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Die Rolle der Menschenrechte bei der Entwicklung eines indivduellen Rechtsbewusstseins in der Volksrepublik China
Aurelius Scholz
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Gerd Kaminski
DOI
10.25365/thesis.17220
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30493.51541.877961-6
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die rechtliche Situation in der Volksrepublik China wird in der öffentlichen Wahrnehmung
zumeist danach beurteilt, wie es um die Einhaltung der Menschenrechte bestellt ist. Gleichzei-
tig werden positive Veränderungen im juristischen Alltag der Bevölkerung als gestiegenes
Rechtsbewusstsein gedeutet, mangelnde Rechtsstaatlichkeit in China hingegen mit einem
(noch) fehlenden Rechtsbewusstsein erklärt. Bei näherer Betrachtung wird jedoch offenbar,
dass der Begriff des Rechtsbewusstseins keinesfalls inhaltlich eindeutig ist; vielmehr existie-
ren eine Vielzahl von Definitionen, die versuchen, dieses rechtspsychologische Phänomen zu
präzisieren. Während sich das Rechtsbewusstsein in westlich geprägten Gesellschaftssyste-
men durch die alltägliche Konfrontation des Individuums mit dem Recht herausbildet, steht
man in der Volksrepublik vor dem Problem, dass sich die Rechtsordnung in China erst seit
dem Beginn des wirtschaftlichen Aufschwunges zu Beginn der 1990er Jahre mit den konkre-
ten Belangen des einzelnen Bürgers beschäftigt. Das für den westlichen Beobachter so selbst-
verständliche Vertrauen in das Recht hat für die Bevölkerung in China aufgrund der fehlenden
kontinuierlichen juristischen Ausgestaltung der Gesellschaft nicht stattgefunden. Erst durch
den Aufbau einer Rechtsordnung und die Verbesserung der juristischen Infrastruktur in den
letzten 30 Jahren hat die jüngste Generation in der Volksrepublik eine Vorstellung vom Recht
und von seiner gesellschaftlichen Regelungsfunktion.
Die vorliegende Arbeit zeichnet die Rezeption der Menschenrechte in China nach und erläu-
tert im historischen und kulturellen Kontext die Unterschiede zur westlichen Auffassung des
Rechts. Der für die Wahrnehmung des Rechts so wichtige Begriff des Rechtsbewusstseins
wird aus einer Zusammenschau unterschiedlicher Definitionsversuche inhaltlich ausgefüllt
und dessen Entstehung und Verwendung in der chinesischen Rechtssprache nachvollzogen.
Dabei wird insbesondere auch im Rahmen des Sinomarxismus auf die ideologisch-dogmati-
sche Verwendung des Begriffes „sozialistisches Rechtsbewusstsein“ eingegangen. Die Ent-
wicklung des Rechtsbewusstseins in der Volksrepublik wird anhand der Bedeutung der Men-
schenrechte nachvollzogen. Dabei wird das gängige Argument der generellen Unvereinbarkeit
zwischen chinesischer Tradition und dem Konzept der Menschenrechte widerlegt, indem der kulturelle Einfluss Chinas auf das Konzept der Menschenrechte in seiner heutigen Form histo-
risch deutlich hervorgehoben wird.
Das Rechtsbewusstsein entwickelt sich allein durch die Konfrontation mit einfachgesetzlichen
Regeln nur bis zu einem bestimmten Grad. Dabei bestimmt sich der Grad der Entwicklung
danach, in welchem Umfang staatliche Stellen in der Volksrepublik die Ausgestaltung der
Rechtsordnung vornehmen. Anders als die von dem Rechtsbewusstsein der Bürger getragene
Rechtsordnung in Europa und den USA entwickelt sich die Rechtsordnung in der Volksrepub-
lik nicht dynamisch, sondern muss als statisches Konstrukt durch die Regierungsstellen stän-
dig an den gesellschaftlichen status quo angepasst werden. Eine solche vom Bürger getrennte,
ausschließlich staatliche Entwicklung der Rechtsordnung wird angesichts einer immer größer
werdenden Zahl von regelungsbedürftigen Sachverhalten einen ständig wachsenden bürokra-
tischen Aufwand in der Volksrepublik erfordern.
