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Was eigentlich so alles im Grab liegt
Schrein im Kontext ; sozialanthropologische Untersuchung der Bedeutung einer Sufigrabstätte im Sindh
Johanna Magdalena Guggenberger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Andre Gingrich
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.22122
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29945.34353.333765-7
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Beziehung zwischen dem im Grab Liegenden und Pilgernden zu entschlüsseln und in einigen folgenden Rahmen weiterzudenken und zu situieren. Zugrunde liegt allem die Idee eines dynamischen Dialogs, ähnlich der Beziehung zwischen dem Manifesten (äusseren) und dem Nichtmanifesten (inneren). Die bedeutendste und der Arbeit zugrunde liegende, daher forschungsleitende Frage war, was im Grab eigentlich alles liege. Dies ist die Basis für vier miteinander vernetzte Kapitel. Zunächst handelt es sich um sakralen Raum, der vom Heiligen Lāl Shahbāz Qalandar, einem muslimischen Mystiker des 13. Jahrhunderts, der in Sehwan Sharif, einer Stadt im inneren Sindh, Pakistan liegt, geschaffen und innerhalb eines imaginären Raums an Pilgernde übermittelt und von diesen in ebenjenem erfahren wird. Über Träume kommuniziert der Heilige etwa seine Befehle. Diese Anweisungen wirken allerdings auch auf einen materiellen, sichtbaren Raum ein. Am Beispiel seines Grabmals tritt dann zu Tage, dass dessen Schaffung und Planung vielen verschiedenen Beweggründen folgt. Manche von ihnen lassen sich, so die Erklärungen der Pilgernden, über des Heiligen Willen erklären. Dieser sakrale Raum kann aber auch als ein Raum der Schwelle, ein Grenzbereich oder interaktiver Zwischenbereich verstanden werden, der verschiedene Zustände miteinander kommunizieren lässt. Im zweiten Teil hat auch das Grab des Heiligen selbst eine wichtige Rolle, als Punkt und Markierung innerhalb der weitere Kreise ziehenden sakralen Netzwerke, die sich von ihm ausgehend über ganze Gegenden ziehen. An diesem Grab lassen sich allein anhand der dort befestigten Objekte und den an ihm angebrachten Ornamenten gewisse Geschichten ablesen. So ist das Grab etwa deutlich zwölfer- schiitisch besetzt, wenngleich nicht allein diese spezielle muslimische Sekte Zutritt erlangen darf, sondern alle, die kommen wollen. In jedem Fall bietet das Grab einen Anhaltspunkt und seine Skulpturalität wird mit dem durchdringenden verstehenden Blick, rūyā, der Pilgernden, die devotionale Handlungen verrichten, wie einfach den Heiligen besuchen, durchdrungen. Am Grab stellt sich Ruhe, sukkūn, ein, die Stress, Schmerz und alles Leid von den Pilgernden hält. Über gewisse Objekte, wie Teile der dem Heiligen täglich des morgens neu aufgesetzten Krone, lassen sich auch Besonderheiten anderer Orte zeigen. Wer etwa an der Pflege des Heiligen beteiligt ist, steht auch in spezieller Beziehung zu ihm und ebenso gilt das für die Plätze, an denen die vom Qalandar „benutzten“ Dinge weiterverwendet werden. Das Grab ist gleichermaßen Objekt und Inhalt, wie geformte Geschichte. Der Heilige fungiert 1. als Verbinder, 2. als Verbindung, 3. als Faden und 4. als Möglichkeit von... Dies gilt vor allem für die an seinem Grab entstehenden zwischenmenschlichen Netzwerke und Beziehungen von Pilgernden, die im dritten Teil der Arbeit behandelt werden. Wie verschieden auch immer die Hintergründe einzelner Pilgernder sind, finden sie über die Inbezugnahme auf den Heiligen in gewisser Weise zueinander., ohne allerdings ihre Besonderheiten und Unterschiede zu verlieren oder zu negieren. Die Möglichkeit die der Raum des Qalandar bietet ist vor allem eine der kommunikativen Interaktion. Dies bezieht sich auf die Pilgernden untereinander und auf den Heiligen selbst. Am Grab wird auch ein Entscheidungsraum, den ich mit dem Begriff der Arena charakterisiere, die in den Aushandlungen während dhamāl ersichtlich wird, geschaffen. Bedenkt man die Mannigfaltigkeit an Menschen und Zugänge, die an das Grab kommen, so scheint es, im vierten Teil der Arbeit, nicht überraschend, dass der Heilige selbst auch einer gewissen Form von Polyvokalität unterliegt. Einerseits existiert er in den Erfahrungen der Pilgernden, die ständig neue Geschichte mit und über ihn schaffen und andererseits existiert er in der Überlieferung, innerhalb einer sufischen Tradition von Qalandariyya ebenso wie der Erzählung über das Andere, die antinomische Derwische immer schon herausforderten. So spiegeln die Geschichten über den Qalandar vor allem immer auch die Gegenwart der Berichtenden. Er wird besonders als guter Muslim, als Anfang des Endes der Wildnis gedacht, die vor seiner Ankunft in Sehwan geherrscht haben soll. Er ist rein, pur, und keusch und dies ist auch der Ausgang für seine Kraft. Ein markanter Punkt in der kommunikativen Geschaffenheit der Ereignisse am Grab ist auch die Einbindung gewisser hagiographisch überlieferter Vorkommnisse und Wunder des Qalandar in persönliche Erfahrung. So leben einige Tropen etwa im Leben mit dem Schrein eng verbundener Menschen weiter. Allem zugrunde liegt der Glaube, dass der Heilige lebendig ist, in einer Position der Interzession zwischen Pilgernden und Allah, dass er so aktiv ist, gerne hilft und zuhört. Das Grab, ebenso wie seine Person kann so als Mittler, als Zwischenbereiche, als barzakh, besehen in alle Richtungen wirksam werden.
