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Fragile Kollektivitäten – kollektive Emanzipation
Überlegungen zur Bedeutung abhängiger Subjekte, menschlicher Verletzbarkeiten und der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch nahe Bezugspersonen für emanzipatorische Politik
Sophie Schneeweiß,
Simone Gaubinger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Birgit Sauer
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.18246
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29369.70310.436269-2
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
In der vorliegenden Diplomarbeit wird ein theoretischer Ansatz beschrieben und entwickelt, der emanzipatorische Kollektivitäten auf Basis und in Zusammenführung von Kritik an einem autonomen Subjektverständnis, der damit verbundenen Auseinandersetzung mit menschlicher Verletzbarkeit und in einem Fokus auf Gewalterfahrungen in Beziehungen – insbesondere in der Kindheit und Jugend durch nahe Bezugspersonen – beschreibt. Unsere Überlegungen konzentrieren sich dabei auf den österreichischen Kontext. In der Arbeit wird ausgehend von unter anderem feministischen, postkolonialen und behinderten Kritiken am autonomen Subjekt und auf Basis einer von Judith Butler entwickelten Theoretisierung von Subjektwerdung argumentiert, dass in nahen Beziehungen erlebte Gewalterfahrungen, ebenso wie strukturelle, gesellschaftlich vorherrschende Gewaltverhältnisse, wesentliche Auswirkungen auf die Subjektkonstitution haben. Eine hier ausgearbeitete Kritik an der cartesianischen autonomen Subjektkonzeption verweist zugleich auf eine Kritik an den bestehenden, strukturell wie individualisiert sich konstituierenden Gewaltverhältnissen. Wir gehen weiters von einem Zusammenhang zwischen einem autonomen Subjektverständnis, welches von einer mangelnden Berücksichtigung und Anerkennung menschlicher Verletzbarkeit gekennzeichnet ist, und einer adäquaten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Gewalt – noch einmal verstärkt bei der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch nahe Bezugspersonen, welche in der Privatsphäre stattfindet, aus. Als zentrale Grenze des autonom gedachten Subjekts und damit Kritik an eben diesem wird in einem zweiten Schritt in Anlehnung an Judith Butler sowie Nikita Dhawan und María do Mar Castro Varela das Konzept der Verletzbarkeit eingeführt. Verletzbarkeit wird definiert als von allen geteilte menschliche Grundbedingung, die sich jedoch zugleich immer nur spezifisch zeigt. Das bedeutet, dass alle Menschen grundsätzlich aufgrund des Körpers verletzbar und der Gefahr, Gewalt zu erleiden, ausgesetzt sind, jedoch Verletzbarkeit gleichzeitig politisch induziert und damit ungleich verteilt ist. In einem weiteren Schritt beschäftigt sich die Arbeit mit Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch nahe Bezugspersonen. Die Grundlage dafür ist ein queer-feministischer, intersektionaler Gewaltbegriff, mit dem versucht wird, alle im österreichischen Kontext wirksamen Achsen der Marginalisierung, die Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen beeinflussen und konstituieren, zu berücksichtigen. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Generationenverhältnis, insbesondere Adultismus (d.h. dem Machtungleichgewicht zwischen Erwachsenen und Kindern und der Diskriminierung von jungen Menschen aufgrund ihres Alters). Der dieser Arbeit zugrunde liegende Gewaltbegriff geht von einem Wechselverhältnis zwischen struktureller und direkter Gewalt aus und beschränkt sich nicht auf einzelne Gewaltformen, sondern hat den Anspruch, alle Gewaltformen (körperlich, sexualisiert, psychisch, emotional und verbal) in ihrer intersektionalen Beziehung zu einander zu beschreiben. Diese Überlegungen werden schließlich in Hinblick auf emanzipatorische Kollektivität zusammengeführt. Kollektivität verstehen wir in dieser Arbeit als Formen gemeinsamen politischen Handelns. Die Bezeichnung ‚emanzipatorische Kollektivität‘ bezeichnet Kollektivitäten, die sich gegen Gewalt(verhältnisse) positionieren und Praxen entwickeln, die diesen Gewaltverhältnissen zuwiderlaufen. Kollektivität wird weiters als eine potentielle Widerstandsform in den bestehenden, von Vereinzelung und Individualismus geprägten gesellschaftlichen Verhältnissen (in Österreich) verstanden. Sie verweist auf zwischenmenschliche Abhängigkeit und Verbundenheit und bietet damit die Möglichkeit, ‚andere‘ Subjektivierungsweisen, emanzipatorisch(er)e Umgangsweisen mit menschlicher Verletzbarkeit sowie mit der Tatsache der Gewalterfahrungen von Menschen in nahen Beziehungen zu entwickeln und damit gewaltvolle Verhältnisse gemeinsam zu verändern. In Hinblick auf zu entwickelnde Formen und Möglichkeiten emanzipatorischer Kollektivitäten streichen wir einige Punkte als zentral heraus: Begriffspositionierung und -Abgrenzung; emanzipatorische Formen: Allianzenbildung und emanzipatorischer Umgang mit Differenzen; die Diskussion der Frage, ob die Psychologisierung und Therapeutisierung von Gewalt als Privatisierung und Entpolitisierung gesellschaftlicher Verhältnisse einzuschätzen ist; Fragen zum Mitteilen von Gewalterfahrungen im Kontext eines gesellschaftlich dominanten Schweigens und individueller Abwehrmechanismen; und schließlich Fragen zu individueller sowie kollektiver Trauer um Verluste als Basis emanzipatorischer Kollektivität. Abschließend fassen wir die Erkenntnisse der Arbeit als politisch-ethische Forderungen für emanzipatorische Kollektivitäten gegen Gewalt zusammen und beschreiben einige über die Arbeit hinaus weisende Themen, die ausgehend von der erarbeiteten theoretischen Position untersucht werden könnten.
