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Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
zur Ästhetik der Unentscheidbarkeit im Gegegnwartstheater am Beispiel des Theaterparcours X Wohnungen im Stuwerviertel 2009
Andreas Fleck
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Monika Meister
DOI
10.25365/thesis.15988
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29800.63706.194964-3
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Fiktion und Realität scheinen in ihrer Oppositionalität als Gegenpole, als Antonyme, unvereinbar voneinander getrennt, stehen jedoch seit der Antike, seit Beginn künstlerischen Denkens, in einem engen wechselseitigen Verhältnis. Auch im Theater kollidiert seit jeher die Fiktion des gesprochenen Textes und der dargestellten Rolle mit der Realität des sprechenden und darstellenden Leibes, des Schauspielerkörpers. Realität und Fiktion waren und sind somit dem Theater stets immanent. Das Bewusstsein, dieser Dualität im Theater unabdingbar zu begegnen, führte zu den unterschiedlichsten ästhetischen Strategien und damit zu einem vielfältigen Einsatz dieser beiden Gegenpole.
Ziel meiner Forschung ist es, jene Grauzone im Gegenwartstheater zu beleuchten, in der der Zuschauer nicht mehr zwischen »real« und »fiktiv« zu unterscheiden vermag. Jenen Bereich, in dem das Theater den Besucher durch die Inszenierung von realen (Lebens-)Situationen in einen Zustand höchster Unsicherheit manövriert, da er sich auf das prinzipielle Versprechen von Theater, eine Geschichte zu erzählen, nicht mehr verlassen kann.
Ein Bereich, über den sich das Publikum – sicher, passiv und unbemerkt in seinem abgedunkelten Zuschauerraum – lange Zeit keine Gedanken machen musste. Es konnte über den Bezug einer Handlung, einer Geschichte zur Realität/zu realen politischen Ereignissen etc. reflektieren, konnte sich aber dennoch während der Dauer des Stücks in eine fiktionale Welt zurückziehen. Seit Anfang der 80er Jahre versuchen immer mehr Theatermacher den Zuschauer genau mit dieser Grauzone zu konfrontieren und dadurch deren Rezeptionsgewohnheiten grundlegend zu verändern. Dies geschieht unter anderem durch eine von Hans-Thies Lehmann attestierte Ästhetik der Unentscheidbarkeit, die als Zentraler Begriff meiner Diplomarbeit zu sehen ist. Diese Ästhetik der Unentscheidbarkeit definiert sich über inszenatorische Mittel und ästhetische Konzepte, die, bewusst zum Einsatz oder durch die Konstellation der Spielsituation automatisch hervor gebracht, für den Zuschauer in einer „Unentscheidbarkeit, ob [er] es mit Realität oder Fiktion zu tun hat“1, kulminiert. Dabei nehme ich an, dass die grundlegenden Faktoren für eine Ästhetik der Unentscheidbarkeit im Einbruch des Realen und in gleicher Weise im Ausbruch des Theaters aus dem geschlossenen Theaterraum in den öffentlichen (Stadt)Raum zu finden sind.
Weitere ästhetische Mittel, die ich einer genaueren Untersuchung unterziehe, entnehme ich dem theaterwissenschaftlichen Vokabular von Erika Fischer-Lichte. Dabei zeigt sich, dass der Zuschauer vor allem dann nicht mehr zwischen real und fiktiv entscheiden kann, wenn dieser, im Zuge einer Performance, Transformationsprozessen ausgesetzt wird. Diesbezüglich untersuche ich in Rekurs auf Erika Fischer-Lichte und Victor Turner die Begriffe »Liminialität« und »communitas« und überprüfe diese auf ihr transformatorisches Potential. Diese Untersuchung zeigt, dass für den Zuschauer vor allem Schwellenzustände, die Bildung einer vorübergehenden Gemeinschaft, aber auch die eine temporäre Transformation in einen Akteur ein Differenzieren zwischen Realität und Fiktion unmöglich machen, da er sich dabei im „Zustand eines radikalen »betwixt and between«“2 befindet. Zusätzlich wird durch meine Ausführungen deutlich, dass auch die Autonomie der Kunst und die damit verbundene Rahmensetzung des Publikums eine Ästhetik der Unentscheidbarkeit weiter verstärkt, da der Zuschauer in diesem Fall stets im Sinne der Kunst – und damit in einem ästhetischen Kontext – denkt und dementsprechend schwerer zwischen einer künstlerischen Intervention und Alltagswirklichkeit differenzieren kann.
