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Wege zu Peter Handkes "Die Lehre der Sainte-Victoire"
Georg Schiffleithner
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Klaus Kastberger
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.24551
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29576.95632.816666-7
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Im Herbst 1980 veröffentlichte Handke den zweiten Teil seines zur Tetralogie gewordenen Romanprojektes „Langsame Heimkehr“ unter dem Titel Die Lehre der Sainte-Victoire. Bei dem schmalen Buch handelt es sich um eine Erzählung, die aber gleichzeitig Passagen enthält, die eine Nähe zum Essay aufweisen und Handke selbst will sie auch ein wenig als Manifest verstanden wissen. Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Buch in der Zeit der Überwindung einer Existenz- und Schreibkrise des Autors entstanden ist, und er sich schreibend wieder Klarheit darüber schaffen wollte, was für ihn in Leben und Kunst bedeutend ist. Die autodiegetische Erzählinstanz trägt starke autobiographische Züge und man kann so in Hinsicht auf den Kunstaspekt ihre Stimme als diejenige Handkes auffassen und eine poetologische Lesart entwickeln. Die umfangreiche Sekundärliteratur hält sich zumeist an diese Perspektive und versucht, die Entwicklung einer neuen Poetik nach dem Vorbild des Malers Paul Cézanne zu erschließen, nachdem mit der alten gebrochen wurde. Einige Forschungsarbeiten zeigen aber auch, dass die dargestellte Kunst- und Schreibtheorie in Handkes Büchern schon Jahre früher zu erkennen ist und sich in der Erzählung nur deren konsequente Weiterentwicklung und pointierte Formulierung widerspiegelt; das Studium der Werkmaterialien bestätigt das. Die textgenetischen Quellen, die für die vorliegende Arbeit verwendet wurden, weisen auch darauf hin, dass neben diesen theorielastigen eine Fülle weiterer, gleichberechtigter Zugänge zum Text existiert – und existieren soll. Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wurde versucht, die schon begangenen interpretatorischen Pfade nachzuverfolgen und mit Hilfe der Notizbücher Handkes zu stützen oder auch Unsicherheiten aufzuzeigen. Da man auf keinen Fall an Cézanne vorbeikommt, wenn man sich ernsthaft mit der Erzählung auseinandersetzen will, wurde der Versuch unternommen, die Eckpunkte seiner Theorie zu umreißen, soweit sie für das vorliegende Thema wichtig sind. Neben dem auch von Handke verwendeten Cézanneschen Begriff der „réalisation“, der „Verwirklichung“, wurden das „motif“ (Motiv und Motivation) und vor allem die „sensation“ erläutert. Dieser Begriff bezeichnet beim Maler einen an sein Inneres rührenden Sinneseindruck, der als Ausgangspunkt für die „réalisation“ dient und der „Auge und Gehirn“ gleichzeitig anspricht. Die Äußerungen Cézannes zu seiner Theorie sind sporadisch auf seine Briefe und einige, von jüngeren Freunden geschriebene, Veröffentlichungen verteilt. Wie sich aus den Werkmaterialien ablesen lässt, hat sich Handke mit diesen Quellen beschäftigt, man erkennt aber auch, wie weit er schon davor, allein aus der Anschauung der Bilder, wesentliche Ideen des Malers erkannt hatte. Um die wahrnehmungstheoretischen Aspekte zu erhellen, die bei Cézanne offensichtlich und bei Handke wichtig sind, wurde ein Exkurs zu phänomenologischen philosophischen Theorien unternommen, wobei insbesondere Maurice Merleau-Pontys Beschäftigung mit Cézanne herangezogen wurde. Dabei wurde ersichtlich, dass sich die Ideen mit den Vorstellungen Handkes durchaus in Deckung bringen lassen, dass aber von Seiten Handkes keine „wissenschaftliche“ Beschäftigung mit philosophischen Theorien zu erwarten, und folglich auch nicht in seiner Erzählung nachvollziehbar, ist. Vielmehr konnte am Beispiel Spinozas gezeigt werden, dass der Umgang mit seiner Ethik im Rahmen des Schreibprozesses eher oberflächlich bleibt und die Zitate auch nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgewählt und eingefügt werden. Was Handke und Cézanne eint ist, dass beide ihre Werke kleinteilig aufbauen und sich so beiden bei der Produktion das Problem von Zusammenhang und Verschränkung stellt. Das zweite große Anliegen dieser Arbeit stellte die textgenetische Untersuchung im engeren Sinn dar, im Rahmen derer die Entstehung der Lehre der Sainte-Victoire nachverfolgt wurde. Aus den Materialien lässt sich ablesen, dass sich bei Handke das Schreiben grundsätzlich in zwei Modi vollzieht. Einerseits notiert er konsequent in seinen Notizbüchern Wahrnehmungen, Ideen und Gedankenfolgen, ohne dass er dabei schon konkrete Vorstellungen von einem später zu druckenden Text hätte. Der andere Modus betrifft das Schreiben an der eigentlichen Erzählung, das sich innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne vollzieht. Handke tippt dabei den Text auf der Schreibmaschine ohne Unterbrechung, auch materiell in komprimierter Form – die im Drucktext 130 Seiten umfassende Erzählung findet in der Urfassung auf 30 Blättern Platz. Auch die Notizbücher werden unter diesem Aspekt des Schreibens verwendet, indem dort Korrekturen vermerkt oder verschiedene Formulierungen ausprobiert werden. Durch penible Datierung in Typoskript und