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VER-RÜCKT
die Rolle des Wahnsinns in Georg Büchners Werken "Woyzeck" und "Lenz"
Viktoria Preining
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Eva Horn
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.15641
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30041.50560.996963-0
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Das Ziel der vorliegenden Arbeit bestand darin, herauszufinden, welche Vorstellung von Wahnsinn Georg Büchner in seinen Werken Woyzeck und Lenz kreiert, welchen sprachlichen Mitteln er sich dabei bedient und wie sich die beiden Texte und Protagonisten voneinander abgrenzen. Um dieses Erkenntnisinteresse zu realisieren, wurden einige Forschungsfragen entwickelt. Neben der Frage, ob Lenz und Woyzeck in der heutigen Zeit als Burnout-Erkrankte bezeichnet werden würden, wurde ein Augenmerk auf die unterschiedlichen Diskurse gelegt, die Büchner anhand der Protagonisten Lenz und Woyzeck über den Wahnsinn vermittelt. Des Weiteren stand die Frage nach der Position, die Büchner in der Debatte zwischen empirisch orientierten Somatikern und idealistisch argumentierenden Psychikern einnimmt, im Raum. Im Hinblick auf die textliche Gestalt der beiden Werke wurde analysiert, wie sich diese voneinander unterscheiden bzw. welche Vorteile die jeweilige Präsentationsform für die Darstellung des Protagonisten hat. Da den Hauptfiguren der beiden Werke historische Figuren zu Grunde liegen, fanden auch diese Eingang in die vorliegende Arbeit. Vor allem die Frage, wie sich die historischen Figuren Lenz und Woyzeck von den Protagonisten in Büchners Werken Lenz und Woyzeck abgrenzen, stand dabei im Mittelpunkt des Interesses. Nach einem kurzen Überblick über die Entwicklung der Melancholie sowie über den Wissensstand der Psychologie im 19. Jahrhundert wurden die Werke Woyzeck und Lenz hinsichtlich der Darstellung des Wahnsinns analysiert, wobei am Anfang der jeweiligen Kapitel eine kurze Vorstellung der historischen Figur erfolgte. Ein Vergleich der historischen und literarischen Figuren ergab schließlich, dass sich Büchner bei der Darstellung seiner Protagonisten bewusst von den historischen Vorbildern abgrenzt. Während der Stadtphysikus Clarus den Mörder Woyzeck aufgrund moralischer Verfehlungen für zurechnungsfähig erklärt, stellt Büchner diese These in Frage und präsentiert Woyzeck als Opfer seiner sozialen Situation. Büchners kritisiert damit die Betrachtungsweise Clarus‘, denn der Stadtphysikus setzt sich zwar mit dem Geringsten auseinander, aber er versenkt sich nicht in ihn. Auch der literarische Lenz unterscheidet sich von seinem historischen Vorbild, das Büchner vor allem durch Goethes Beschreibung in Dichtung und Wahrheit und den Bericht des Pfarrers Oberlin bekannt ist. Die Abgrenzung dient hier ebenfalls dazu, Partei für den Protagonisten zu ergreifen. So deutet Büchner die negativen Eigenschaften, die Goethe Lenz zuschreibt, zu Krankheitssymptomen um und betont die Zwanghaftigkeit seiner Handlungen. Büchner kritisiert auch im Lenz die Gesellschaft und die Religion. Indem er das Leid des Protagonisten in den Mittelpunkt der Erzählung rückt, übt er Kritik an der sozialen Umwelt, die bei der Genesung des Kranken versagt. Denn durch Zurückweisung und Vereinnahmung trägt sie zu einer Verschlechterung seines Zustandes bei. Eine weitere Erkenntnis dieser Arbeit ist, dass Büchner der Psychiatrie seiner Zeit sehr kritisch gegenübersteht. Psychiker wie Oberlin und Clarus erachten den Wahnsinn als selbstverschuldet und führen ihn auf moralische Fehler zurück. Sie plädieren des Weiteren für eine vernunftgeleitete, aufklärerische Religionspädagogik, wohingegen für Somatiker die Religion selbst Auslöser von Krankheiten ist. Büchner distanziert sich sehr deutlich von der Haltung der Psychiker. So reagiert Lenz auf Oberlins religiöse Bekehrungen mit Unruhe und seine Krankheit verschlimmert sich. Auch bei der Therapie, die Psychikern zufolge an der Moral und nicht am Körper ansetzen soll, vertritt Büchner eine andere Ansicht. Dies verdeutlicht er, indem der Protagonist seiner Erzählung sich aufgrund selbsttherapeutischer Maßnahmen Schmerzen zufügt. In der Debatte zwischen Psychikern und Somatikern kann Georg Büchner also – so die Erkenntnis dieser Arbeit – zu den liberalen Somatikern gezählt werden. Ein Vergleich der beiden Werke ergab, dass Büchner das Leid von Lenz und Woyzeck mit Hilfe zweier unterschiedlicher Darstellungsformen darstellt: Im Falle des Paupers in dramatischer und in jenem des Dichters in narrativer Form. Dadurch gelingt es Büchner, Woyzeck einen Körper und auch eine Stimme zu geben. Durch die Darstellungsart des Werkes Lenz wiederum ist es dem Autor möglich, die Innenperspektive des Protagonisten einzunehmen und den Verlauf der Krankheit offenlegen. Büchner kreiert zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Wahnsinnsdiskurse, wobei es zwischen den Krankheitsbildern viele Gemeinsamkeiten gibt. So weisen etwa beide Protagonisten Symptome auf, die heute wohl zur Diagnose Burnout führen würden. Wenn auch die Ursachen für ihre jeweilige Krankheit sehr unterschiedlich sind, gilt doch für beide Figuren: Sie sind ein Opfer sozialer Gegebenheiten. Und keinem der beiden gelingt es, dem Wahnsinn, der ihnen dicht auf den Fersen ist, zu entkommen.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Büchner Wahnsinn Woyzeck Lenz
Autor*innen
Viktoria Preining
Haupttitel (Deutsch)
VER-RÜCKT
Hauptuntertitel (Deutsch)
die Rolle des Wahnsinns in Georg Büchners Werken "Woyzeck" und "Lenz"
Publikationsjahr
2011
Umfangsangabe
123 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Eva Horn
Klassifikationen
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.93 Literarische Stoffe, literarische Motive, literarische Themen ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.97 Texte eines einzelnen Autors
AC Nummer
AC08742994
Utheses ID
14032
Studienkennzahl
UA | 332 | | |
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