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Dandyistische Charaktere der deutschsprachigen Dekadenzliteratur in Werken von Arthur Schnitzler, Richard von Schaukal und Thomas Mann
Stephanie Inzinger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Martin Neubauer
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.28381
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30083.62830.405869-6
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Der Dandy war zu Beginn ausschließlich ein gesellschaftliches Phänomen, das in England zum ersten Mal auftrat. Der Brite Georg Bryan Brummell, der erste und bekannteste Dandy, wurde 1778 geboren. Mithilfe seines gewinnenden Aussehens und seiner erlesenen Kleidung gelang es ihm, sich trotz seines fehlenden angeborenen Adels in der „high society“ einen Namen zu machen. Anfang des 19. Jahrhunderts gewann das Dandytum in Frankreich an Bedeutung. Während es anfänglich eine oberflächliche Modeerscheinung war, wurde es durch die Beschäftigung damit in geistigen und künstlerischen Bereichen wieder aufgewertet. Zu dieser Entwicklung trugen Barbey d´Aurevillys „Du Dandysme et de George Brummell“ und Charles Baudelaires Arbeiten zum Dandytum wesentlich bei. Nicht ein einzelnes Merkmal, sondern die Gesamtheit der Charakteristika macht einen Dandy aus. Ein zentraler Aspekt des Dandytums ist die ästhetische Selbststilisierung mit dem Ziel, als Gesamtkunstwerk aufzutreten. Nicht nur die elegante, aber unauffällige Kleidung, sondern auch bestimmte charakterliche Komponenten und die Lebenseinstellung sind von Bedeutung. Der Dandy hält sich strikt an die Maxime „nil admirari“, d. h. er bleibt angesichts jeder Herausforderung, die ihm das Leben stellt, unbewegt und lässt keine Gefühle zu, was ihm mithilfe seines rationalen und selbstreflexiven Denkvermögens gelingt. Daraus resultieren seine kalte Ausstrahlung und die Überlegenheit seinen Mitmenschen gegenüber. Aufgrund dieser Einstellung kann von einem Dandystoizismus gesprochen werden. Dieser prägt auch das Verhältnis des Dandy zu Frauen: Er lässt sich idealerweise nicht auf sie ein, da die Liebe zu diesen seine Unbewegtheit und somit seine Unabhängigkeit gefährden würde. Einen besonders wichtigen Aspekt für das Dandytum stellt die Gesellschaft dar. Bezüglich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hat bereits Baudelaire festgestellt, dass das Dandytum in der Übergangsepoche zwischen Aristokratie und Demokratie auftritt. Bei dieser handelt es sich um eine Zeit des Verfalls, in der der Dandy eine Aristokratie des Geschmacks und des Geistes begründet. Das Verhältnis des Dandy zur Gesellschaft ist widersprüchlich, da er diese und deren Konventionen einerseits verachtet, andererseits auf sie angewiesen ist, da sie ihm als Bühne dient. Während Brummell, der englischen Dandy, den Barbey d´Aurevilly beschreibt, die Gunst der Gesellschaft genießt, ist der Baudelairsche Typus des Dandy, der in Frankreich auftritt, ein gesellschaftlicher Außenseiter und steht in Opposition zu dieser. In der Literatur des Fin de siècle wird der Dandy zu einer der Lieblingsfiguren in ganz Europa und kommt auch in deutschsprachigen Werken vor. Neben dem klassischen Dandy, wie ihn Baudelaire beschreibt, treten Variationen dieses Typus auf, die neben dandyistischen Eigenschaften weitere aufweisen. Von den drei in der Arbeit behandelten Autoren ist chronologisch gesehen Arthur Schnitzler der erste, der eine dandyistische Figur als Hauptfigur seines 1893 veröffentlichten Einakter-Zyklus „Anatol“ präsentiert. In