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Schlingensief und das Operndorf Afrika
Analysen der Alterität
Jan Endrik Niermann
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Jens Kastner
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.18230
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29676.11868.926465-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Den Anlass zur Analyse der Alterität bildet das Projekt „Operndorf Afrika“ von Christoph Schlingensief. Ihn beunruhigt der Gedanke, dass Afrika stets in den ‚europäischen’ Bahnen von Kulturimperialismus, Entwicklungshilfe und projektiver Idealisierung bzw. Entwertung wahrgenommen wird. Schlingensief versucht, künstlerische Mittel und Wege zu finden, um aus diesem Dilemma auszubrechen. Seine Kunst ist zwar nicht explizit auf Alterität ausgerichtet, dennoch artikuliert Schlingensief in seinem künstlerischen Schaffen eine besondere Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Er lehnt den Herrschaftsaspekt vehement ab und macht sich in der avantgardistischen Gleichung von Kunst und Leben daran, sich der Alterität in ihrer Freiheitsform anzunähern. Dass Herr-schaft und Freiheit in einer unablässigen Pendelbewegung zueinander stehen, arbeitet Schlingensief in bemerkenswerter Weise heraus. Dass sich dabei eine Verdrängung der Alterität quasi unter der Hand, nicht selten unbewusst, unbemerkt und ungewollt re-produziert, ist der Beweggrund für die ‚Analysen der Alterität’, die somit über Schlingensief hinausführen und den Kontext seines Operndorfs übersteigen. Alterität verortet sich auf drei wesentlichen Beziehungsebenen: (1) auf der psychoanalytischen Ebene im Verhältnis zum eigenen Unbewussten, (2) auf der intersubjektiven, personalen Begegnungsebene zwischen ‚Ich’ und ‚Du’ und (3) auf der (Form-)Ebene gesellschaftlicher, kultureller und politökonomischer Verhältnisse. Die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen diesen drei Alteritätsebenen ist entscheidend für die Kulturanalyse, die die mediale dritte Ebene kultureller und systemischer Strukturen bevor-zugt behandelt. In den Alteritätsbeziehungen verschränken sich ‚Herrschaft’ und ‚Freiheit’. Dabei wird verhandelt, wer oder was der ‚Andere’ sein kann, und Aspekte von Verdrängung, Verkennung, Marginalisierung, Unterdrückung, Diskriminierung und zugleich Befreiung, Dekolonisierung, Emanzipations-, Widerstands- und Handlungsmöglichkeiten werden thematisiert. ‚Ich’ und ‚Du’ sind stets konstitutiv miteinander verknüpft. Das ‚Du’ ist dabei regelmäßig das ‚konstitutive Außen’ für das Zustandekommen des ‚Ichs’. Alterität ist ein wissenschaftspolitischer und philosophischer Begriff, der an dem Zweifel ansetzt, welche Einflüsse und Auswirkungen kulturelle, politische, ökonomische, soziale und psychologische Verhältnisse und Bedingungen für die Konstitution des ‚Anderen’ haben. Alteritätsuntersuchungen liegt die Auffassung zugrunde, dass der ‚Andere’ Konstruktionsprozessen unterworfen ist, die von der Machtförmigkeit kultureller Repräsentationen ebenso beeinflusst sind wie von der Bedeutung diskursi-ver Macht, politökonomischer Ordnungen und ambivalenter Affektstrukturen. Insgesamt geht es in der Alteritätsproblematik um die Frage, wie die dualistischen Strukturen, in denen der ‚Andere’ hierarchisiert und alterisiert, unter- bzw. übergeordnet und somit verkannt wird, aufgebrochen werden können und welche Mechanismen das Scheitern dieser Überwindung beschreiben. Wer sich für die Verkennungsstrukturen des ‚Anderen’ interessiert, der tut gut daran, den ‚Anderen’ als dekonstruktiven Moment des ‚Eigenen’ aufzufassen und kollektive Machtverhältnisse sowie ökonomische Un-gleichheitsstrukturen zu kritisieren. Alterität ist eine relativ junge Begrifflichkeit im deutschen Sprachgebrauch, auch wenn es Überlegungen zur erkenntnistheoretischen Problematik der Alterität bereits lange vor dieser begrifflichen Ausbildung gibt. Eine explizite Thematisierung lässt sich insbesondere auf französische Denker in den 40er Jahren zurückführen. Lévinas, Sartre und de Beauvoir beschäftigen sich erstmals systematisch mit einer Phänomenologie des ‚Anderen’. Zahlreiche psychoanalytisch, poststrukturalistisch, postkolonial und postok-zidental inspirierte Denker haben seitdem die Überlegungen zur Alterität aufgenommen und in neuen Theoriegebilden verarbeitet, wobei sie nicht umhin kommen, immer auch die Subjektivität selbst zu thematisieren. Sie verbindet jedoch der Argwohn, dass Subjektivität in diesem Spannungsfeld eher zum Herrschaftspol tendiert, so dass der methodologische Ausgangspunkt zur Bestimmung der Alterität zumeist in der Skizzierung von Abhängigkeitsverhältnissen liegt. Alterität – so lässt sich etwas pauschalisierend schlussfolgern – läuft stets Gefahr, zwischen die Mühlen der Verkennung zu geraten. Eine besondere Problematik im Hinblick auf Alterität dokumentieren der Befreiungsphilosoph Enrique Dussel und die Autoren des Postkolonialismus bzw. Postokzidentalismus. Sie stellen fest, dass Alterität an einem profunden Punkt zurückgewiesen wird, denn Eurozentrismus und Kolonialität – bzw. ‚europäische’ Überlegenheitsgefühle – formieren Prozesse der Alterisierung, die beharrlich einen grundlegend minderwertigen nicht-europäischen ‚Anderen’ als ihr spiegelverkehrtes Abbild generieren. Dussel und der Postokzidentalismus betrachten die herrschenden Verhältnisse konsequent aus Perspektive der kolonialisierten Alterität. Sie installieren den unterdrückten ‚Anderen’ als Exteriorität und koloniale Differenz, der somit den Ausgangspunkt zu einer positi-ven Befreiungspraxis markiert. Nur die exteriore Andersheit kann die hegemoniale gesellschaftliche Totalität tatsächlich (qualitativ) herausfordern und so etwas wie eine Grundintuition der Moral bewahren.