Abstract
(Englisch)
In the thesis at hand, a theoretical approach is described and developed, which characterizes emancipatory collectivities based on and in connection with the critique of an autonomous understanding of the subject, the related debate on human vulnerability and a focus on experiences of violence in relationships – especially through close attachment figures during childhood and adolescence. Our considerations focus on the Austrian context. In the thesis, using, among others, feminist, postcolonial and disabled critiques of the autonomous subject as a starting point and on the basis of a theoretization of subject formation, developed by Judith Butler, it is argued that experiences of violence within close relationships, as well as structural, socially prevalent relations of violence, have substantial effects on subjectivation. An elaborate critique of the Cartesian autonomous concept of the subject simultaneously points to a critique of the existing, structurally as well as individually constituted relations of violence. Furthermore, we assume a connection between an autonomous understanding of the subject, which is characterized by a lacking consideration and recognition of human vulnerability, and an adequate social debate on violence – even intensified when dealing with violence against children and adolescents through close attachment figures, which takes place in the private sphere. Following Judith Butler, as well as Nikita Dhawan and María do Mar Castro Varela, a concept of vulnerability is introduced as a central boundary of the autonomously imagined subject, and thus also the critique thereof. Vulnerability is defined as a basic human condition, which is shared by all, yet, at the same time, shows itself only specifically. This means that all humans are inherently vulnerable, due to the body, and exposed to the threat of experiencing violence, but that vulnerability is concurrently politically induced and thus unequally distributed. In a further step, the thesis deals with violence against children and adolescents through close attachment figures. The basis for this is a queer-feminist, intersectional concept of violence, with which we attempt to take into account all the effective axes of marginalization in the Austrian context, that can influence and constitute children’s and adolescents’ experiences of violence. Here, a special focus is laid on generational relations, especially adultism (i.e. the imbalance of power between adults and children and the discrimination of young people on the basis of their age). The concept of violence, which the thesis works with, assumes a correlation between structural and direct violence and doesn’t limit itself to individual forms of violence, but rather aims to describe all forms of violence (physical, sexualized, psychological, emotional and verbal) in their intersectional relationship to one another. These considerations are eventually consolidated with regard to emancipatory collectivity. We understand collectivity in this thesis as forms of collective political actions. The term ‘ emancipatory collectivity’ describes collectivities, which position themselves against (relations of) violence and develop practices, which run counter to these relations of violence. Collectivity is furthermore understood as a potential form of resistance within the existing social relations (in Austria), which are characterized by separation and individualism. It points to human dependency and affinity and thus offers the possibility to both develop ‘other’ ways of subjectification, (more) emancipatory ways of dealing with human vulnerability and with the fact of experiences of violence through people in close relationships, and to thus change violent relations together. In regards to the forms and possibilities of emancipatory collectivities, which are to be developed, we would like to stress several points as fundamental: conceptual positioning and differentiation; emancipatory forms; formation of alliances and emancipatory dealing with differences; the discussion of the question if the pychologization and therapeutization of violence is to be regarded as a privatization and de-politicization of social relations; questions concerning the disclosure of experiences of violence in the context of a socially dominant silence and individual defense mechanisms; and finally questions surrounding individual as well as collective mourning of losses as a basis for emancipatory collectivity. In conclusion, we sum up the realizations of the thesis as political-ethical demands for emancipatory collectivities against violence and describe certain themes beyond the thesis, which could be researched using the elaborated theoretical position.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Kritik am autonomen Subjekt Verletzbarkeit Gewalt gegen Kinder und Jugendliche emanzipatorische Kollektivität
Autor*innen
Sophie Schneeweiß ,
Simone Gaubinger
Haupttitel (Deutsch)
Fragile Kollektivitäten – kollektive Emanzipation
Hauptuntertitel (Deutsch)
Überlegungen zur Bedeutung abhängiger Subjekte, menschlicher Verletzbarkeiten und der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch nahe Bezugspersonen für emanzipatorische Politik
Publikationsjahr
2012
Umfangsangabe
267 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Birgit Sauer
Klassifikation
89 Politologie > 89.05 Politische Theorie
AC Nummer
AC09015276
Utheses ID
16344
Studienkennzahl
UA | 300 | | |
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