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Die Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern
Österreich und Kanada im Vergleich
Patricia Stefanie Gerlinde Pokorny
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Bea Verschraegen
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DOI
10.25365/thesis.23344
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29186.29610.237353-7
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Vor allem während großer Wirtschaftskrisen tritt die Thematik der Vorstands- und Geschäftsführerhaftung verstärkt in den Vordergrund, da gerade in Verlust- und Insolvenzfällen ein besonderes Bedürfnis besteht, die Frage der Verantwortlichkeit zu klären. Im Fokus dieser Arbeit stehen hierbei die Vorstände und Geschäftsführer österreichischer Kapitalgesellschaften sowie die directors einer kanadischen corporation, als zentrale Leitungsorgane. Diese Organtypen üben faktisch die Funktion eines Unternehmers aus, leiten gleichzeitig in eigener Verantwortung die Gesellschaft und haben eine Vielzahl von Rechten und Pflichten, die sie ordnungsgemäß und gewissenhaft auszuüben haben. Eine Verletzung dieser Pflichten kann eine Haftung begründen. Festgehalten werden kann, dass die Haftung von Organmitgliedern in beiden Rechtssystemen (case law vs kontinentaleuropäisches Rechtssystem) ein wichtiges Mittel zur Verhaltenssteuerung sowie neben wirtschaftlicher Incentivierung eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltiges wirtschaftliches Agieren ist. Die Haftungssituation ist dabei sowohl in Österreich als auch in Kanada besonders streng ausgestaltet. Basierend auf dem in dieser Arbeit bereiteten Überblick über das weitläufige Rechtsgebiet der Rechtsvergleichung sowie über die Stellung der Leitungsorgane des österreichischen und des kanadischen Rechts, beschäftigt sich die vorliegende Dissertation mit der Forschungsfrage, inwiefern die unterschiedlichen Rechtssysteme in Österreich und Kanada Auswirkungen auf die Haftung von Organmitgliedern, die Durchsetzung von Haftungsansprüchen sowie auf die Absicherung gegen solche Ansprüche haben und inwiefern diese Aspekte die Effektivität der Unternehmenssteuerung in einer Krisensituation aus rechtlicher Perspektive beeinträchtigen. Gleichsam wird anhand von Systemvergleich und mittels deduktionistischer Nutzung relevanter Fallstudien der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die relevanten kanadischen Gesetzesbestimmungen sowie Rechtsinstrumente auf die österreichische Rechtslage haben bzw haben könnten. Der Schwerpunkt der Betrachtung wird hierbei einerseits auf die möglichen direkten Einflüsse kanadischer Rechtsbehelfe auf das österreichische Haftungssystem, sowie andererseits auf die möglichen indirekten Auswirkungen auf die österreichische Rechtslage, bedingt durch die deutsche Positivierung der angloamerikanischen „Business Judgement Rule“ in § 93 dt. AktG, gelegt. Im ersten Teil der Arbeit werden dabei die verschiedenen Methoden der Rechtsvergleichung kritisch erörtert. Hauptaugenmerk liegt vor allem auf der Methode des Funktionalismus, welche als vorherrschende Methode davon ausgeht, dass jede Ausgangsfrage einer rechtsvergleichenden Arbeit rein funktional gestellt, dh das untersuchte Problem frei von den Systembegriffen der eigenen Rechtsordnung formuliert werden muss. Daran anschließend wird ein Überblick über die Grundstruktur des österreichischen und kanadischen Rechtssystems (civil law vs common law) im Allgemeinen geboten. Thematische Abfolge der Dissertation ist sodann die Darstellung der Stellung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern bzw der directors als Leitungsorgane der jeweiligen Kapital-gesellschaftsform sowie eine Erörterung der Kernpflichten dieser Organe und der sich hieraus ergebenden Haftungssituation. Ein eigenes Kapitel wird dabei