Detailansicht

Das magyarenzeitliche Gräberfeld von Gattendorf: Demographie und Paläopathologie
Antonia Leeb
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Lebenswissenschaften
Betreuer*in
Maria Teschler-Nicola
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.29069
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30167.31532.846361-6
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Im Jahr 2009 wurde in der Flur Zigeunertafel der KG Gattendorf (OG Gattendorf, pol. Bez. Neusiedl am See, Burgenland) im Vorfeld einer großflächigen Verbauung eine Rettungsgrabung durchgeführt. Dabei wurde ein Teil eines bis dahin unbekannten Gräberfeldes aus dem 10. bis 11. Jahrhundert (magyarenzeitlich) entdeckt. Das Gräberfeld umfasste 124 Gräber mit Körperbestattungen in gestreckter Rückenlage, welche in Reihen angeordnet waren. Im Jahr 2010 wurden auf dem Nachbargrundstück weitere acht Bestattungen zu Tage gefördert. Allerdings konnte das gesamte Gräberfeld auf Grund von rezenten Gebäuden nicht vollständig erfasst werden. Neben den bereits erwähnten 132 Gräbern wurden weitere zwei Gräber definiert und die unvollständigen Skelettreste in den gestörten Bereichen des Grabungsareals (Hütten des 12. Jahrhunderts) in die anthropologische Untersuchung miteinbezogen, womit insgesamt 151 Individuen vorgelegen sind. Die Skelettreste wurden paläodemographisch und paläopathologisch untersucht. Es wurden Erkrankungen des Zahnhalteapparates und der Zähne, Mangelsymptome, Traumata, entzündliche Erkrankungen sowie degenerative Veränderungen und Belastungen an der Wirbelsäule erfasst. Alle weiteren Veränderungen an den Skeletten wurden fallweise aufgenommen und diskutiert. Die Population setzt sich zu 34,4 % aus subadulten und zu 65,5 % aus erwachsenen Individuen zusammen. Die Subadulten gliedern sich in folgende Altersklassen: ein Neonatus (0,7 %), 32 Individuen der Altersklasse Infans 1 (21,2 %), 13 Skelette der Altersklasse Infans 2 (8,6 %) sowie sechs Individuen der Altersklasse Juvenis (4,0 %). Die Gruppe Adultus verzeichnet mit 47 Individuen (31,1 %) die größte Anzahl an Verstorbenen der Population. 40 Skelette (26,5 %) sind der Altersklasse Maturus und fünf Individuen (3,3 %) der Gruppe Senilis zuzuordnen. Bei sieben erwachsenen Individuen kann auf Grund des Erhaltungszustandes weder die genaue Altersklasse noch das Geschlecht bestimmt werden. Die restlichen Erwachsenen setzen sich aus 48 Männern, 41 Frauen und drei indifferenten Individuen zusammen. Das durchschnittliche Sterbealter der gesamten Population beträgt 28,7 Jahre und das mittlere Sterbealter der erwachsenen Individuen beläuft sich auf 40,5 Jahre. Die nachfolgenden Prozentangaben – sofern nicht anders angegeben – beziehen sich immer auf die beurteilbaren Individuen der Gesamtpopulation (Subadulte und Erwachsene). Die Frequenzen von Karies (60,5 %) und Zahnstein (84,4 %) sind in der vorliegenden Population relativ hoch. Die Intensität (Verhältnis der Zähne mit Karies zu den beurteilbaren Zähnen) von Karies ist bei Frauen signifkant höher, während die Intensität von Zahnstein bei männlichen Individuen signifikant höher ist. Dies könnte darauf hindeuten, dass Frauen mehr kohlenhydratreiche Nahrung und Männer häufiger proteinreichere Nahrung verzehrt haben. Unspezifische Mangelsymptome, die einen Hinweis auf einen Nährstoffmangel geben, sind sowohl bei Subadulten als auch bei Erwachsenen zu verzeichnen. In der Population sind folgende Stressindikatoren zu finden: lineare Schmelzhypoplasien (74,2 %), porotische Hyperostose (32,8 %), Cribra orbitalia (21,8 %) und Periostitis (55,6 %). Bei den transversalen Schmelzhypoplasien kann kein signifikanter geschlechtsspezifischer Unterschied in der Häufigkeit bzw. der Ausprägung festgestellt werden. Dies deutet darauf hin, dass die männlichen und weiblichen Individuen in ihrer Kindheit einem ähnlichen Stress ausgesetzt waren und bezüglich Ernährung, Abstillzeitpunkt etc. gleich behandelt worden sind. Im Hinblick auf Mangelsymptome ist der einzige geschlechtsspezifische Unterschied bei der porotischen Hyperostose zu