung in den Umsiedlerlagern. Diese sollten zwar planmäßig den „hohen deutschen Ansprüchen“ aufgrund der großzügigen Ausstattung gerecht werden, doch wiederum mussten diese Pläne solche bleiben und konnten nur in seltenen Fällen in die Tat umgesetzt werden, da es vor allem an Platz und Geld mangelte. Für die Motivation der in den Lagern festsitzenden „Volksdeutschen“ war dieser Umstand selbstverständlich alles andere als förderlich und es sollte nicht lange dauern, bis viele von ihnen ungeduldig und aufsässig wurden. Sie wollten endlich in die ihnen versprochene „neue Heimat“ gelangen und nicht mehr untätig, auf engstem Raum, verweilen müssen.
Diejenigen von ihnen, welche angesiedelt werden konnten, sollten allerdings ebenso nicht in eine problemlose Zukunft blicken. So wurden sie beispielsweise u.a. von den immer wieder einfallenden Partisanen bedroht, die erhaltenen Höfe entsprachen eventuell nicht ihren Wünschen oder sie waren erst gar nicht in die versprochenen Gebiete gelangt, da sie als „A-“ oder „S-Fälle“ keinen Anspruch darauf hatten. Vor allem letzteres stieß auf wenig Verständnis, es war den „Volksdeutschen“ schließlich nicht bewusst, auf welche Art und Weise die „Durchschleusung“ und Wertungsstufenzuteilung erfolgte. Generell, aber vor allem im „Altreich“, stießen die „Volksdeutschen“ auf ein weiteres Problem, nämlich dass sie von vielen „Reichsdeutschen“ nicht als Teil des „arischen Volkes“ akzeptiert wurden. Diese „Diskriminierung“ von Seiten ihrer neuen „reichsdeutschen“ Kollegen, Nachbarn, Vorgesetzten, usw. führte zu großem Unbehagen unter den bereits angesiedelten „Volksdeutschen“.
Als dann schließlich der Vormarsch der roten Armee begann und schlussendlich die deutsche Kapitulation folgte, bedeutete dies erneut das Verlassen der Heimat. Die Flucht vor den Sowjets brachte für viele (Volks-)Deutsche den Tod. Besonders am Beispiel des Ortes Nemmersdorf in Ostpreußen wird die Brutalität zahlreicher Soldaten gegenüber der deutschen Bevölkerung auf traurige Weise erkennbar. Der Beschluss der Konferenz von Potsdam bedeutete schließlich die komplette Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den nun nicht mehr deutschen Gebieten. Diese begann vor allem durch die Tschechen als blutige, wilde Vertreibung, angestachelt von sowjetischer Seite und konnte erst nach und nach von den Alliierten „unter Kontrolle“ gebracht werden. Dass tatsächlich „organisierte“ Umsiedlungen durchgeführt wurden, dauerte bis in die Jahre 1946 und 47. Von, wie sie es nannten, „humaner Weise“ kann jedoch nie die Rede sein. Denn wie sollte dies auch möglich sein?
Die neu entstandene Bundesrepublik Deutschland sollte nun vor der großen Herausforderung stehen, dass jeder fünfte Bundesbürger ein Flüchtling oder Vertriebener war und, dass deren Integration von alliierter Seite zur alleinigen Aufgabe der Deutschen erklärt wurde. Dies war objektiv betrachtet eine eigentlich nicht zu schaffende Aufgabe. Es war der im Juni 1947 verlesene Marshall-Plan, welcher jedoch dennoch das große „Wirtschaftswunder“ möglich machen sollte. Der Wohnungs- und Arbeitsplatzmangel blieben trotzdem lange Zeit als größte Probleme der BRD bestehen. Hatte man anfangs innerhalb der Bevölkerung immer noch fest daran geglaubt, dass die Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren können würden, und sie deshalb bereitwillig in die eigenen Wohnungen aufgenommen; so stieg der Unmut über die Wohnungssituation, als man merkte, dass es keine Rückkehr geben würde. Auch in zahlreichen Fabrikhallen, Hotels oder Baracken einstiger Zwangsarbeitslager waren die Vertriebenen untergebracht. Nun lebten weit über 200, anstatt wie vor Kriegsbeginn 160 Menschen pro Quadratkilometer. Wohnungsprogramme sollten dies ändern und taten es über kurz oder lang auch. Zu dieser Wohnungsnot kam auch noch das Übermaß an vorhandenen Arbeitskräften hinzu. Die Vertriebenen waren aufgrund ihrer Situation meist dazu gezwungen sich billiger anzubieten und statusniedrigere Arbeiten anzunehmen. Ihre Vermögensverluste konnten nur zum Teil ausgeglichen werden.