Allerdings werden durch die Übernahme von Rechtsinstituten und ganzen juristischen Kon-
zepten aus Europa und den USA auch die ihnen zugrunde liegenden und auf den Menschen-
rechten basierenden Wertvorstellungen konkludent oder unbewusst übernommen. Diese Wert-
vorstellungen werden somit auch Bestandteil eines Rechtsbewusstseins des einzelnen Bür-
gers. Als individueller rechtspsychologischer Vorgang kann das Rechtsbewusstsein zwar
durch staatliche Stellen beeinflusst werden, ist aber in seiner Entwicklung jeglicher staatli-
chen Kontrolle entzogen. Diese Entwicklung des Rechtsbewusstseins und seine konkrete ge-
sellschaftliche Ausgestaltung in der Volksrepublik werden als Gegenstand dieser Arbeit nach-
vollzogen und anhand dreier ausgewählter Fälle, die in der Volksrepublik selbst und auch international mediale Beachtung gefunden haben, dargestellt.
Abstract
(Englisch)
When it comes to the legal situation in the People‘s Republic of China, the focus of western
perception is on the progress of observing human rights. Besides, any significant change in
China´s legal system is explained with a growing legal consciousness (Rechtsbewusstsein).
On the other hand, shortcomings of the rule of law are regarded as a (still) lacking legal
consciousness. However, the term „legal consciousness“ is not clearly defined. In fact, there
are various attempts in Austrian and German jurisprudence to approach this legal
phenomenon. In western social systems law and the rule of law are the most important factor
to maintain social peace and stability. Therefore legal consciousness is a natural development
resulting from the daily experience of the individual with law and the enforcement of law.
But with China´s thousands-of-years old tradition, things are different. It was not before the
Revolution of 1911 and the abolishment of the Qing Dynasty, the last rulers of the Chinese
Empire, that Chinese society was faced with the western perception of law. Unlike Japan with
a similar form of sovereignty, China was not able to modernise itself by adopting foreign law.
Due to civil war and social chaos that resulted from Japanese aggression in 1937 , the Chinese
social system remained unstable until 1949, the founding of the People´s Republic. Mao
Zedong´s „Great Leap Forward“ in 1958 and the „Cultural Revolution“ wrecked the
contributions of the new form of government to social stability. Only in the late 1970‘s, Deng
Xiaoping began to renew Chinese society by emphasising the rule of law as a means of
modernisation. Even though the Chinese government had promoted the rule of law during the
last 30 years, there are still prevailing traditional forms of interpersonal conduct that in
western social systems fulfil the function of law. With this inclination to stick to traditional
forms of solving social conflicts, the Chinese society appears to be adverse to law and the rule
of law in the western public eye. Furthermore, the lacking entrenchment of law in Chinese
society and the antagonistic attitude of the Chinese government towards the universality of human rights have contributed to the myth, that the idea of human rights is contradictory to
Chinese culture. All these factors make it difficult to trace a legal consciousness in Chinese
society.
This thesis delineates the term „legal consciousness“ and its interdependency of human rights.
All attempts in Austrian and German jurisprudence to define „legal consciousness“ are
narrowed to ten characteristics and applied to the Chinese legal system. Furthermore, the
origin of the term „法律意识 (Falü yishi)“ as Chinese equivalent to „legal consciousness“ is
examined and its usage in the context of Sinomarxism is explained. Three cases in China that
recently challenged national and international attention are examined to expound how legal
consciousness forms itself into a increasing social force. However, only observance of human
rights and the unrestrained acceptance of its universality will grant the freedom for the
individual necessary to develop a legal consciousness. Without legal consciousness rule of
law will not exist, and to maintain the present state of rule by law, the Chinese government
will have to undertake vast bureaucratic efforts in permanently adapting the legal system to
the rapidly developing economy as well as to the simultaneously changing social situation in
the People‘s Republic of China.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Rechtsbewusstsein
Autor*innen
Aurelius Scholz
Haupttitel (Deutsch)
Die Rolle der Menschenrechte bei der Entwicklung eines indivduellen Rechtsbewusstseins in der Volksrepublik China
Paralleltitel (Englisch)
The importance of human rights for the development of a legal consciousness in the People's Republic of China
Publikationsjahr
2010
Umfangsangabe
352 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Gerd Kaminski ,
Christiane Wendehorst
Klassifikationen
86 Recht > 86.05 Rechtssoziologie, Rechtspsychologie ,
86 Recht > 86.06 Rechtsvergleichung, Rechtsvereinheitlichung ,
86 Recht > 86.10 Recht einzelner Länder, Gebiete und Völker ,
86 Recht > 86.15 Allgemeines Prozessrecht, Zivilprozess ,
86 Recht > 86.84 Völkerrecht: Allgemeines ,
86 Recht > 86.85 Menschenrechte
AC Nummer
AC08859043
Utheses ID
15432
Studienkennzahl
UA | 083 | 101 | |