finden, denn diese kommt bei männlichen Individuen signifikant häufiger vor. Weiters ist die porotische Hyperostose bei Erwachsenen signifikant öfter diagnostizierbar als bei Subadulten. In Bezug auf Cribra orbitalia verhält es sich genau umgekehrt, hier sind signifikant mehr subadulte Individuen betroffen. Die subadulten Individuen sind signifikant stärker von Periostitis betroffen, denn 16,3 % der Knochen des Postcraniums weisen periostale Reaktionen auf, während dies bei den erwachsenen Individuen 5,3 % ausmacht. Die unspezifischen Stresssymptome deuten auf eine Mangelernährung (z. B. Mangel an den Vitaminen C, B9 und B12), welche verschiedene Ursachen haben kann: Missernten, unausgewogene Ernährung (z. B. Getreidebrei) oder saisonal beschränkter Zugang zu frischem Obst und Gemüse (Mays 2008; Waldron 2009; Merker & Teschler-Nicola 2010). Entzündliche Erkrankungen wie Stomatitis (87,0 %), Sinusitis (34,0 %), Pleuritis (18,5 %) und meningeale Reaktionen sind ebenfalls festzustellen. Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Vergleiche kann nur bei der Stomatitis ein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Die männlichen Individuen sind signifikant häufiger von einer Entzündung am harten Gaumen betroffen. Dies lässt sich durch die signifikant höhere Zahnsteinintensität und die damit einhergehenden Parodontopathien bei den Männern erklären. Mangelerkrankungen und fortgeleitete Infektionen aus den Nasennebenhöhlen können ebenfalls ursächlich sein (Herrmann et al. 1990; Schultz 1982; Carli-Thiele & Schultz 2001; Bátora & Schultz 2001; Merker & Teschler-Nicola 2010; Jungklaus 2010). Das Auftreten von Nasennebenhöhlenentzündungen in der Population kann wahrscheinlich durch das Zusammenspielen mehrerer Ursachen erklärt werden, wie der Wohnsituation, den Umweltfaktoren, der Hygiene, dentogenen Faktoren, Viren/Bakterien und Mangelerkrankungen. Ein Vitamin-C-Mangel führt zur Abschwächung des Immunsystems und erhöht daraufhin die Anfälligkeit für Infektionen (Carli-Thiele & Schultz 2001). Traumatische Geschehen sind bei 18 Individuen (11,9 %) zu verzeichnen, wobei die meisten Frakturen wahrscheinlich die Folge eines Unfalls waren. Lediglich fünf Individuen (3,3 %) weisen auf eine direkte Konfliktsituation (Parierfrakturen, stumpfe Gewalt am Schädeldach) hin. Allgemein kann man mit einer Populationsgemeinschaft rechnen, die relativ wenige Konfliktsituationen mit Traumata an Knochen zu bewältigen hatten. An den Wirbeln der Individuen sind Osteophyten (48,4 %), Spondylarthrose (18,5 %), Spondylolyse (3,0 %) und Schmorl'sche Knötchen (31,6 %) zu finden, welche auf eine erhöhte körperliche Belastung zurückzuführen sein könnten. In Bezug auf Osteophytenbildungen liegt ein signifikanter Unterschied vor, denn 77,1 % der männlichen und 55,0 % der weiblichen Individuen sind davon betroffen. Die anderen Veränderungen an der Wirbelsäule zeigen keinen geschlechtsspezifischen Unterschied. 58,6 % (N=17) der beurteilbaren männlichen Individuen und ein indifferentes Individuum weisen Reiterfacetten auf. Bei vier dieser Individuen ist außerdem ein traumatisches Geschehen in Form von Frakturen festzustellen. Die relativ wenigen Verletzungen könnten darauf hinweisen, dass diese Individuen einerseits geübte Reiter und andererseits nicht in ständigem Kampf- bzw. Wehreinsatz waren. Bei einem Vergleich zwischen den Männern mit und ohne Reiterfacette kann nur an drei Parametern ein signifikanter Unterschied verzeichnet werden. Die porotische Hyperostose und die linearen Schmelzhypoplasien kommen bei Männern mit Reiterfacette signifikant häufiger vor. Osteophytenbildungen im Thorakalbereich treten bei Männern ohne Reiterfacetten signifikant öfter in Erscheinung. Allgemein ist bei den Männern mit Reiterfacette eine Tendenz zur Mangelversorgung zu beobachten, während die Belastung auf die Wirbelsäule bei den Männern ohne Reiterfacette tendenziell höher ist. Insgesamt lassen die hohen Frequenzen von unspezifischen Mangelsymptomen in der Gesamtbevölkerung einen höheren – vielleicht auch saisonal bedingten – Nährstoffmangel