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Zeit ohne Zeugen
die Bedeutung von Zeugnissen zur Shoah für die Zeit nach den Zeitzeugen unter Berücksichtigung von ausgewählten Beispielen des österreichischen Shoah-Diskurses nach 1980
Johannes Daniel Binder
Art der Arbeit
Magisterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Klaus Davidowicz
DOI
10.25365/thesis.19186
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29701.71706.434959-0
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Zeitzeugen, Überlebende der Shoah haben in der unmittelbaren Vergangenheit und Gegenwart eine immens wichtige Rolle in Bildungs- und Vermittlungsbemühungen zur Shoah gespielt. In absehbarer Zukunft werden wir jedoch ohne sie auskommen müssen. Diese Arbeit geht von der These aus, dass Strategien für die Zeit nach den Zeugen stark auf videographierten lebensgeschichtlichen Interviews aufbauen werden und, dass die größte Herausforderung sein wird, die Autorität der lebenden Zeugen in der Arbeit mit den Videoaufzeichnungen weitestgehend zu erhalten.
Im ersten Teil dieser Arbeit werden zuerst die verschiedenen Bedeutungsebenen von “Zeugen” “Zeugnis” und “Zeugenschaft” theoretisch untersucht, eine als notwendig betrachtete Vorbedingung zum Verständnis der Bedeutung der Zeugenschaften. Im juridischen Kontext wird der Zeuge lediglich als problematische Auskunftsquelle wahrgenommen, dessen Zeugnis von einem stark regelmentierten Interaktionsritual vor Gericht dominiert wird. Ebenso die klassische Historiographie steht dem Augenzeugen kritisch gegenüber, lediglich in der jüngeren Vergangenheit gewinnt die “oral history” an Bedeutung. Philosophische Betrachtungen arbeiten sich weitgehend an der Frage des epistemischen Wahrheitsgehaltes eines Zeugnisses ab.
Im zweiten Teil werden die Erkenntnisse aus der Theorie mit den konkreten Zeugenschaften von Überlebenden der Shoah über ihre Erlebnisse konfrontiert. Es ergibt sich, dass die theoretisch erarbeiteten Kategorien und Erklärungen unzureichend sind, den Wert der Zeugenschaften zu begreifen. Die mitunter fehlende faktische Genauigkeit der Erinnerungen ist jedoch ebensowenig entscheidend für den Wert der Zeugnisse, wie die mitunter fehlende umfassende Darstellung bestimmter Ereignisse. Hilfreich an dieser Stelle werden die Konzepte des israelischen Philosophen Avishai Margalit herangezogen, der den Wert der Zeugenschaften zur Shoah in deren “moralischer Autorität” sieht. Das unmittelbare Erleben bzw. Erleiden verleiht den Überlebenden der Shoah die ultimative Autorität. Für diese Autorität ist irrelevant, ob alle Details in der Erzählung korrekt sind. Hier ist es auch notwendig, den Umstand, dass Überlebende der Shoah oft schwer traumatisiert sind, mit in Betracht zu ziehen. Der Überlebende der Shoah kann vielleicht nicht exakt beschreiben, was sich genau zugetragen hat, aber er kann beschreiben wie es sich angefühlt hat und was es bedeutet hat die Shoah zu überleben.
Für den dritten Teil der Arbeit wurden drei ExpertInnen aus drei weltweit führenden Forschungs- und Bildungsinstitutionen im Bereich Shoah-Forschung zu der Frage interviewt, wie sie in ihrer konkreten Vermittlungsarbeit mit dem Wegfall der Überlebenden umgehen. Es handelt sich um Amy M. Carnes (Associate Director, International Programs des Shoah Foundation Institute for Visual History and Education an der University of Southern California in Los Angeles, USA), Michael Haley Goldman (Director of the Global Classroom Initiative am United States Holocaust Memorial Museum in Washington DC) sowie Noa Mkayton (Leiterin der deutschsprachigen Abteilung an der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem, Jerusalem). In der qualitativen Analyse der Antworten ergibt sich, dass in allen drei Institutionen ein starkes Bewusstsein über den immensen Wert der Zeugnisse der Überlebenden vorherrscht. Die konkreten Ansätze für die Zeit nach den Zeugen bauen überwiegend auf videographierten mehrstündigen lebengeschichtlichen Interviews auf, die in allen drei Institutionen aufgezeichnet wurden. Am weitesten fortgeschritten ist zum Zeitpunkt der Analyse Ende 2011 die Arbeit an der Shoah Foundation in Los Angeles, die mit IWitness bereits ein einsatzfähiges Programm entwickelt haben, das seit Januar 2012 bereits in Schulen verwendet wird.
