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1986/88 - die „Affäre Waldheim“ und der Wandel der österreichischen Erinnerungskultur im europäischen Kontext
Werner Reisinger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Oliver Rathkolb
DOI
10.25365/thesis.26554
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30178.70011.823053-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die Arbeit „1986/88 – Die ‚Affäre Waldheim‘ und der Wandel der österreichischen Erinnerungskultur im europäischen Kontext“ untersucht einerseits die zentrale Bedeutung der Waldheim-Affäre für das Aufbrechen der in Österreich bis in die 1980er Jahre etablierten These von Österreich als dem „ersten Opfer der Aggression Hitlerdeutschlands“ und stellt andererseits die österreichische Entwicklung als Teil des europäisch-westlichen Paradigmenwechsels der Erinnerungskulturen der 1980er Jahre dar. Seit dem cultural turn der Geisteswissenschaften ist „Gedächtnis“ zu einem Leitbegriff derselben geworden, das starke Interesse an Erinnerungs- und geschichtspolitischer Forschung seit den 1980er Jahren ist dabei kein Zufall: Die Zahl der Zeitzeugen und Überlebenden der Verbrechen der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs nimmt seitdem beständig ab, das daraus folgende konsensuale Bedürfnis nach Kanonisierung, Konservierung und Interpretation der Erfahrungen und Erinnerungen dieser Zeit führte zum Anknüpfen an ältere erinnerungskulturelle Forschungen. Jan und Aleida Assmann haben die von Maurice Halbwachs schon in den 1930er Jahren eingebrachte Theorie des kollektiven Gedächtnisses weiterentwickelt und zu einer Theorie der sozialen, kommunikativen und kultu-rellen Gedächtnisse ausdifferenziert. Diese kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorie dient der Arbeit als methodisches Schema.
Die frühen Nachkriegsjahre waren in Österreich gekennzeichnet durch eine rasche Zäsur gegenüber der Zeit des Nationalsozialismus mittels kollektiver Verdrängung bei Inkaufnahme von personellen Kontinuitäten, die Externalisierung von Verant-wortung für die während der NS-Zeit verübten Verbrechen und die Etablierung der offiziösen Opferdoktrin. Im Laufe der 1950er Jahre kam es in Österreich zu einer Konjunktur der Errichtung von Kriegerdenkmälern, die die ehemaligen Soldaten der Wehrmacht im Sinne ihrer Pflichterfüllung als „Helden des Vaterlandes“ darstellte. Erst mit der „Affäre Waldheim“ 1986 begann die „Opferthese“ als gesellschaftlicher Konsens aufzubrechen und in einen heftigen Widerstreit der Erinnerungskulturen überzugehen. Zumindest auf offizieller Ebene wurde Österreich nicht mehr nur als Opfer, sondern auch als Täter dargestellt („Mitverantwortungsthese“). Zudem setzte ein Wandel der politischen Kultur ein.
Eine Analyse von drei zentralen, stark medialisierten Bildern der Waldheim-Affäre stützt sich auf die von Benjamin Drechsel verwendete Definition von (politischen) Bildern sowie der von Marion G. Müller entwickelten Methodik zur Bildanalyse und –interpretation. Die Analyse beleuchtet die Rolle und Bedeutung der Bilder für die im Präsidentschaftswahljahr 1986 beginnende intensive Auseinandersetzung um Kurt Waldheims Kriegsvergangenheit und zeigt, dass Bilder nicht nur eine zentrale Bedeutung bei der Entstehung und der folgenden Dynamisierung der Affäre hatten. Insbesondere anhand der Wahlkampfplakate wird die Reaktion auf die Enthüllungen zu Waldheims Kriegsvergangenheit auf den politischen und gesellschaftlichen Ebenen nachvollziehbar. Waldheims Bildnis ist fallweise zu einer politischen Ikone geworden, es steht paradigmatisch für das „österreichische Verdrängen“ und die Abwehr der Verantwortung. In Waldheims Person bzw. in der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzung um sein Verhalten bezüglich seiner lückenhaften Biografie verdichtete sich das Selbstverständnis nicht nur der Kriegsgeneration als „Opfer“, welche sich nach innen hin solidarisierte und sich nach außen hin abgrenzte. Ablesbar wird diese Dynamik nicht zuletzt an Waldheims deutlichem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Juni 1986.
Hauptgründe für den Zeitpunkt der „Affäre Waldheim“ waren neben innenpoliti-schen Dispositionen vor allem der generationelle Wechsel und das Entstehen einer österreichischen Zivilgesellschaft sowie die Einwirkung des von den USA ausgehenden Paradigmenwechsels der Erinnerungskultur und Forschung, also ein von außen kommender Druck auf die damalige österreichische Erinnerungskultur und -politik. Die Veränderungen der jeweiligen nationalen Täter- oder Opfernarrative in ausgewählten europäischen Staaten zeigen einen internationalen Aufbruch der Erinnerungsnarrative in den 1980er Jahren.