vermuten. Die entzündlichen Erkrankungen sprechen auch für eine gesteigerte Krankheitsanfälligkeit durch Mangelernährung. Die Veränderungen an den Wirbelsäulen deuten auf eine hart arbeitende Bevölkerung hin. Die Diskussion, ob es sich um die erste, Land nehmende Population und/oder die nachfolgende(n) sesshafte(n) Generation(en) handelt, kann erst gemeinsam mit den interdisziplinären archäologischen und archäometrischen Untersuchungen intensiviert werden. Eine Gesamtpublikation des magyarenzeitlichen Gräberfeldes von Gattendorf mit einer ausführlichen interdisziplinären Diskussion der Befunde und Funde befindet sich in Vorbereitung.
Abstract
(Englisch)
In 2009 a rescue excavation was carried out in the Flur Zigeunertafel of Gattendorf (Burgenland). A part of a previously unknown cemetery dating from the 10th to 11th century was discovered. The graveyard included 124 burials in stretched position which were arranged in rows. In 2010 further eight burials were documented. The cemetery could not be completely excavated. The anthropological investigation included all in all 151 individuals from the graves and skeletal remains from the destroyed areas of the graveyard. The skeletons were investigated with regard to paleodemography and paleopathology. Nutritional deficiencies, dental pathologies, traumas, inflammatory diseases as well as degenerative changes and physical stress in the spine were analysed. All other pathological conditions were occasionally discussed. The frequency of dental caries (60.5 %) and dental calculus (84.4 %) are relatively high in this population. The intensity of caries is significantly higher in female, while the intensity of dental calculus is significantly higher in male individuals. This may indicate that women have consumed more carbohydrate-rich diet and men more protein-rich food. Unspecific malnutrition symptoms are documented to both subadult and adult individuals. In the population following stress indicators can be found: linear enamel hypoplasia (74.2 %), porotic hyperostosis (32.8 %), cribra orbitalia (21.8 %) and periosteal reactions (55.6 %). The high frequencies of unspecific stress indicators suggest an insufficient ingestion of essential nutrients in this population. Inflammatory changes of the hard palate (87.0 %), the paranasal sinus (34.0 %), the posterior surface of the ribs (18.5 %) and the inner table of the skull are also noted. Traumatic changes can be reported at 18 individuals (11.9 %). Probably the most fractures could be diagnosed as the result of an accident. The following parameters indicate an increased physical stress: Schmorl’s nodes (31.6 %), spondylolysis (3.0 %), spondylosis (48.4 %) and spondylarthritis (18.5 %). 18 individuals (17 males, 1 unknown sex) have a Poirier’s facet on the femoral head, suggesting that they were horse riders. The men with a Poirier’s facet were compared with men without a Poirier’s facet. Men with a Poirier’s facet have a tendency to malnutrition, whereas a higher physical stress in the spine can be observed in males without a Poirier’s facet. The high frequencies of unspecific stress symptoms in the whole population indicate a nutrient deficiency – possibly because of seasonal changes. The higher frequencies of inflammatory diseases may suggest an increased susceptibility to disease. The changes in the spine indicate a hard-working population.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Anthropology Paleopathology Graveyard Burgenland Magyar time Gattendorf
Schlagwörter
(Deutsch)
Anthropologie Paläopathologie Gräberfeld Burgenland Magyarenzeit Gattendorf
Autor*innen
Antonia Leeb
Haupttitel (Deutsch)
Das magyarenzeitliche Gräberfeld von Gattendorf: Demographie und Paläopathologie
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
464 S. : Ill., graph. Darst.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Maria Teschler-Nicola
Klassifikation
42 Biologie > 42.88 Physische Anthropologie
AC Nummer
AC10912518
Utheses ID
25943
Studienkennzahl
UA | 442 | | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1