der Haftungssituation im Falle der Insolvenz der Gesellschaft gewidmet, wobei auch auf die Möglichkeiten einer versicherungsrechtlichen Abdeckung des Haftungsrisikos näher eingegangen wird. Abschließend werden im letzten Teil dieser Arbeit - im Sinne einer „rechtsvergleichende Klammer“ - anhand von ausgewählten Fallbeispielen (Causa BAWAG und Peoples Department Stores Inc. (Trustee of) v. Wise), die vorher gewonnenen Erkenntnisse praktisch angewendet. Zusammenfassend kann dabei festgehalten werden, dass die Haftungsnormen des österreichischen und des kanadischen Rechts im Fall einer Pflichtverletzung oder sonstigen Obliegenheitsverletzung in ihren Grundzügen sehr ähnlich ausgestaltet sind, die in Kanada zustehenden Rechtsbehelfe („remedies“) jedoch vielfältiger sind, weshalb sich das Klagerisiko für die directors, vor allem im Insolvenzfall erhöht. Anzuführen ist dazu einerseits, dass die im Vergleich zu Österreich bedeutend höhere Anzahl an Klagen gegen Leitungsorgane in Kanada im Wesentlichen durch die Rechtstradition des common law mit einer verstärkten Klagefreudigkeit geprägt ist, wohingegen in Österreich über Jahrzehnte hinweg das Rechtsdenken bestand, nicht gegen Leitungsorgane einer Kapitalgesellschaft vorzugehen. Die Organhaftung hat somit in Österreich stets eine eher untergeordnete Rolle gespielt. In der Regel werden Ansprüche wegen eines Fehlverhaltens der Organe, welche seitens der Gesellschafter oder durch Dritte geltend gemacht werden, vielmehr von der Gesellschaft getragen. In Zusammenhang mit der Haftung von österreichischen Leitungsorganen ist problematisch, dass im Fall der Geltendmachung von Innenhaftungsansprüchen stets der die Gesellschaft vertretende Restvorstand bzw der Aufsichtsrat über Haftungsklagen gegen seinen eigenen Vorstand bzw gegen die Mitglieder der Geschäftsführung zu entscheiden hat, dieser jedoch oftmals selbst an der schadensbegründenden Handlung durch aktives Tun bzw Unterlassen mitgewirkt hat. Vor diesem Hintergrund wird der Restvorstand bzw der Aufsichtsrat bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen eher zurückhaltend agieren, da im Falle eines Haftungsprozesses stets auch seine Mitverantwortung wegen mangelhafter Überwachung des Vorstands bzw der Geschäftsführung geprüft wird. Ein nach § 134 AktG sowie nach § 48 GmbHG vorgesehenes Minderheitenrecht, nach dem einer 5%igen bzw 10%igen Minderheit das Recht zur Verfolgung nicht offenkundig unbegründeter Ansprüche zusteht, stellt hierbei auch nur einen schwachen Ausgleich da. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Vor- und Nachteile der Einführung einer dem kanadischen Vorbild der oppression remedy, nach der ein direktes sowie ausdrücklich gesetzlich verankertes Recht der Aktionäre bzw Gesellschafter, sowie auch anderer Anspruchsberechtigter besteht, gegen die Mitglieder des Leitungsorgans vorzugehen, sofern diese in unterdrückender, benachteiligender oder sonstiger unfairer Weise gehandelt haben, als auch die Möglichkeit einer Angleichung des österreichischen Minderheitenrechts an eine dem kanadischen Vorbild der shareholder derivative suit entsprechenden Regelung, nach der auch ein einzelner shareholder, unabhängig von dem Vorliegen eines bestimmten Mindestanteils am Grund- bzw Stammkapital der Gesellschaft klageberechtigt ist, diskutiert. Ziel wäre es, damit zu verstärkten Inanspruchnahme der Leitungsorgane sowie zu einer effektiveren Durchsetzung von Haftungsansprüchen im Fall einer rechtswidrigen und schuldhaften Pflichtverletzung beizutragen. Anzumerken ist dazu jedoch, dass angesichts des Umstandes, dass sowohl in Kanada als auch in Österreich die zivilrechtlichen Inanspruchnahme der directors von steigender Bedeutung ist, auch die D&O-Versicherung, als flankierende Maßnahme zur Absicherung gegen derartige Haftungsrisiken zukünftig an Bedeutung gewinnen wird.
