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"Kwiaty polskie" Juliana Tuwima jako miejsce spotkań kultur: polskiej, rosyjskiej i żydowskiej
Julian Pokay
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Alois Woldan
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.26599
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29122.53327.636465-6
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, die sich am Schnittpunkt zwischen Literatur- und Kulturwissenschaft bewegt, ist ein Spätwerk des polnischen Dichters Julian Tuwim – das unvollendet gebliebene Poem Kwiaty polskie (Die Polnischen Blumen) aus dem Jahr 1949. Mein Ziel war es, drei Themenbereiche zu skizzieren, die das Poem maßgeblich gestalten – den polnischen, russischen und jüdischen. Eine „Inventarisierung von Motiven“ wollte ich jedoch vermeiden; es ging mir viel mehr darum, die von ihnen gebildete geistige Landschaft wiederzugeben. Aus diesem Grund musste die Thematik relativiert und im Hinblick auf die Konstruktion des Poems analysiert werden – diese erklärt viel von der Mechanik der Digressionen und Anspielungen im Werk. Auch die Entstehungsgeschichte trägt zum Verständnis der Themenbereiche und ihrer Verbreitung im Werk bei, deswegen wird ihr in dieser Arbeit entsprechend viel Aufmerksamkeit geschenkt. Hauptziel war es jedoch, jene drei Themenbereiche herauszufiltern, sie zu kommentieren und gegebenenfalls in Untergruppen zu teilen. Kwiaty polskie sind ein „offenes” Werk und haben bei polnischen Kritikern unterschiedlichste Meinungen hervorgerufen. Um voreilige Schlussfolgerungen zu vermeiden, erschien es mir wichtig, die Rezeptionsgeschichte in Polen und der Emigration darzustellen, sowie die eigene Interpretation auf dem Hintergrund der mehr als sechzigjährigen Forschungsgeschichte zu verankern. Diese wird einem Werk wie Kwiaty polskie leider nicht gerecht – wenn man die Forschungsliteratur zu anderen bedeutenden Versepen der polnischen Literatur wie Pan Taduesz von Adam Mickiewicz oder Beniowski von Juliusz Słowacki vergleicht, so sticht die Disproportionalität doch ins Auge. Die Abgrenzung der polnischen, russischen und jüdischen Realitäten in Tuwims vielschichtigem Poem mag als willkürliche Auswahl von Themen kritisiert werden. Diese Entscheidung respektiert jedoch die Bedeutung dieser Realitäten in Tuwims Biographie, sowie die ihnen im Werk zugedachten Proportionen. An dieser Stelle wurde ich mit einem ersten Problem konfrontiert, nämlich auf inhaltlicher Ebene. Prinzipiell wäre ein eingeschränkter Kulturbegriff für die Gestaltung der Arbeit und Systematisierung der Anspielungen förderlich gewesen – Kultur als Nationalliteratur, Theater, Musik etc. Eine derartige Kulturdefinition würde jedoch Tuwims künstlerischen Absichten Unrecht tun und zu einer inakzeptablen Vereinfachung führen. Ich habe mich daher für einen erweiterten Kulturbegriff entschieden, der verschiedenste Bereiche menschlicher Tätigkeit in sich vereint. Das wichtigste Hilfsmittel bei der Auswahl der zu analysierenden Anspielungen war jedoch der inhaltliche und emotionale Status, den diese für den Dichter hatten – so konnte ich in Tuwims Kosmos die „hellsten Sterne” finden. Ein methodologisches Problem, das sich mir stellte, hängt mit dem von Tuwim geschaffenen komplexen System von Digressionen zusammen. Kwiaty polskie gehören einer literarischen Gattung an, die zum Zeitpunkt ihrer Publikation als anachronistisch gelten musste, nämlich dem digressiven Poem. Słowackis Beniowski, Alexander Puschkins Eugen Onegin oder Lord Byrons Don Juan sind Beispiele für diese Gattung, die weite Verbreitung in der europäischen Romantik gefunden hat. Es gab später Wiederbelebungsversuche, die meisten blieben jedoch erfolglos. Man könnte alle Inhalte, die den Erzählfluss überschreiten, als Digressionen ansehen und sich dabei auf gängige literaturtheoretische Definitionen