Um für meine Analyse zu einer Ästhetik der Unentscheidbarkeit eine wissenschaftlich korrekte, praktische und präzise Definition der Begriffe »Fiktion und Wirklichkeit« zu finden, befasse ich mich mit verschiedenen philosophischen, literatur- und sozialwissenschaftlichen Positionen, die sich mit der dualistischen Beziehung zwischen Fiktion und Realität beschäftigen. Besonders die von Niklas Luhmann angeregte Unterscheidung zwischen realer Realität und fiktionaler Realität stellt sich dabei als entscheidend für meine eigenen Überlegungen heraus.
Um eine Ästhetik der Unentscheidbarkeit zu konkretisieren und auch auf praktischer Ebene zu belegen, konzentriere ich mich in meiner Analyse auf den 2009 von brut Koproduktionshaus Wien realisierten Theaterparcours X Wohnungen im Stuwerviertel 2009. Dieses Projekt vereint die wichtigsten Elemente gegenwärtiger Inszenierungsstrategien, die die Unmöglichkeit einer Differenzierung zwischen Realität und Fiktion zum zentralen Thema des ästhetischen Ereignisses machen. X Wohnungen ist ein 2002 von Matthias Lilienthal für die Stadt Duisburg, die in diesem Jahr Austragungsort für das Festival Theater der Welt war, entwickeltes Format, das sowohl den öffentlichen, als auch privaten Raum zur Bühne und damit zum Ort theatralen Geschehens macht. In diesem Projekt bekommt der Besucher Einsicht in private Wohnungen, die von verschiedenen internationalen Künstlern inszeniert werden, und, durch das durchwandern des Stadtgebiets zwischen den einzelnen Wohnungen, auch einen Überblick über das gesamte Viertel einer Stadt. X Wohnungen verbindet demnach Elemente der walking performance mit Elementen des Site Specific Theatre.
Dieses Format, in seiner Inszenierung im Wiener Stuwerviertel, und im Besonderen die vom Architektenduo tat ort, der Regisseurin Angela Richter und dem Künstlerkollektiv Kaspar Wimberley & Susanne Kudielka in Szene gesetzten Wohnungen werden Ausgangspunkt meiner praktischen Analyse einer Ästhetik der Unentscheidbarkeit und versuchen somit das in der Theorie Besprochene zu festigen, veranschaulichen und neue Blickwinkel auf mein Thema zu eröffnen.
Abstract
(Englisch)
The main aspiration of my research is to illuminate that grey area in modern theatre in which the spectator is unable to decide between “reality” and “fiction”. It's that area, in which theatre leads the spectator into utmost uncertainty through producing real life conditions mainly because he cannot trust in the principle assurance of theatre to tell a story anymore. And it's an area the audience – save, passive and unperceived in the dark of the auditorium - didn't have to think about for a long period of time. It could reflect on the reference of a certain action or a certain story to reality/real political occurrences, but though withdraw into a fictional World for the length of the piece.
Since the beginning of the 80's more and more theatre makers try to confront the audience with this grey area and change their reception habits in this way. This happens amongst others through the Ästhetik der Unentscheidbarkeit, attested by Hans-Thies Lehmann and one of the central concepts of this thesis. This Ästhetik der Unentscheidbarkeit defines itself through dramatugical means and aesthetical concepts which lead to a “Unentscheidbarkeit”1 for the spectator, if he has to deal with reality or fiction.2 My hypothesis thereby is that the the two basic factors for this “Unentscheidbarkeit” are the incursion of the real on the one hand and the break-out of the theatre out of the theatre building into the public space on the other hand.
To concrete my ideas to an Ästhetik der Unentscheidbarkeit and to prove it in practice, I will concentrate my analysis on the 2009 by brut Koproduktionshaus Wien produced theatre course X Wohnungen im Stuwerviertel 2009. This concept and in particular the productions of tat ort, Angela Richter and Susanne Kudielka & Kaspar Wimberley will be the initial point of my practical analysis of an Ästhetik der Unentscheidbarkeit and the grey area between fiction and reality.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
fiction and reality X Apartments
Schlagwörter
(Deutsch)
Fiktion und Wirklichkeit Ästhetik der Unentscheidbarkeit X Wohnungen
Autor*innen
Andreas Fleck
Haupttitel (Deutsch)
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Hauptuntertitel (Deutsch)
zur Ästhetik der Unentscheidbarkeit im Gegegnwartstheater am Beispiel des Theaterparcours X Wohnungen im Stuwerviertel 2009
Paralleltitel (Englisch)
Between fiction and reality
Publikationsjahr
2011
Umfangsangabe
117 S. : Ill.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Monika Meister
AC Nummer
AC08792717
Utheses ID
14344
Studienkennzahl
UA | 317 | | |