Abstract
(Englisch)
Starting point for this paper was the question, how it would be possible to proceed in holocaust education efforts in the not so distant future, when survivors would not be able be part of this effort any more. As a main thesis, I expect video recorded interviews with survivors to play a mayor role in the ideas for educational programs currently developed for the future. Furthermore I expect it to be crucial to maintain the authority of the survivors’ testimony in its video-graphed form and embedding in any program.
In order to answer the questions put forward, it is necessary to understand the special value of survivor’s testimony. Therefore a brief look at the theoretical meaning of “witness” and “testimony” in different contexts was deemed a necessary prerequisite. In the judicial field, the witness is reduced to a source for facts, which in court are supposed to be revealed in a highly formalized ritual. However the testimony of the witness is generally not to be trusted, a notion that is shared with the classical historiographic context of testimony. Recently, with wider acceptance of the methods of “oral history” this is more an more changing. Philosophical approaches to testimony and witnesses are centered on wether or not there was any “epistemical truth” in testimony. Applying the findings to witnesses of the Shoah in specific, quickly it becomes evident, that the theoretical concepts and thoughts on testimony fall short of being able to explain the value of the witnesses of the Shoah. The thoughts of Israeli philosopher Avishai Margalit provide the much needed help here. According to Margalit, it is not important if the testimony of a survivor of the Shoah is 100% accurate in it’s facts, or provides a profound overview of a specific event, something the often traumatized survivors would not be able to provide. The authority of the witness of the Shoah is a moral authority, derived from the personal experience or suffering of the survivor him or herself. A survivor cannot describe what exactly happened, but can describe how it felt, what it meant to be there and live through the Shoah.
The third part of the paper is dealing with the main research question: How can we continue once the survivors are not with us any more? In interviews conducted with three experts working for leading institutions in Holocaust education and research, I wanted to find out the strategies of these institutions to deal with the matter. These experts were: Amy M. Carnes (Associate Director, International Programs des Shoah Foundation Institute for Visual History and Education at the University of Southern California in Los Angeles, USA), Michael Haley Goldman (Director of the Global Classroom Initiative at the United States Holocaust Memorial Museum in Washington DC) and Noa Mkayton (Head of the German Desk at the International School for Holocaust Studies in Yad Vashem, Jerusalem). A qualitative analysis of the answers reveals, that all three institutions are fully aware of the special value survivors provided to their educational and outreach programs. All three of them are in different stages of preparations for the day, when they cannot be part of their programs any more. Most of the efforts are indeed based on video recordings of interviews with survivors. The most advanced answer has been developed by the Shoah Foundation in Los Angeles. Their program IWitness launched in a limited pilot phase in February 2012 and is already being used for Holocaust education in schools in the United States.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
holocaust shoah witness testimony
Schlagwörter
(Deutsch)
Holocaust Shoah Zeitzeuge Überlebende Zeugenschaft
Autor*innen
Johannes Daniel Binder
Haupttitel (Deutsch)
Zeit ohne Zeugen
Hauptuntertitel (Deutsch)
die Bedeutung von Zeugnissen zur Shoah für die Zeit nach den Zeitzeugen unter Berücksichtigung von ausgewählten Beispielen des österreichischen Shoah-Diskurses nach 1980
Paralleltitel (Englisch)
Time without witnesses
Publikationsjahr
2012
Umfangsangabe
124, XLI S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Klaus Davidowicz
AC Nummer
AC09351886
Utheses ID
17189
Studienkennzahl
UA | 300 | | |