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Habitusausbildung bei Pierre Bourdieu
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Jean Piagets Entwicklungstheorie
Michael Paul Grosz
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft
Betreuer*in
Elisabeth Nemeth
DOI
10.25365/thesis.17275
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29151.40133.808355-8
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Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Pierre Bourdieu versucht mit seiner Theorie vom Habitus den von ihm aufgedeckten Mangel des Strukturalismus zu beseitigen: das Vergessen der Geschichte. Indem er sich in seinen Schriften mit der Analyse von der Gesellschaft als Ganzes, ihrer Entwicklung und auch den Produktionsbedingungen für die (objektiv aufeinander abgestimmten) Habitusformen beschäftigt, beseitigt er den Mangel aber nur teilweise. Selten wird von Bourdieu die individuelle Geschichte der Akteure und deren Habitus untersucht und klargestellt, wie ein Subjekt zum Habitus kommt bzw. wie das (soziale) Umfeld die individuelle Entwicklung beeinflusst. Daher haben viele Interpreten (Liebau 1987; Cicourel 1993; Wagner 2003) Bourdieu dafür kritisiert, keine explizite Theorie der Habitualisierung bzw. Sozialisation vorgelegt zu haben.
In meiner Diplomarbeit habe ich Bourdieus Theorie vom Habitus neu strukturiert (d.h. die verschiedenen Aspekte des Habituskonzepts wurden analysiert) und Erweiterungen vorgeschlagen. Um Bourdieus Überlegungen zur Habitusausbildung zu ergänzen und ein besseres Verständnis der involvierten Prozesse zu gewinnen, wurden Jean Piagets Entwicklungstheorien in Betracht gezogen. Die Arbeit ist also auch ein Versuch zwei wirkungsmächtige holistische Theorien - Bourdieus Kultursoziologie und Piagets Entwicklungspsychologie – zu verbinden.
Ein Resultat der Habituskonzept-Analyse war die Erkenntnis, dass Bourdieu sich auf soziale Spiele und symbolisches Kapital konzentriert. Das Streben nach Anerkennung und die Relationen zwischen den Akteuren treten bei ihm in den Vordergrund, während andere Aspekte hinsichtlich Motivationen (insbesondere „a-soziale“ Motivationsstrukturen) wenig beachtet werden. Im Vergleich mit Piaget manifestierten sich neben einigen Gemeinsamkeiten (genetischer Strukturalismus; Betonung der Körperlichkeit bzw. Leiblichkeit von Schemata bzw. Dispositionen; höhere Strukturen beruhen für beide auf tieferliegenden körperlichen Strukturen) folgende Divergenzen. Piaget betont konsequenter als Bourdieu, dass Menschen aktive Konstrukteure sind und erklärt/beschreibt mit Konzepten wie „Akkommodation“ und „Äquilibration“ die Konstruktionsarbeit ausführlicher. Außerdem legt Piaget plausibel dar, dass und wie der individuelle Entwicklungsstatus des Heranwachsenden die Art und Intensität des sozialen Einflusses bedingt. Bei Bourdieu wird dagegen das Alter der Akteure kaum berücksichtigt. Darüber hinaus thematisiert Piaget die Beziehungen innerhalb von Kleingruppen von Gleichaltrigen häufiger. Daneben zeigte sich deutlich, dass Piaget in erster Linie die bewusste geistige Entwicklung des Menschen ins Auge fasst, während Bourdieus Hauptaugenmerk auf den unbewussten Aspekten des sozialen Austausches und der Habitusausbildung liegt. Dementsprechend finden sich nur bei Piaget Konzepte und Studien zu wechselseitigem Respekt, zum reflektierten Umgang mit tradierten Normen und Werten und zur bewussten Entwicklung von autonomen Moralvorstellungen, die vor allem durch den Kontakt mit Gleichaltrigen entstehen. Diese Unterschiede untermauern die Kritik an Bourdieus Habituskonzept, liefern aber auch wertvolle Anregungen für Erweiterungen seiner Theorie. Daneben verdeutlichte der Vergleich von Bourdieus Überlegungen zur kabylischen Gesellschaft mit Piagets Theorien über Schweizer Kinder, dass die soziale Herkunft (Kultur, Klasse, Familie bzw. generell das soziales Umfeld) ein wichtiger Faktor hinsichtlich Habitusausbildung ist. Daher ist eine einheitliche Theorie der Sozialisation mit normierten Entwicklungsverlauf inadäquat.
Abstract
(Englisch)
In his theory of the Habitus, Pierre Bourdieu aims to avoiding the flaw he has claimed of Structuralism: The neglect of history. However, by analyzing society, its development and the social conditions which produce the adapted Habitus, he eradicates the revealed flaw only to certain extends. Bourdieu barely examines the history of the individual Habitus and omits to explain how social environments influence the individual development. Thus, numerous receptionists (Liebau 1987; Cicourel 1993; Wagner 2003) have criticized Bourdieu’s negligence to deliver an explicit theory of habitualisation and socialization respectively.
In the present work, I have restructured the Habitus theory (i.e. I examined the different aspects of the „Habitus” concept) and proposed improvements. In order to do so, Jean Paget’s developmental Psychology was taken into account. Consequently, this thesis has an additional approach to blend two influential holistic theories, Bourdieu’s cultural sociology and Piaget’s theory of development.
A finding of the examination of the Habitus concept was Bourdieu’s focus on social games and symbolical capital. The striving for recognition and the relations between the agents is noticeable while other motivational aspects (especially “a-social” motivations) attract little attention. Besides some similarities (the genetic structuralism; the stress of the bodily character of schemata and dispositions; the foundation of higher structures in lower body structures), the following differences are manifested. Piaget continually stresses that human beings are active constructors and he examines the processes involved in construction more elaborately than Bourdieu by introducing the concepts of Accommodation and Equilibration. Furthermore, Piaget convincingly argues that the individual developmental status of a person determines the way and strength of social influence. On the other hand, Bourdieu rarely considers the agent’s age. Moreover, the relationships among children of the same age are more often an issue for Piaget. Generally, Piaget is mostly concerned with the conscious intellectual development, while Bourdieu’s main focus lies on unconscious aspects of social exchange and Habitus development. Consequently, mutual respect, conscious handling of shared norms, values and the development of autonomous morals are topics only investigated by Piaget. These differences not only support the mentioned critic of Bourdieu’s Habitus theory but also deliver valuable suggestions for extensions of his theory. Finally, the comparison of Bourdieu’s studies about the Kabyle society and Piaget’s theories about the Swiss children has shown that the social origin of an agent (its home culture, family or its social environment in general) is a significant factor regarding the development of the Habitus. Thus, a uniform theory of socialization with a normative course of development is inadequate.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Habitus socialisation
Schlagwörter
(Deutsch)
Habitus Sozialisation Habitusausbildung
Autor*innen
Michael Paul Grosz
Haupttitel (Deutsch)
Habitusausbildung bei Pierre Bourdieu
Hauptuntertitel (Deutsch)
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Jean Piagets Entwicklungstheorie
Publikationsjahr
2011
Umfangsangabe
111 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Elisabeth Nemeth
Klassifikationen
08 Philosophie > 08.36 Philosophische Anthropologie ,
10 Geisteswissenschaften allgemein > 10.04 Ausbildung, Beruf, Organisationen
AC Nummer
AC09364314
Utheses ID
15483
Studienkennzahl
UA | 296 | | |