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Gewaltökonomisierung im Tschetschenienkonflikt
vom Gewaltmarkt zum Privatstaat Ramsan Kadyrows
Andreas Knapp
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Hans-Georg Heinrich
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.18297
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29257.55711.196953-5
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Diese Arbeit versucht die Frage zu beantworten, warum der Konflikt in Tschetschenien in einen epischen Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt ausarten konnte, der erst mit der Etablierung von Ramsan Kadyrows Regime sein weitgehendes Ende fand. Zu diesem Zweck geht diese Untersuchung von der Hypothese aus, dass sich der zu Beginn genuin politische Konflikt aufgrund der Inexistenz eines Gewaltmonopols in Kombination mit ausbeutbaren ökonomischen Ressourcen in einem Prozess der Gewaltökonomisierung zu einem Gewaltmarkt transformierte, in dem zu Gewaltunternehmern mutierte Politiker, Feld-kommandeure und Militärs entlang rationaler Kosten-Nutzen-Kalküle ihre partikularen öko-nomischen und politischen Interessen verfolgten. Damit entwickelten diese Akteure ein aus-geprägtes Interesse an der Fortsetzung des Konflikts und unterminierten gleichzeitig den Aufbau eines tschetschenischen Staatswesens. Politische Ideologien wie der tschetschenische Nationalismus und der von der arabischen Halbinsel eingesickerte militante Islamismus (Salafismus) wurden dabei zu ökonomischen Ressourcen der Gewaltunternehmer, welche von diesen zur Akkumulation von Kapital, politischer Unterstützung und der Mobilisierung von Kämpfern instrumentalisiert wurden. Der entstandene Gewaltmarkt perpetuierte sich selbst, und seine unerbittliche Logik führte zu einer politischen und militärischen Marginalisierung der primär ideologisch motivierten säkularen tschetschenischen Nationalisten um Aslan Maschadow. Damit war eine auf diesen Kräften basierende Lösung des Konflikts obsolet geworden. Den beiden mit äußerster Grausamkeit geführten russischen Militärinterventionen in Tsche-tschenien war es nicht gelungen, ein Gewaltmonopol zu etablieren. Vielmehr fachten sie die zerstörerische Dynamik des Gewaltmarktes weiter an, da sich Teile der russischen Truppen selbst zu Gewaltunternehmern gewandelt hatten, die vom Krieg ökonomisch profitierten und daher ein Interesse an seiner Fortsetzung entwickelten. Erst die mit skrupellosen Methoden betriebene Wiederherstellung eines Gewaltmonopols durch Ramsan Kadyrow, die mit dem Abzug des größten Teils der russischen Truppen einher ging, konnte den tschetschenischen Gewaltmarkt beenden. Die daraus resultierende relative Normalisierung der Sicherheitslage für die Bevölkerung verschaffte Ramsan eine gewisse politische Legitimität, die durch das umfangreiche russische Wiederaufbauprogramm für die kriegszerstörte Republik noch vergrößert wurde. Im Gegenzug für seine bedingungslose politische Loyalität gegenüber dem Zentrum stellte ihm die Administration Putin einen politischen und ökonomischen Blankoscheck aus, der auch eine Lizenz zu seiner persönlichen Bereicherung umfasst. Somit ist Rasman Kadyrow die Durchsetzung einer weitgehenden Autonomie Tschetscheniens innerhalb der völkerrechtlichen Grenzen der Russischen Föderation gelungen, die er für die Ausgestaltung seiner eigenen kleinen Privatdiktatur nützt. Als zentrale Stützen seines Regimes fungieren, neben seinen Sicherheitskräften, ein System der politischen Korruption und eine Islamisierung der Gesellschaft zum Zweck ihrer politischen Kontrolle. Wie das Experiment des Kadyrow’schen Privatstaates ausgehen wird, bleibt abzuwarten.
Abstract
(Englisch)
This master thesis tries to answer the question, why the conflict in Chechnya has escalated into an obviously epic vicious circle of violence that could only be stopped, at least to a large extent, by the creation of Ramazan Kadyrov’s regime. In order to achieve this goal, it draws upon the hypothesis, that the Chechen conflict was a genuinely political one, that changed its logic due to the absence of a monopoly of violence and the existence of exploitable economic resources in a process termed „economization of violence”, which led to the establishment of a market of violence. Given the strong economic incentives in such a market of violence to follow an „economized” logic, leading actors like politicians, field commanders and officers turned into entrepreneurs of violence who pursued their private economic and political interests. By doing so, they started to profit from the war. As a consequence, they developed a vested interest in the continuation of hostilities and undermined efforts to establish Chechen statehood. This logic of economization transformed political ideologies like secular Chechen nationalism or the militant version of Islam (Salafism), imported from the Arabian peninsula, into economic resources of the market of violence, which became a tool for the entrepreneurs of violence to accumulate capital, political support and recruit fighters. The fully fledged market of violence in Chechnya perpetuated itself and marginalized the secular Chechen nationalists led by Aslan Maschadov, since they were primarily motivated by their ideology, rather than short-term economic profit. Hence, a political solution based upon these forces turned out to be an increasingly illusionary option. Although waged with awesome cruelty, both Russian military campaigns failed to establish a monopoly of violence in Chechnya. On the contrary, Russian involvement exacerbated the situation, because it fueled the vicious dynamic of the Chechen market of violence, since parts of the Russian forces deployed there developed into entrepreneurs of violence themselves. Therefore, they too became interested in the prolongation of violence. Only the ruthless methods of Ramzan Kadyrov to establish a monopoly of violence, accom-panied by the withdrawal of the vast majority of Russian troops, eventually ended the Che-chen market of violence. The resulting normalization of the security situation supplied Ram-san Kadyrov with a certain degree of political legitimacy, which was accelerated by the vast reconstruction program launched by Moscow for the war-torn republic. In return for his un-conditional political loyalty, the Kremlin provided him with a carte blanche in political and economic terms, which included a license for his personal enrichment. In any case, Ramzan Kadyrov obviously accomplished a high degree of autonomy for Chechnya within Russia’s international borders, which he utilizes for the establishment of his private little dictatorship. As the main pillars of his regime besides his security forces, he entrenched a system of political corruption and initiated an extensive Islamization campaign in order to control Chechen society. The consequences of this experiment to create a privatized state, ruled by a former warlord, remain to be seen.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
conflict in Chechnya
Schlagwörter
(Deutsch)
Tschetschenienkonflikt
Autor*innen
Andreas Knapp
Haupttitel (Deutsch)
Gewaltökonomisierung im Tschetschenienkonflikt
Hauptuntertitel (Deutsch)
vom Gewaltmarkt zum Privatstaat Ramsan Kadyrows
Publikationsjahr
2012
Umfangsangabe
150 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Hans-Georg Heinrich
Klassifikationen
89 Politologie > 89.58 Politische Gewalt ,
89 Politologie > 89.76 Friedensforschung, Konfliktforschung ,
89 Politologie > 89.79 Internationale Konflikte: Sonstiges ,
89 Politologie > 89.83 Kriegführung ,
89 Politologie > 89.90 Außenpolitik, Internationale Politik
AC Nummer
AC09027859
Utheses ID
16392
Studienkennzahl
UA | 300 | | |
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