Die „Mitverantwortungsthese“ ist inzwischen nicht nur auf offizieller, politischer Ebene und jener des kulturellen Gedächtnisses, sondern auch im gesellschaft-lichen Mainstream etabliert. Zahlreiche erinnerungskulturelle Projekte belegen den Wandel der Eigenwahrnehmung der Vergangenheit und zeigen eine stärkere Auseinandersetzung mit Fragen von Schuld und Verantwortung sowie teilweise eine Hinwendung zu marginalisierten Opfergruppen des NS-Terrors, als mittlere Konsequenz der Veränderungen nach der „Affäre Waldheim“ ist auch die Praxis von staatlicher Kompensation für Verfolgte und Opfer des NS-Systems und die damit verbundene Einrichtung von entsprechenden Institutionen anzusehen.
In den letzten 10 Jahren intensivierte sich der Diskurs über die Möglichkeit eines „europäischen Gedächtnisses“, in dem der Holocaust und die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs als kollektive Bezugspunkte und mögliche europäische Gründungsmythen teils kontrovers diskutiert werden.
Abstract
(Englisch)
The thesis “1986/1988 – Die ‘Affäre Waldheim’ und der Wandel der österreichischen Erinnerungskultur im europäsichen Kontext” examines on the one hand the central meaning of the Waldheim Affair for the change of the established narrative that Austria is the “first victim of the aggression of Hitler-Germany”, and shows on the other hand the Austrian development as a part of the European-western paradigm shift of the culture of remembrance of the 1980s. Since the cultural turn of Geisteswissenschaften, “remembrance” became its central concept. The strong interest in research on the politics of memory since the 1980s is not a coincidence: The number of contemporary witnesses and survivors is consistently declining since then, the from this resulted necessities for canonising, conservation and interpretation of the experiences and memories of this time led to the connection on earlier research on the culture of remembrance. Jan and Aleida Assmann refined the theory of collective memory by Maurice Halbwachs from the 1930s, and established a theory of social, communicative and cultural remembrance. This cultural studies theory of remembrance is the methodological basis for this paper.
The early post-war years in Austria were characterised by a fast caesura with respect to National Socialism and acceptance of personnel continuities, externalisation of the responsibility for the committed crimes during the Nazi era, and the establishment of the semi-official victim doctrine. During the 1950s, there was a boom of raising war memorials in Austria, which presented the former Wehrmacht soldiers as having fulfilled their duties and as “heroes of the fatherland”. Only with the Waldheim Affair in 1986 the societal consensus of the “victim theory/victim thesis” broke and passed into a fierce conflict of cultures of remembrance. At least on an official level, Austria was not seen as a victim anymore, but as an offender (“thesis of co-responsibility”). Furthermore a change of the political culture started.
An analysis of three central, strongly mediatised pictures of the Waldheim Affair is following the definition of (political) pictures by Benjamin Drechsel, as well as the methodology of image analysis and interpretation by Marion G. Müller. The analysis looks at the role and meaning of the pictures for the presidential election year 1986 and the then started intense debate on Waldheim’s war history, and indicates that pictures do not only have a central meaning regarding the establishment and the following dynamics of the affair. Especially the election posters show the response to the revelations about Waldheim’s war history on a political and societal basis. Waldheim’s image occasionally became to a political iconic figure, it stands pragmatically for the “Austrian repression” and the resistance to responsibility. With Waldheim’s person, respectively in the political-societal controversy about his fragmentary biography, the self-conception of war generations as “victims”, which was solidarised to the inside and isolated to the outside, condensed. This dynamic can especially be seen at Waldheim’s clear triumph at the presidential elections in June 1986.
The main reasons for the point of time of the Waldheim Affair were – besides the domestically dispositions –, above all the generational change and the development of a civil society, as well as the influence of the paradigm shift in remembrance culture and research (mainly coming from the USA). Thus, there was a particular pressure on the Austrian remembrance culture coming from the outside. The changes in the national offender or victim narrative in elected European states show an international awakening of the remembrance narratives in the 1980s.
By now, the “thesis of co-responsibility” is not only established on an official, political level and on the level of cultural remembrance, but also on the societal mainstream. Numerous projects on cultural remembrance document the shift to self-awareness of the past and show a stronger involvement with questions about guilt and responsibility as well as partly steering towards marginal victim groups of the Nazi regime. The governmental compensation of persecutees and victims of the Nazi system and the raising of various institutions for them can be seen as another result of the Waldheim Affair.
In the last ten years there was a more intense discourse about the possibility of a “European remembrance”, where the holocaust and the catastrophe of World War II as collective benchmarks and possible European founding myths are partly controversially discussed.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Österreich Erinnerungskultur Waldheim NS Zeit Gedächtnis Zeitgeschichte
Autor*innen
Werner Reisinger
Haupttitel (Deutsch)
1986/88 - die „Affäre Waldheim“ und der Wandel der österreichischen Erinnerungskultur im europäischen Kontext
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
101 S. : Ill.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Oliver Rathkolb
Klassifikation
15 Geschichte > 15.07 Kulturgeschichte
AC Nummer
AC10770000
Utheses ID
23734
Studienkennzahl
UA | 312 | | |