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Reisen ins Unterirdische
eine Kulturgeschichte der Höhlenforschung in Österreich bis 1918 im internationalen Kontext
Johannes Mattes
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Marianne Klemun
DOI
10.25365/thesis.70492
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30029.69886.852064-9
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die Dissertation untersucht die menschliche Auseinandersetzung mit Höhlen von der Antike bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und bewegt sich in den Feldern der Kultur-, Wissenschaftsgeschichte und Speläologie. Räumlich ist die Forschungsarbeit auf das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie begrenzt, wenn auch im Laufe der Dissertation immer wieder Bezüge zu Entwicklungen in anderen europäischen Ländern hergestellt werden. Basierend auf der Methode der historischen Diskursanalyse behandelt die Studie grundlegende Veränderungen in der Wahrnehmung und Ausdeutung natürlicher Höhlenräume und der Praxis ihrer Erforscher und Besucher. Dieser Ansatz umfasst nicht nur die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Höhlen- und Karstphänomen, sondern schließt ebenso die Nutzung von Grotten durch Einheimische sowie deren Erkundung, Befahrung und Erschließung durch urbane Reisende und wissenschaftliche Laien ein. Hierbei werden mehrere Ansätze aus den Bereichen Kultur-, Sozial-, Wirtschafts-, Kunst-, Vereins-, Mikro- und Makrogeschichte miteinander kombiniert. Als Quellen wurden u.a. Expeditions- und Reiseberichte, Höhlenpläne, Fotos und Geschäftsakten von Vereinen verwendet.
Seit der Antike stellen Höhlen Orte der Entrückung dar. Sie bildeten Verbindungspunkte mit dem Spirituellen, glichen Zwischenwelten und luden zu Schutz und religiöser Einkehr ein. Insbesondere im Mittelalter wurden Höhlen zu Orten, wo das Fremde und Unerklärliche lokalisiert und damit gebannt wurde. Als sexualisierte Räume unterlagen sie sozialen Tabus, Geschlechter- und Körperbilder dienten als Emblemata einer belebten Natur der Veranschaulichung und Deskription metamorpher Naturprozesse. Im Barock galten Höhlen nicht länger als Orte der Entrückung, sondern wurden zu Orten des Bizarren. In den Höhlendarstellungen dieser Zeit glichen Hohlräume wahren Fundgruben für Seltsames, Außergewöhnliches oder Erstaunliches, sie wurden Schauplatz bewundernder Rundgänge und fürstlicher Feierlichkeiten. Zu den natürlichen Höhlen traten künstliche Grotten als wesentliches Gestaltungsmittel in der Gartenkunst hinzu.
In der Romantik wurden Höhlenbefahrungen zu äußeren und inneren Reisen zugleich, gaben den Reisenden Anlass zu Inspiration, Introspektion und Selbstbeobachtung. Ausgangspunkt für diese neue Betrachtungsweise von Höhlen war die Ästhetik und Kunst, welche Höhlen als idyllische Szenerien zum Schauplatz antiker Mythen stilisierten. Der „Zauber der Tiefe“ erforderte jedoch auch eine neue Schachttechnik, die eine verstärkte Zusammenarbeit der Teilnehmer verlangte. Allerdings entdeckten die Reisenden auf ihrem Weg in den Untergrund nicht nur die Tiefen der Subjektivität, sondern auch die Bedeutung von Höhlen als Orte der Empirie wieder. Wissenschaftlich wurden Höhlen von Geologen, Paläontologen, Zoologen und Botanikern als transhistorische Räume und Archive der Menschheits- und Erdgeschichte nun ein größeres Interesse entgegengebracht. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Wissenschaftler und Reisende immer tiefer in Höhlen vorzudringen, was eine verstärkte Kooperation zwischen den einzelnen Teilnehmern erforderte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte die Institutionalisierung der Speläologie in privaten Vereinen und öffentlichen Forschungseinrichtungen. Konkreter Anwendungsbereich der Höhlenkunde wurden karsthydrologische Problemstellungen im Wasserbau und der Trinkwasserversorgung. Die Karstgebiete von Krain, Triest, Mähren und die Nördlichen Kalkalpen wurden zu den bevorzugten Reisezielen der speläologisch interessierten Städter. Die mit einer zunehmenden Arbeitsteilung in der speläologischen Praxis einhergehende verstärkte Disziplinierung und Schulung der Reiseteilnehmer führte zur Ausbildung fester Forschungsgruppen, die durch eine klare soziale Hierarchie gekennzeichnet waren. Die Reisenden nahmen sich jedoch nicht mehr als passive Besucher wahr, sondern begannen sich als Höhlenforscher und Eroberer zu fühlen. Aus diesem Grund wurden unterprivilegierte Gruppen vom Recht ausgeschlossen, eine Höhle als Erster gesehen zu haben. Die speläologische Praxis der Vermessung und Benennung unbekannter Höhlen wurde maßgebliches Legitimationsmittel für den wissenschaftlichen Geltungsanspruch der Höhlenforschung und bildete die Grundlage für die rituelle Inbesitznahme und Eroberung subterraner Räume zur Zeit des Imperialismus.