sieben Episoden wird Anatol in Interaktionen mit verschiedenen Geliebten gezeigt. Sein kränklicher Zustand, seine Flucht in Illusionen und seine melancholische Grundstimmung weisen darauf hin, dass es sich bei Anatol um eine dekadente Figur handelt. Neben diesen dekadenten Zügen sind ihm zahlreiche Charakteristika eines Dandy eigen. Er zieht das posierte Verhalten dem authentischen vor, und man ist sich nie im Klaren darüber, ob er seine wahren Gefühle zeigt oder ob er sich mithilfe von Schauspielerei hinter einer Maske verbirgt. Zu Anatols charakterlichen Komponenten zählen die Egozentrik und die Eitelkeit. Des Weiteren kann man feststellen, dass er in seinen Beziehungen eine gewisse Kälte an den Tag legt. Sein Wunsch, sich von anderen abzusetzen, ist stark ausgeprägt, was sich dadurch zeigt, dass er keineswegs bereit ist, seinen kränklichen Zustand aufzugeben, da er sich durch diesen von der gesunden Norm unterscheidet. Die Selbstreflexivität, die bei Dandys dazu dient, nicht die Kontrolle über sich zu verlieren, wird im „Anatol“ als Qual dargestellt, da sie den von der Hauptfigur sehnlich gewünschten Augenblicksgenuss verhindert. Darüber hinaus ist besonders auffällig, dass Anatol auf die Stimmung fixiert ist und die ihn umgebenden Sachen ausschließlich als Requisiten fungieren, um eine Atmosphäre zu schaffen, die mit seinem eigenen melancholischen Zustand kongruiert. Diese Eigenart kann als Element seiner ästhetischen Existenz eingestuft und somit ebenfalls als dandyistisches Charakteristikum gewertet werden. Das zentrale Thema des „Anatol“ ist seine Jagd nach Liebesabenteuern, was an sich schon atypisch für einen Dandy ist. Wie er sich jedoch in seinen Beziehungen verhält, widerspricht ganz und gar dem dandyistischen Grundsatz, seine Gefühle zu kontrollieren. Er steigert sich in seine Eifersucht hinein und zeigt seine Empfindungen offen. Seine Beziehungen sind jedoch auch nur Teil seiner Scheinwelt. Anatols Wunsch nach Liebe ist unstillbar, und alle Beziehungen bleiben zeitlich begrenzte, oberflächliche Verhältnisse. Sowohl in Bezug auf Anatols Verhältnis zur Gesellschaft als auch zu Massenveranstaltungen derselben lässt sich feststellen, dass dieses ambivalent ist. Er lehnt deren Wertvorstellungen ab und negiert sie durch seinen verwerflichen Lebenswandel. Dennoch braucht er sie und deren Veranstaltungen, um seinen Lebensstil beizubehalten, denn viele seiner Frauen lernt er bei diesen kennen. Dennoch bevorzugt er eigentlich eine private Atmosphäre und ist in seinem tiefsten Inneren ein Einzelgänger, was ein typisches Charakteristikum einer dekadenten Figur ist. Darüber hinaus ist auffällig, dass er über eine soziale Flexibilität verfügt und er sich daher mit Frauen aus allen Schichten einlässt. Anatol über keinen Beruf aus, besitzt dennoch genügend Geld und kann sich seinem Müßiggang hingeben. Dieser Lebensstil kann als Protest gegen die Arbeitergesellschaft der Moderne interpretiert werden. Die Möglichkeit, frei über seine Zeit verfügen zu können, und eine gewisse Menge an Geld stellen ebenfalls die Voraussetzungen für das Dandytum dar, da man sich dann ganz sich selbst widmen kann. Es lässt sich also feststellen, dass Anatol sowohl dandyhafte als auch dekadente Züge aufweist. Er verkörpert also die dekadente Spielart des Dandy, die in der Fin de siècle- Literatur weit verbreitet ist. Bei dem darauf folgenden Werk, Richard von Schaukals „Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten“, das 1907 veröffentlicht worden ist, handelt es sich um das bedeutendste