Auch in der psychischen Gesundheit der deutschen Bevölkerung hatte der Krieg seine Spuren hinterlassen: so zeigte sich, dass Kinder aus vertriebenen Familien, aber ebenso zahlreiche Erwachsene, häufig an posttraumatischer Belastungsstörung litten. Das erlebte Schicksal und die Aufgabe sich einerseits an die neue Situation anzupassen und andererseits nicht die eigenen Traditionen ganz zu verlieren, war für viele Betroffene, allen voran selbstverständlich für die Kinder jener Generation, eine zu schwierige Aufgabe gewesen. Dennoch war gerade dieses gemeinsame Erleben von Krieg und Vertreibung jenes Band, welches es nach dem Fall der Berliner Mauer ermöglichte „Ost“ und „West“ zu einem Volk zu vereinigen. Dazu trugen vor allem die zahlreich gegründeten Vertriebenenorganisationen bei, welche bereits 1950 mit ihrer „Charta der Heimatvertriebenen“ ein Zeichen gesetzt hatten.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die seit Jahrhunderten bestehende Verteilung deutscher Minderheiten mit den nationalsozialistischen Bestrebungen zur „Germanisierung“ des Ostens abrupt ein Ende fand, und die seit ebenso lange bestehenden Gemeinschaften zwischen deutscher und ursprünglicher, nicht-deutscher Bevölkerung auf einen Schlag vernichtet wurden.
Die komplexe Thematik der „Volksdeutschen“ auf das beschränkte Ausmaß einer Diplomarbeit zusammenzufassen, war keine einfache Aufgabe. So viele Fragen sind offen geblieben. So hätte ich mich gerne noch ausführlich mit dem Zusammenhang mit der „Endlösung der Judenfrage“ beschäftigt, oder mit der Frage, wie viel die „Volksdeutschen“ tatsächlich vom Schicksal, der „für sie“ von ihren Höfen und Häusern vertriebenen Polen und Juden, wussten. Gerade dies wäre aber vermutlich über die von mir gewählte Form der Literaturrecherche hinausgegangen, obwohl mich auch das Stöbern in Archiven sehr interessiert hätte. Generell hätte ich auch gerne Zeugenberichte in Form der oral Historie mit einfließen lassen. Gerade dies wäre bestimmt eine äußerst interessante und auch mitnehmende Perspektive gewesen.
Doch die von mir durchgeführten Recherchen und die in diesem Umfang für mich erste derartige Arbeit, haben für mich eine großartige Erfahrung und eine für meine Zukunft vermutlich wichtige Vergrößerung meines Horizonts bedeutet. Ich bin sehr froh, diesen Schritt gewagt zu haben.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Volksdeutsch(e) Nationalsozialistische Umsiedlungen Wolhyniendeutsche Durchschleusung
Autor*innen
Carina Vogt
Haupttitel (Deutsch)
"Heim ins Reich"
Hauptuntertitel (Deutsch)
die nationalsozialistische Politik gegenüber den sogenannnten "Volksdeutschen" und ihre Folgen
Publikationsjahr
2011
Umfangsangabe
180 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Bertrand Perz
Klassifikation
15 Geschichte > 15.24 Zweiter Weltkrieg
AC Nummer
AC08485470
Utheses ID
12389
Studienkennzahl
UA | 190 | 299 | 313 |