Abstract
(Englisch)
This present work is an attempt to decode the relation between pilgrims and that, which lies within the grave. This relation is then rethought and re- situated. Central is an idea of dynamic dialogue or dynamic interaction, which seems similar to the relation between the manifest, namely the outer domain and the immaterial, or inner domain. The question I started with and which led me to all further considerations was: what is dwelling within the grave? This question forms the basis for four interrelated chapters, the first of which is concerned with the many modes of sacral space as transmitted through material and imaginary realms. This space is created and made by Lāl Shahbāz Qalandar, a muslim mystic of the 13th century, whose shrine is situated in Sehwan Sharif, a town in interior Sindh, Pakistan. Within an imaginary realm, this notion of space is also conveyed to pilgrims and thereby experienced. In this context the saint is transmitting his commands through dreams. These orders also affect the material, visible space. As an example I cite the built shrine of the saint, which is planned and created because of various inducements. Some of these, following pilgrims´ accounts, can be understood as effectuated by the saint himself. Furthermore, sacral space can also be grasped as a boundary space, a space of the liminal, or interactive intermediary space, within which different states can communicate with each other. In the second part the grave as an object also becomes intrinsic, as a point as well as a mark inside the wider sacral networks, which are expanded and pulled further through the grave. Certain narratives are also becoming apparent through objects and ornaments attached to the grave. In a sense, narratives spin to and from the grave through attached objects and ornaments. The tomb is marked by shiite signs, which however do not imply an exclusive, but rather allow a shared and open space: Everyone willing, may enter. The grave, in any case, is seen as a reference point, as an indication and the pilgrims transcend its sculptural aspect through vision, rūyā, by virtue of their devotion and by them visiting the saint. Close to the saint, pilgrims experience a feeling of tranquillity or calm, sukkūn, which is keeping away stressful and painful emotions as well as suffering. A look at the tomb and certain attached objects there, also permits to draw conclusions about other places´ peculiarities, as certain parts of the saint´s crown move to other places, thereby sacralizing them. People, who are in one way or another occupied with producing pieces necessary for the devotional acts at the grave, also relate to the saint in special ways. The tomb is object as well as content and shaped/ sculpted history. The saint functions 1. as connector, 2. as connection, 3. as thread, and 4. as possibility of… It is of relevance especially for networks between people and their relationships, which are discussed in the third part. The pilgrims´ different backgrounds become somehow non-essential, because each of them is relating him/ herself to the saint. Their distinctiveness and differences are nevertheless neither negated nor lost. The possibility of the Qalandar´s space is best described as communicative interaction: between the pilgrims and between every single one of them and the saint. The grave and its special extensions are also constituting a certain space of decision, - an arena, reflected in the negotiating activities of dhamāl. Visiting people and their approaches vary widely and their diverseness is reflected in the polyphonic portrayals of the saint himself. On the one hand he exists in connection to pilgrims´ experiences with him, on the other hand inside historical transmission: within a sufic tradition of Qalandariyya as well as in stories about the Other, as such provoked by antinomian dervishes. In this sense, and in the fourth part of the thesis, stories and narratives about the Qalandar are always reflecting the present state of the person telling them. The saint is first and foremost a good Muslim, thought of as expelling wilderness, which is supposed to have ruled before him entering Sehwan. He is pure, immaculate and chaste. That seems a source of his potency. Certain hagiographically descended incidents are knit within the patterns of personal life- stories, thereby forming distinctive points within the communicative createdness of the events at the tomb. In this way, certain tropes of the saint´s life are continuing to act upon people closely connected to the shrine. At the core I found the strong belief of a somehow living saint, who is continually interceding on behalf of pilgrims, transmitting to and from Allah as an intermediary authority/ entity, - someone active, who listens and helps. The grave, as well as the saint, is in this way a “go- between”, an intermediary realm, is efficacious in all directions as a barzakh.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Pakistan shrine Qalandar death pilgrimage imagination vision Sufism community space
Schlagwörter
(Deutsch)
Pakistan Schrein Qalandar Tod Pilgerschaft Imagination Vision Sufismus Gemeinschaft Raum
Autor*innen
Johanna Magdalena Guggenberger
Haupttitel (Deutsch)
Was eigentlich so alles im Grab liegt
Hauptuntertitel (Deutsch)
Schrein im Kontext ; sozialanthropologische Untersuchung der Bedeutung einer Sufigrabstätte im Sindh
Publikationsjahr
2012
Umfangsangabe
V, 154 S. : Ill., Kt.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Andre Gingrich
Klassifikationen
11 Theologie > 11.84 Islam: Sonstiges ,
20 Kunstwissenschaften > 20.20 Ikonographie ,
20 Kunstwissenschaften > 20.25 Abstraktes ,
73 Ethnologie > 73.06 Ethnographie ,
73 Ethnologie > 73.20 Materielle Kultur: Allgemeines ,
73 Ethnologie > 73.53 Immaterielle Kultur ,
73 Ethnologie > 73.55 Religionsethnologie: Allgemeines ,
73 Ethnologie > 73.57 Kulte, Riten ,
73 Ethnologie > 73.64 Sprache, Kommunikation
AC Nummer
AC09573114
Utheses ID
19755
Studienkennzahl
UA | 307 | | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1