deutschsprachige Werk des Dandytums. Dieses steht in einem engen Zusammenhang mit Schaukals Übersetzung des Barbeyschen „Brummell“. Der fiktive Verfasser Andreas von Balthesser reflektiert in diesem Werk sowohl über Themen, die besonders einem Dandy am Herzen liegen, wie zum Beispiel Kleidung, als auch über die Kultur und die Gesellschaft. In Anbetracht nahezu aller erarbeiteten Aspekte kann Balthesser als Dandy bezeichnet werden. Er zeigt sich ausschließlich bis ins kleinste Detail gepflegt und durchgestylt in der Öffentlichkeit und achtet dabei bewusst auf seine Mimik und Gestik, um seinen Auftritt zu perfektionieren. Diese Kunst ist jedoch nicht erlernbar, sondern sie liegt einem richtigen Dandy von Geburt an im Blut, was bei Andreas von Balthesser der Fall ist. Balthessers Charakterkonzeption entspricht im Großen und Ganzen der dandyistischen: Arrogant und überheblich geht er durch das Leben und blickt auf seine Mitmenschen herab. Dass er auf seine Pflege und seine Kleidung so großen Wert legt, weist auf seine Eitelkeit hin. Des Weiteren ist sein Blick auf sich selbst äußerst narzisstisch. Er führt an, dass es wichtig ist, dass ein Dandy ständig bei vollem Bewusstsein ist, wodurch er die Überlegenheit den anderen gegenüber bewahrt. Balthesser befindet sich niemals in einem Rauschzustand, dennoch gelingt es ihm nicht, die Kontrolle über sich selbst zu behalten: Er ist ein ironischer Polemiker und prangert die Missstände der vorherrschenden Zeit in ungehaltener Weise an. Im Mittelpunkt der Kritik stehen die zeitgenössischen Literaten und Künstler. Der Dandy Balthesser fungiert außerdem als Medium für Schaukals Sprachkritik. In gleicher Weise verpönt er die Gesellschaft und deren Werte. Er steht aber als Dandy in einem widersprüchlichen Verhältnis zu ihr, da er sie trotz seiner Verachtung als Bühne für seine Selbstinszenierung benötigt. Obwohl er von ihr abhängig ist, bringt er seine Kritikpunkte zum Ausdruck und nimmt somit die Position eines Außenseiters ein. Während sein Temperament beim Kritisieren gar nicht dem Typus des Dandy entspricht, agiert er in Bezug auf Frauen ganz und gar als solcher. Sie spielen für ihn mit Ausnahme in ihrer Funktion als gelegentliche Beschäftigung keine Rolle. Balthesser verhält sich also weitgehend wie ein Dandy und kommt von den drei beschriebenen Figuren dem klassischen Dandy am nächsten. Von dem zuletzt behandelten Werk, Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, sind im Rahmen dieser Arbeit ausschließlich die Teile von Interesse, die bis 1913 verfasst worden sind und somit zur Dekadenzliteratur gezählt werden können. Der Roman handelt von dem Hochstapler Felix Krull, der sein Leben schildert, beginnend mit seiner Kindheit bis zu seiner Tätigkeit als Betrüger. Der Hochstapler-Roman ist vordergründig eine Auseinandersetzung Manns mit dem Künstlertum. Nietzsche, der dieses auf Schauspielerei reduziert hat, und dessen Kritik an dem dekadenten Künstler Wagner waren entscheidend. Mit der Hauptfigur parodiert er den dekadenten Künstler. Im Gegensatz zu diesem wird Felix nicht als leidender Mensch, sondern als Sonntagskind dargestellt. Sein Kunstwerk ist sein Leben, wodurch die Trennung zwischen Leben und Kunst aufgehoben wird, die für das dekadente Künstlertum charakteristisch ist. Thomas Mann hat sich jedoch nicht nur mit philosophischen Schriften, sondern auch mit Schaukals „Balthesser“ und weiterer dandyistischer Literatur beschäftigt, sie als Vorbild herangezogen und sich bei der Gestaltung von Felix Krull an diese angelehnt. Der