stützen, was jedoch wieder eine Vereinfachung wäre. In Słowackis Beniowski kommen einerseits auf die Rahmenhandlung bezogene und deutlich abgegrenzte reflexive Digressionen vor, andererseits lyrische Digressionen, die sich von der Rahmenhandlung entfernen. Bei Tuwim entspringen die Abschweifungen auch aus dem Handlungsstrang, werden aber oft zu Digressionen in Digressionen (Subdigressionen) oder Digressionen über Digressionen (Metadigressionen). Ich habe mich für einen Kompromiss entschieden und bin schließlich doch bei dem literaturtheoretischen Terminus „Digression” geblieben. Es sei jedoch angemerkt, dass man im Fall dieses einzigartigen Poems Begriffe benützen müsste, die nicht per se literaturkritisch sind, wie: Anspielung, Andeutung, Erinnerung, Reminiszenz usw. Die Arbeit stützt sich auf eine Ausgabe des Poems, die von den Forschern einstimmig als die führende bezeichnet wird – Kwiaty Polskie mit einem Kommentarapparat von Tadeusz Januszewski (1993). Aus der nicht so zahlreichen Sekundärliteratur habe ich Texte gewählt, die in der Interpretationsgeschichte des Werks richtungsweisend waren und zu wichtigen Stimmen in der Polemik über die Stellung von Kwiaty polskie im literarischen Diskurs geworden sind. Erwähnenswert sind vor allem Artur Sandauers Überlegungen aus dem Band Poeci czterech pokoleń (Die Dichter von vier Generationen) und Michał Głowińskis Thesen in seinem umfangreichen Essayband Poetyka Tuwima a polska tradycja literacka (Tuwims Poetik und die polnische literarische Tradition). Nicht zu vergessen ist auch Kazimierz Wykas Interpretation. Hilfreich bei der Arbeit war auch die Einführung zu Kwiaty polskie von Piotr Michałowski, einem der bedeutendsten Kenner von Tuwims Werk. Es wurden auch einige Versuche unternommen, Tuwims Poem in der Landschaft der polnischen Kriegs- und Nachkriegslyrik zu verankern – eine der gelungensten mag die von Edward Balcerzan sein. Zwei Monographien – von Piotr Matywiecki und Jadwiga Sawicka – sind weitere wichtige Beiträge zur Tuwim-Forschung. Im deutschsprachigen Raum ist der Aufsatz von V. Falkenhahn Stilistische und verstechnische Besonderheiten in den „Kwiaty polskie“ von Julian Tuwim aus dem Jahr 1959 erwähnenswert. Da es sich bei Kwiaty polskie um ein stricte autobiographisches Werk handelt, beziehe ich mich in jedem Kapitel der Arbeit auf Tuwims Biographie und greife mehrmals auf seine Erinnerungen und die seiner Zeitgenossen zurück. Ich berufe mich auch auf Zeitungsartikel, diese geben vor allem über Tuwims Position im kommunistischen Polen der Nachkriegszeit Aufschluss. Julian Tuwim ereilte ein ähnliches Schicksal wie viele seiner Künstlerkollegen – im Zuge des 2. Weltkriegs musste er emigrieren. Es war abzusehen, was passieren würde, wenn er, ein polnischer Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln, im Land bleiben würde. Am 5. September 1939 flieht er mit seiner Frau aus Warschau nach Rumänien, von dort, via Italien, gelangen die beiden nach Paris. Nach dem Fall Frankreichs gelingt es den Tuwims, über Portugal nach Brasilien zu fliehen, wo sie am 2. August 1940 ankommen. Als Mieczysław Grydzewski, vor dem Krieg Hauptredakteur der „Wiadomości Literackie“ („Literarische Nachrichten”), Tuwim bittet, einen Erinnerungstext für die zu erscheinende Anthologie Kraj lat dziecinnych (Das Land der Kindheitsjahre) zu schreiben, willigt Tuwim mit großer Freude ein. Er befand sich damals in einem besonderen Gemütszustand – beeindruckt von dem Lebensgefühl in Brasilien, wo ihm ein warmer Empfang bereitet wurde, vermisste er gleichzeitig sein Heimatland und bereitete sich im Geheimen auf die Rückkehr vor. An Inspiration fehlte es ihm nicht. In Briefen an seine Schwester Irena, die ihm belagerten London geblieben war, schrieb er über seine Arbeitsfortschritte. Es stellte sich schnell heraus, dass sein Projekt kein üblicher Erinnerungstext werden