Abstract
(Englisch)
Especially in times of economic crises the liability of the members of the management board is in the focus, as it becomes more and more important to clarify the question of responsibility, in particular in case of bankruptcy or insolvency. This thesis deals with the different aspects of directors’ liability by comparing the liability situation of the members of the board of directors of an Austrian company to this of a Canadian corporation. The management bodies act de facto as entrepreneurs, who run the company with great responsibility by acting carefully and conscientiously in accordance with their various rights and obligations. A breach of their duties may result in liability. In both legal systems (case law vs continental European legal system), the liability law is therefore often considered the most important means to control the behaviour of management bodies. In addition liability law plays an important role in relation to economic incentives, as well as for sustained economic behaviour. Nevertheless it should be noted that the Austrian as well as the Canadian legal system provide very strict liability rules. Based on an outline of the system of comparative law as well as of the role of the management bodies in Austria and Canada, the thesis deals with the question.  How do the different legal systems in Austria and Canada affect the liability of the board members?  How does the process of enforcement of liability claims and the coverage against such claims work?  How do these aspects affect the effectiveness of corporate management from a legal perspective in an economic crisis? From a practical point of view the thesis analyses in two case studies which impact the Canadian legal system or single legal provisions have or might have to the Austrian legal situation. The focus of the analysis lies on the one hand on the possible direct effects of Canadian remedies on the Austrian liability situation, as well as on the potential indirect effects to the Austrian legal system, due to the German positivity of the Anglo-American “Business Judgment Rule” in para 93 of the German Stock Companies Act. The first part of this thesis critically discusses the various methods of comparative law with the main focus on the so-called method of Functionalism. As the predominant method, Functionalism assumes that in the context of comparative law each initial question has to be placed in a “functional way”. This means that the examined problem should be analysed without recourse to the ideas of the own legal system. Subsequently, the next part offers a general survey of the basic structure of the Austrian and Canadian legal system (civil law vs common law). According to the thematic sequence, the thesis analyses thereafter the legal situation of Austrian directors and executive officers as well as of Canadian directors and takes a close look at the core duties and responsibilities of these management bodies. The following part deals with the liability situations in both countries, resulting from breaches of duties. A separate chapter is dedicated to the liability situation in the event of corporate insolvency, including special focus on the possibilities of insurance coverage and insurance policy to protect members of the executive board from legal liability risks. Finally the thesis applies - in sense of a “comparative bend” (“rechtvergleichende Klammer”) - the obtained postulates on specific judicial decisions (Cause BAWAG and Peoples Department Stores Inc. (Trustee of) v. Wise). In summary it should be noted, that the liability rules resulting from breaches of duties or breaches of other obligations are determined in a very similar way in both countries, but the Canadian legal system offers a lot more remedies. Accordingly, the liability risk for the members of the managing board increases, especially in corporate insolvency. It can be noted, that the significantly higher number of claims against management bodies in Canada - in comparison to Austria - is primarily influenced by the legal tradition of the common law system with increased claim probability, whereas the Austrian legal system was affected for decades by the postulate of not proceeding against the members of the managing board. Thus the liability situation of the members of the board of directors has always played a minor role in Austria. In general, actions against the managing board due to breaches of their duties and actions brought by the shareholders or by third parties are borne by the respective corporation. In terms of liability of the Austrian managing bodies it is furthermore problematic, that in case of assertion of internal liability the remaining members of the board of directors or the members of the supervisory board, who usually participated in the harmful and justifying action through positive action or through omission as well, are responsible to decide, if and how to claim their own board members. As a consequence the remaining members of the board of directors as well as the members of the supervisory board are usually very reluctant to act, if they failed to properly monitor the members of the board of directors. Para 134 of the Stock Corporation Act as well as para 48 of the Limited Liability Companies Act, which provide minority rights according to which a 5% or a 10% minority has the right to claim, provides only slight compensation. As part of this work this thesis discusses the pros and cons of introducting certain oppression remedies following the Canadian example, according to which a shareholders as well as other person have direct and explicit statutory rights to claim in respect of corporate conduct, that was oppressive or unfairly prejuidical to or that unfairly disregards the interests of these people. In addition the thesis discusses the pros and cons of an adjustment of the Austrian minority rights to the Canadian model of a shareholder derivative suit, according to which a single shareholder has the right to claim, regardless the existence of a certain minimum percentage of share capital. The aim would be to contribute to a more effective way of enforcement of liability claims in case of an unlawful and culpable breach of directors’ duties. In any case, given that civil liability plays both in Canada as well as in Austria an increasingly important role, this development leads to an increasing importance of the D&O (directors’ and officers’ liability insurance), a measure to safeguard against such liability risks.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Liability of directors by comparing the Austrian and the Canadian legal system
Schlagwörter
(Deutsch)
Haftung von Vorständen und Geschäftsführern im Rechtsvergleich zwischen Österreich und Kanada
Autor*innen
Patricia Stefanie Gerlinde Pokorny
Haupttitel (Deutsch)
Die Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern
Hauptuntertitel (Deutsch)
Österreich und Kanada im Vergleich
Publikationsjahr
2012
Umfangsangabe
XII, 265, XX S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Martin Schauer ,
Friedrich Rüffler
Klassifikation
86 Recht > 86.06 Rechtsvergleichung, Rechtsvereinheitlichung
AC Nummer
AC10684622
Utheses ID
20878
Studienkennzahl
UA | 783 | 101 | |
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