Abstract
(Englisch)
This study examines the human activity in caves from ancient world to the beginning of the 1920ties and is contextualized within the field of Cultural Studies, History of Science and Speleology. The main research focuses on the territories of the Austrian-Hungarian Monarchy, but also considers other parts of Europe. Based on the method of historical discourse analysis, the thesis discusses the modification in the perception of the underground and the practice of their explorers and visitors. The main focus doesn‘t lie only on the scientific research of caves, but also includes the utilization of the underground by locals as well as sightseeing-tours. Furthermore, the investigation and opening of show caves undertaken by travellers and scientific laymen are discussed. Aspects of different branches like cultural, social, economic, art, club, macro- and microhistory are linked and combined to the research question, how speleology was formed as a scientific field during the 18th and 19th century. Expedition and travel reports, cave plans, paintings, photos, club correspondences are used as research sources.
The results confirm a close connection between the scientific and cultural discourses concerning the interior of the earth. During ancient times and the Medieval period the underground was recognized as a sexualized area, where social taboos were localized. Anthropomorphic images served as emblems for the visualization and description of a living nature and metamorphic natural processes. At the same time humans used the underground as a place for protection and religious meditations.
In the Baroque period travellers entered caves to search for bizarre objects, to enjoy admiring promenades and noble celebrations.
During the Romanticism artists perceived caves as areas of spiritual revelation and inspiration. The underground became a symbol for a modified perception of nature and an artistic aestheticism, where ancient myths were updated. While the netherworld turned into an area of inwardness and edification, geologists, botanists, zoologists and palaeontologists began to discover caves also as archives of natural history.
In the middle of the 19th century, scientists and visitors of the urban civic elite penetrated deeper and deeper into the subterranean worlds. This required particular techniques and an intensified cooperation between the travellers.
At the end of the 19th century, speleology was institutionalised as governmental institutes and private clubs. Urgent karst-hydrological problems as drinking water supply and water engineering became the scope of cave exploration. In the Austrian-Hungarian Monarchy the karst landscapes of Trieste, Carniola and Moravia and the Northern Calcareous Alps were chosen as the preferred research areas of speleology. For the exploration of deep shafts a strict division of labour between cave visitors became necessary. This modification in the social structure of research groups implicated an increased social disciplinary action and instruction of the members, who were typically organized into hierarchical groups. The travellers did not longer see themselves as passive visitors. They began to feel themselves as cave explorers and conquerors. For that purpose underprivileged groups were excluded from the right to see a cave for the first time. The speleological practice of naming and surveying underground places played an important role for the ritual appropriation and conquest of subterranean worlds during the imperialism period.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
cave Exploration speleology caver cultural studies history of science
Schlagwörter
(Deutsch)
Höhlenforschung Höhlenforscher Speläologie Kulturgeschichte Wissenschaftsgeschichte
Autor*innen
Johannes Mattes
Haupttitel (Deutsch)
Reisen ins Unterirdische
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine Kulturgeschichte der Höhlenforschung in Österreich bis 1918 im internationalen Kontext
Paralleltitel (Englisch)
Travelling in the underground ; a history of cave exploration in Austria till 1918
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
489 S. : Ill., Kt.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Marianne Klemun ,
Wolfgang Schmale
Klassifikationen
15 Geschichte > 15.07 Kulturgeschichte ,
30 Naturwissenschaften allgemein > 30.01 Geschichte der Naturwissenschaften ,
38 Geowissenschaften > 38.01 Geschichte der Geowissenschaften ,
38 Geowissenschaften > 38.15 Historische Geologie: Allgemeines ,
38 Geowissenschaften > 38.46 Karsterscheinungen, Speläologie
AC Nummer
AC11196900
Utheses ID
27418
Studienkennzahl
UA | 092 | 312 | |