Hochstapler ist besonders schön anzusehen und die Lieblichkeit seines Äußeren wird durch Androgynie und Jünglingshaftigkeit noch verstärkt. Er verlässt sich jedoch nicht nur auf sein gutes Aussehen, sondern typisch dandyistisch ist auch sein Auftreten ist ein bewusster Akt. Felix sieht seine Schönheit als Symptom seines natürlichen Adels. Neben seiner äußerlichen Erscheinung helfen bestimmte Charaktereigenschaften bei der Erreichung seiner kriminellen Ziele: Seine Phantasie und seine Weltsehnsucht tragen in seiner Kindheit dazu bei, den Wunsch nach sozialem Aufstieg zu entwickeln. Dass ihm dies mithilfe von Hochstaplerei gelingt, lässt sich auf seine Selbstkontrolle und seine Willensstärke zurückführen. Er denkt rational und reflexiv und verliert nie die Kontrolle über sich selbst, woraus seine kalte Ausstrahlung und seine stoische Gelassenheit resultieren. Diese verliert er auch bei seinen erotischen Begegnungen nicht. Er verfügt über einen ausgeprägten Liebesdrang und lebt ihn meist mit älteren Frauen aus. Krull gibt jedoch niemals seine distanzierte Haltung auf und weiß länger andauernde Beziehungen zu vermeiden, wodurch er sich seine Freiheit bewahrt und ihm keine Steine bei der Erreichung seiner Ziele in den Weg gelegt werden. Der Hochstapler lässt nicht nur keine Frauen, sondern im Allgemeinen keinen Menschen an sich heran. Er fühlt sich wohl in seiner Außenseiterposition. Erst allmählich erwacht in ihm der Wunsch, Gefallen zu erregen. Die Suche nach Liebe treibt ihn zu der Gesellschaft, dennoch gibt er seine isolierte Position nicht auf, da er den Großteil seiner Mitmenschen nach wie vor verachtet. Trotz dieses ambivalenten Verhältnisses kann er als Repräsentant und Produkt der Fin de siècle-Gesellschaft bezeichnet werden: Er kommt mithilfe von kriminellen Mitteln schnell zu Geld und wird zu einem Mitglied der verschwenderischen Luxusgesellschaft. Felix Krull stellt also eine typische Figur des Fin de siècle dar. Er ist äußerst vielseitig und das Dandytum kann nur als eine Facette seiner Persönlichkeit gesehen werden. Alles in allem kann man feststellen, dass die faszinierende Figur des Dandy, die im 19. Jahrhundert schon zahlreiche französische und englische Literaten in ihren Bann gezogen hat, schließlich im Fin de siècle auch in die deutschsprachige Literatur Eingang findet. Er wird zu einer typischen Figur dieser Epoche, was zur Folge hat, dass in den zeitgenössischen Werken zahlreiche dandyhafte Charaktere dargestellt werden. Wie die besprochenen Werke zeigen, taucht die Gestalt des Dandy in der Dekadenzliteratur nicht mehr in seiner klassischen Form, sondern als Variation dieses Typus auf. Dadurch verliert er jedoch nicht seinen Reiz, sondern die neu gewonnene Vielseitigkeit macht ihn umso mehr zu einer schillernden, interessanten Figur.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Dandytum Arthur Schnitzler Anatol Richard von Schaukal Andreas von Balthesser Thomas Mann Felix Krull
Autor*innen
Stephanie Inzinger
Haupttitel (Deutsch)
Dandyistische Charaktere der deutschsprachigen Dekadenzliteratur in Werken von Arthur Schnitzler, Richard von Schaukal und Thomas Mann
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
120 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Martin Neubauer
Klassifikation
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.93 Literarische Stoffe, literarische Motive, literarische Themen
AC Nummer
AC10886128
Utheses ID
25338
Studienkennzahl
UA | 190 | 333 | 338 |
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