Notizbuch lassen sich die beiden problemlos in Deckung bringen. Die Notizbücher, die fast ausnahmslos „draußen“ geschrieben werden, stellen die Arbeitsgrundlage schlechthin für die Textentstehung der Lehre der Sainte-Victoire dar. Es finden sich nahezu sämtliche Reflexionen, die der Erzähler anstellt, in einer Form in den Notizen, und weite Strecken des Textes sind sogar mehr oder weniger wörtlich mit Notizbucheintragungen in Deckung zu bringen. Die großen Linien der Erzählung ergeben sich aus den Notizen in den Monaten vor Schreibbeginn an der Urfassung im März 1980, wenn es aber darauf ankommt, einen Gedankengang oder eine Idee darzustellen, sind es oft Notizen der letzten Tage, die in der Urfassung auftauchen. Man kann insofern von einer gewissen Spontaneität im Schreibprozess sprechen, die sich auch darin zeigt, dass die in der Erzählung erwähnten und zitierten fremden Werke jeweils kurz vor ihrem Erscheinen in der Urfassung gelesen wurden. Auch wenn die Notizbücher nahe legen, dass sich der Schreibprozess bei den anderen Teilen der Tetralogie ebenfalls so vollzogen haben könnte, können nicht alle Ergebnisse bedenkenlos übertragen werden. Die Lehre der Sainte-Victoire ist bemerkenswert kurzfristig geplant und erstellt worden, Pläne für die beiden nachfolgenden Bücher sind in den Notizbüchern schon lange vor der ersten Erwähnung der Erzählung zu finden. Sie ist ein spontanes Produkt. Nach dem Abschließen der Urfassung ist Handke dezidiert mit dem Text fertig: Er notiert mehrfach, die Erzählung „beendet“ zu haben, obwohl danach noch mehrere Fassungen entstehen, bis der Text in den Druck geht. Diese Fassungen ähneln sich weitgehend, die Korrekturen betreffen zumeist wenige Worte, Streichungen und Ergänzungen ganzer Passagen bilden die Ausnahme. Parallel wird bereits an der Urfassung des nachfolgenden Textes gearbeitet.
Abstract
(Englisch)
In 1980 Peter Handke’s The lesson of Mont-Sainte-Victoire (original title: Die Lehre der Sainte-Victoire) was published, its author thought of the story as being an essay and a little bit of a manifesto at the same time. The book was written during a period of time where a general crisis affecting Handke was drawing to its end, it served to identify the important matters in both, life and art. The first-person narrator has an autobiographical touch but should only be identified with Handke as far as it concerns the poetic aspects. The first part of the study resembles an attempt to illuminate the theoretical basis of Handke’s poetics using different approaches. Via three terms of Paul Cézanne – “motif”, “sensation” and “réalisation” – his method and his ideas are recapitulated and compared to Handke’s interpretation. It turns out that the author had not only studied the paintings in detail, but also used secondary literature to develop his own sight. Building on that, a phenomenological interpretation of Cézanne by Maurice Merleau-Ponty is used to illuminate the way of visual perception followed by both artists. It’s also shown that Handke reads various philosophical works influencing his writing, albeit quotations in his text are mainly chosen for aesthetic reasons. The second part approaches the text’s genesis, the results of an analysis of archived materials representing the writing process are pointed out. Handke uses two modes of writing: he constantly takes notes in his notebooks and he writes texts to be published within determined time periods. The notebooks are the most important basis of all further writing, as the author takes the story line, the ideas and also a lot of text material out of those. When working on a book he uses a typewriter to produce an original version during a brief spell of a little more than a month, before he produces several copies serving for amendments and correction. During this time his notebooks affiliate with the writing process: the notebooks contain ideas for amendments and noted perceptions as well as noted ideas are entered in the text spontaneously. Handke also does so with quotes from books he is reading in the period of text composition. The amount of time used for conception and writing of the story is remarkably short, giving the text the character of an instantaneous product – in opposition to many other texts intended over a long period of time.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Handke Peter Handke Lehre der Sainte-Victoire Textgenese critique génétique Aix-en-Provence Maulbeerbaum
Autor*innen
Georg Schiffleithner
Haupttitel (Deutsch)
Wege zu Peter Handkes "Die Lehre der Sainte-Victoire"
Publikationsjahr
2012
Umfangsangabe
111 S., [6] gef. Bl. : Ill.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Klaus Kastberger
Klassifikationen
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.78 Textkritik ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.81 Epik, Prosa ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.90 Literatur in Beziehung zu anderen Bereichen von Wissenschaft und Kultur ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.97 Texte eines einzelnen Autors
AC Nummer
AC10676126
Utheses ID
21938
Studienkennzahl
UA | 332 | | |
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