würde, sondern ein allumfassendes Poem, in dem er auch mit seinen politischen Gegnern und dem um sich greifenden Antisemitismus abrechnen wollte. Nach seiner Rückkehr ins Heimatland wurde er Teil der damaligen politischen Szene und beinahe ein „Staatsdichter”, und, obschon er sich bald seiner Verblendung bewusst wurde, konnte er sich nicht mehr so einfach zurückziehen. Daran litt auch seine künstlerische Tätigkeit. Kwiaty polskie war ein großangelegtes Projekt, das jedoch unvollendet blieb. Die im Jahr 1949 erschienene Ausgabe war sogar zensiert – mit Tuwims Einverständnis. Die polnische Emigration sah in Kwiaty polskie, in ihren Bildern und Digressionen, vor allem den Zauber der verlorenen Heimat und Jugend. Da sie selbst das Polen der Vorkriegszeit idealisierte, war es für sie nicht schwer, in Tuwims Poem die Erfüllung ihres Wunschdenkens zu finden. In diesem Kontext vergleicht man die Umstände, unter welchen Kwiaty polskie entstanden sind, oft mit denen der sogenannten „Wielka Emigracja“ („Große Emigration“) nach dem Novemberaufstand 1830–1831. Das kommunistische Polen sah in dem Werk eine Schmähschrift auf das „reaktionäre“ Polen der Zwischenkriegszeit. Gerne wurden jene Textpassagen zitiert, die Angriffe auf die damalige Rechte, die Nationalisten, enthielten und soziales Leid oder die Desillusionierung mit Józef Piłsudski poträtierten. Die parteifernen, textimmanent arbeitenden Literaturkritiker haben dem Poem kein gutes Zeugnis ausgestellt. Tuwims Wortzauberei, seine Lautmalereien und alles, was an die Poetik der Künstlergruppe „Skamander“ erinnerte, wurde als anachronistisch abgestempelt. Dichter wie Julian Przyboś oder Tadeusz Różewicz konnten dem Werk nichts Gutes abgewinnen, es wundert auch nicht, dass Witold Gombrowicz sich äußerst negativ dazu äußerte. Als Julian Tuwim sein schillerndes Versepos schuf, hatte er, vereinfacht ausgedrückt, die Wahl zwischen der Poetik eines Pan Tadeusz und eines Beniowski. Schnell erkannte er, dass Pan Tadeusz mit seiner klar strukturierten Handlung nicht wirklich seinen Absichten entsprach und entschied sich für Beniowski, ein digressives Poem par excellence. Die Handlung in Kwiaty polskie ist rudimentär, fragmentarisch und kontrastiert mit den wuchernden Digressionen, die das Werk größtenteils ausmachen. Głowiński benutzt den Begriff „akcja liryczna“ („lyrische Handlung“). Es ist die unvorhersehbare Logik der Erinnerung, die das Werk von Tuwim bestimmt, deswegen entschied er sich für das mehr Freiheiten erlaubende digressive Poem. Kazimerz Wyka schätzt Tuwims Originalität und sieht in Kwiaty polskie eine Weiterentwicklung der Gattung des digressiven Poems, meint aber zugleich, dass Tuwim einen Schritt zu weit gegangen sei, sein Poem bestehe nur aus Digressionen. Man könnte sagen, dass Tuwim der Anarchie seiner Erinnerungen und Vorstellungskraft erlegen ist. Auch andere Kritiker machten Tuwim diese Desorganisation zum Vorwurf. Edward Balcerzan hebt hervor, dass derartige Vorwürfe ein Missverständnis sind – für Tuwim war das Chaotische in Kwiaty polskie eine notwendige Konvention, die den Menschen in seiner Unbestimmtheit und Vielschichtigkeit am besten wiedergibt. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Tuwim als Autor zu einem Teil seines Poems geworden ist und in diesem deutlich erkennbar ist – das kann man bei seinen Vorgängern nicht wirklich sagen. Im Zuge der Analyse wurde mir schnell bewusst, dass die polnische Thematik den meisten Platz im Poem einnimmt, aus diesem Grund ist auch das sich damit auseinandersetzende Kapitel meiner Arbeit das umfangreichste. Die polnischen Digressionen und Anspielungen habe ich in folgende Untergruppen geteilt: „Polnische Literatur – Romantik“, „Polnische Literatur – andere Epochen“, „Polnische Literatur – Jahrmarktsschrifttum“, „Polnische Literatur – Autozitate“, „Europäische Literatur“, „Kulturelle Topographie – Lódź“, „Kulturelle Topographie – Warschau“, „Kulturelle Topographie – die Provinz”. Das Kapitel über die russische Thematik enthält eine grundsätzliche Differenzierung zwischen russischen Elementen auf der Handlungsebene (z.B. die Revolution in Lódź von 1905, das Verhältnis zwischen dem Russen Iłganow und der Polin Zofia Dziewierska) und Anspielungen auf die russische Literatur, die Tuwim bestens kannte und auch ins Polnische übersetzte. Vom Umfang her wird dieses Kapitel der Rolle, welche Russland mit seiner Kultur, Geschichte und Brauchtum in Tuwims Leben einnahm, nicht gerecht. Ich habe mich jedoch entschlossen, mehr Raum dem polnischen und jüdischen Themenbereich zu widmen – dem polnischen, da Tuwim ein polnischer Dichter war und im Poem sein verlorenes Polen wiederzubeleben suchte, und dem jüdischen, da Tuwim auch Jude war. Die Identifizierung mit der jüdischen Welt, die damit verbundenen Unsicherheiten und Traumata haben Tuwim Zeit seines Lebens beschäftigt. Im „jüdischen Kapitel“ behandle ich daher nicht nur Anspielungen, die das Alte Testament oder den jüdischen Alltag betreffen, sondern erlaube mir auch einen längeren Exkurs über Tuwims Judentum und sein Leben in einem zunehmend vom Antisemitismus beherrschten Europa. Diese Arbeit soll auch versuchen zu zeigen, dass es Tuwim mit seinem Werk gelungen ist, trotz zu Recht oder Unrecht vorgenommener Einschränkungen, eine zusammenhängende künstlerische Idee durchzusetzen. Kwiaty polskie sehe ich als vollendetes Werk, das seinem Leser die Möglichkeit gibt, Allusionen aus verschiedensten Kulturbereichen, nicht nur dem polnischen, russischen und jüdischen, zu dechiffrieren. Kwiaty polskie sind nicht zuletzt eine Enzyklopädie eines verlorenen Zeitalters und verdienen meines Erachtens mehr Beachtung, als ihnen bisher zuteil geworden ist.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Tuwim Głowiński Wyka Balcerzan Pushkin Polish Flower Eugene Onegin digressive poem romanticism literary tradition Polish culture Russian culture Jewish culture antisemitism Holocaust Skamander inter-war period
Schlagwörter
(Deutsch)
Tuwim Głowiński Wyka Balcerzan Puschkin Polnische Blumen Eugen Onegin digressives Poem Romantik literarische Tradition polnische Kultur russische Kultur jüdische Kultur Antisemitismus Holocaust Skamander Zwischenkriegszeit
Autor*innen
Julian Pokay
Haupttitel (Polnisch)
"Kwiaty polskie" Juliana Tuwima jako miejsce spotkań kultur: polskiej, rosyjskiej i żydowskiej
Paralleltitel (Deutsch)
Julian Tuwims "Kwiaty polskie" als Begegnungsort der polnischen, russischen und jüdischen Kulturen
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
101 S.
Sprache
Polnisch
Beurteiler*in
Alois Woldan
Klassifikationen
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.71 Literaturgeschichte ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.75 Literaturkritik ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.78 Textkritik ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.84 Sonstige literarische Gattungen ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.87 Besondere Literaturkategorien ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.90 Literatur in Beziehung zu anderen Bereichen von Wissenschaft und Kultur ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.92 Vergleichende Literaturwissenschaft: Allgemeines ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.93 Literarische Stoffe, literarische Motive, literarische Themen ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.94 Literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.95 Literarische Übersetzung ,
18 Einzelne Sprachen und Literaturen > 18.53 Russische Literatur ,
18 Einzelne Sprachen und Literaturen > 18.58 Polnische Sprache und Literatur
AC Nummer
AC10769205
Utheses ID
23779
Studienkennzahl
UA | 243 | 361 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1