Abstract
(Englisch)
Christoph Schlingensief’s project „Opera Village Africa“ gives cause for a serious analysis of alterity. It concerns him that Africa is frequently experienced in terms of cultural imperialism, development aid and projective idealization or depreciation. Schlingensief tries to locate means and ways to escape from these dependencies of representation. His art does not explicitly bring alterity into line, however, Schlingensief articulates an exceptional examination of this topic. He disapproves of domination and rather attempts to approximate the latitude of alterity in the avantgardistic equation of art and existence. Schlingensief carves out a constant oscillating, reciprocating and antagonistic movement between power and resistance. The suppression and expulsion of alterity is oftentimes (re-)produced unconsciously, it proceeds unnoticed and unintentional. The analysis of alterity therefore transcends and exceeds the context of Schlingensief’s work. Alterity is positioned on three major dependency levels: (1) the psychoanalytic relation to the unconscious, (2) the intersubjective relation between ‚Me’ and ‚You’ as well as (3) the structures of social, cultural, political and economic relations. The exploration of the reciprocity and interplay of these dimensions of alterity is crucial for cultural analysis, while the latter primarily focuses on the intermediating effects of cultural and systemic structures. In respect to alterity power, resistance and endeavors to freedom entangle. They negotiate the other’s epiphany and determine its suppression, oppression, marginalization, rejection, and discrimination as well as its possibilities of liberation, de-colonization, emancipation and resistance. ‚Ego’ and ‚alter-ego’ are constitutive to one another. ‚Alter-ego’ is thus the ‚constituting exterior’ to the formation of ‚ego’. Alterity pertains to politics of critical science and applies as a philosophical concept that is eager to identify the cultural, political, economic, social and psychological repercussions that constitute the ‚other’. The analysis of alterity is based on the concept of social constructivism, and is therefore committed to constructivist processes that are both af-fected by the dependencies of representation, by discursive power, politico-economic structures and emotional textures. Alterity at large discusses the problem of dualistic structures that organize others hierarchically and that suppress, oppress and thus misconceive their ‚true’ figure. It also deals with strategies to surmount and vanquish these constraints. Hence someone who is interested in the structures of the other’s misjudgment should rather consider ‚otherness’ as a deconstructive and integral part of its ‚own’. At the same time it is necessary to revolt against relations of power and economic structures of inequality. Alterity is a fairly juvenile concept in German usage, even though epistemological considerations of alterity have long existed implicitly before the actual linguistic denotation. The explicit appropriation of the term can be dated to the works of French authors in 1940s. Lévinas, Sartre and de Beauvoir take up a systematic appliance of al-terity in phenomenology. Numerous psychoanalytical, poststructural, postcolonial and postoccidental authors have transformed this phenomenological notion of alterity. They have developed new theoretical concepts of alterity that usually pick out subjec-tivity as a central theme. These authors affiliate in the suspicion of subjectivity which is always bound to power and domination. So when it comes to the analysis of alterity the methodological starting point is mostly the delineation of dependency structures. Trivially speaking alterity is always in menace of extinction. The philosopher of liberation Enrique Dussel and other postcolonial and decolonial authors keep records of a particular set of problems that alterity is confronted with. They are aware of a profound exclusion and repudiation of alterity. Eurocentrism, coloniality, and ‚European’ sentiments of superiority consign processes of alterization that permanently construct otherness as an inferior and mirror-inverted image to European normativity. Dussel and post-Occidentalism are thus the philosophical advocates of alterity in the coloniality of power. The other’s exteriority or colonial difference is appointed as the true component of liberation praxis. It is exclusively the exteriority that is able to (qualitatively) challenge totalities and preserve the intuition of morality.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
alterity Schlingensief
Schlagwörter
(Deutsch)
Alterität Schlingensief Operndorf Afrika
Autor*innen
Jan Endrik Niermann
Haupttitel (Deutsch)
Schlingensief und das Operndorf Afrika
Hauptuntertitel (Deutsch)
Analysen der Alterität
Publikationsjahr
2011
Umfangsangabe
254 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Jens Kastner
Klassifikationen
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.00 Wissenschaft und Kultur allgemein: Allgemeines ,
08 Philosophie > 08.10 Nichtwestliche Philosophie: Allgemeines ,
08 Philosophie > 08.31 Metaphysik, Ontologie ,
08 Philosophie > 08.32 Erkenntnistheorie ,
08 Philosophie > 08.42 Kulturphilosophie ,
10 Geisteswissenschaften allgemein > 10.02 Philosophie und Theorie der Geisteswissenschaften ,
11 Theologie > 11.00 Theologie, Religionswissenschaft: Allgemeines ,
20 Kunstwissenschaften > 20.00 Kunstwissenschaften: Allgemeines
AC Nummer
AC08958658
Utheses ID
16330
Studienkennzahl
UA | 057 | 390 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1