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Freiheit und Verantwortung im Lichte virtueller Sittlichkeit
Philip Ginthoer
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Christian Stadler
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.30957
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29419.99350.282859-3
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Mehr Freiheit für den Einzelnen, mehr Verantwortlichkeit der Macht bei Institutionen – so lautete das Versprechen der Technologie Internet zu Zeiten seiner Erfindung, das in vorliegender Arbeit einer kritischen Untersuchung im Hinblick auf die Begriffe Freiheit, Verantwortung und Sittlichkeit, im Besonderen in Bezug auf das Werk von Johann Gottlieb Fichte, unterzogen wird. Doch – wie sich im Laufe der Arbeit zeigt – erfüllt das Internet als „leere“, zunächst wert- und sinnfreie Technologie diese Ansprüche aus sich heraus nicht, sondern droht totaler Beliebigkeit und totaler Kontrolle den Boden zu bereiten. Es bedarf also, so die These der Arbeit, einer „virtuellen Sittlichkeit“, um wirkliche Freiheit und Verantwortung in der Nutzbarmachung von und dem Zusammenleben mit dieser Technologie zu realisieren. Virtuelle Masse Der erste Teil der Arbeit untersucht das Massenphänomen Internet nicht als Medium, sondern als einen technologischen Raum, der dem Menschen schlechthin (Individuen, Gemeinschaften, der Gesellschaft als Ganzes) neuartige Möglichkeiten zur virtuellen Selbstbestimmung und Selbstkontextualisierung erschließt. Eine Technologie scheinbar perfektionierter liberaler Selbstbestimmung und -bemächtigung verspricht der Masse individuelle Freiheit in nie dagewesenem Ausmaß. Doch in der Fiktion individuell-liberaler Allmacht bei gleichzeitiger Schranken- und Grenzenlosigkeit und fehlender Selbstbeschränkung materialisiert sich die scheinbare Freiheit in Beliebigkeit und Willkür. Durch das Fehlen einer sittlichen Dimension bedient das Internet die Masse als blinde Masse: es fördert statt der vielbeschworenen „virtuellen Gemeinschaft“ die Vereinzelung, statt dem Aufbau einer politischen Öffentlichkeit den Reichweitenvoyeurismus der Massenmedien und statt der Stärkung der Zivilgesellschaft die kommerzielle Bündelung von Einzelinteressen in Nischenmärkten zu neuen Massenmärkten. Die erhoffte Freiheit zerfließt in einer entwurzelten Monokultur der vermassten Beliebigkeit, die den monadisierten Benutzer potentiell der Entwurzelung, Vereinzelung, Manipulierbarkeit und Unverbindlichkeit überlässt. Im Zustand bloß virtueller Anschauung will die Masse Freiheit - und bekommt Beliebigkeit. Virtuelle Macht Der zweite Teil der Arbeit untersucht die Dimension „Macht“ der Technologie Internet. Als global verbreitetes Massenmedium ist das Internet aus sich heraus – in Struktur und Funktionsweise - mächtig. Das Versprechen des Internet an das nach Freiheit strebende Individuum ist zurechenbare Teilhabe an dieser Macht, also Verantwortung, sowie eine größere Verantwortlichkeit der Institutionen in der Machtausübung ihrerseits, also Achtung der Freiheit anderer. Entgegen der Annahme der Unregulierbarkeit und grenzenlosen Freiheit des Internet führt die Arbeit aus, dass bereits vielerlei private und staatliche Machtansprüche und -interessen in der globalen Vernetzung verwirklicht sind. Institutionalisierte Macht verflüchtigt sich beständig von bereits bestehenden, demokratisch legitimierten Trägern in neue, zumeist private Sphären. Normative Utopien radikaler technologischer Umverteilung der Macht in die Sphäre des Individuums sind bis heute Theorie und Fiktion geblieben. Es zeigt sich, dass die Technologie des Internet dort, wo es um die Umverteilung oder Kontrolle politischer Macht und damit um die Achtung der Freiheit anderer, sprich Verantwortung, geht, hinter der Realität faktischer Mächtigkeit zurückbleibt. Durch die fehlende sittliche Dimension bleiben – so das Argument - die meisten Fragen zur legitimen Allokation und Ausgestaltung von virtueller Macht offen. Anstatt „Kontrolle der Macht“ zu leisten zeigt sich die Technologie auf der Seite der „Macht durch totale Kontrolle“ und lässt sich in jeden Dienst stellen. Virtuelle Wirklichkeit Der Neuheitswert und der schier unbegrenzte individuelle Nutzen sich nicht verknappender Güter haben der Technologie zur Annahme einer Wertigkeit „per se“ verholfen. Doch die Freiheit des einzelnen im Internet kollabiert unter der Last der Masse und ihrer Ökonomie und scheitert an der kontrollierenden Reproduktion von Macht ohne Verantwortung. So dramatisiert das Internet die Notwendigkeit von Sittlichkeit. Rückblickend auf den Ursprung des Internet als akademisch-kollektives Kulturinstrument zur Optimierung knapper Ressourcen finden sich Ansätze virtueller Sittlichkeit, wo Individuen selbstbestimmt, einander und einer Aufgabe verantwortlich das Netzwerk mit Werten aufladen und mit einer Kultur sittlicher Kollektivität bevölkern. Diese im technologischen und ökonomischen „Sharing- und Netzwerkgedanken“ des Internet verwurzelten Funktionen erreichen in der Entwicklung des „sozialen“ Internet („Internet 2.0“) erstmals die Massen und bieten den Ausgangspunkt für die Conclusio der Arbeit. Denn dort, wo die Notwendigkeit virtueller Sittlichkeit nach der Leitlinie Fichtes deduziert und entfaltet wird, dort „ent-masst“ sich der Einzelne durch reflektierte Reduktion abstrakter Möglichkeiten und Wiedergewinnung der virtuellen Realität, und handelt so, dass sich individuelle Freiheit mit Verantwortung für die Freiheit des Kollektivs verschränkt. Hier – so der Schluss der Arbeit - entfaltet das Internet als „soziales Netz“ potentiell nicht nur höchsten individuellen Nutzen und somit Freiheit, sondern kann sittlich-soziokulturelle Gesellschaftlichkeit stiften und ermöglicht dem Menschen vom Zustand sittlicher Autonomie zu einem Zustand sittlicher Gemeinschaft zu gelangen.
Abstract
(Englisch)
More freedom for the individual, more responsibility concerning power in institutions – thus the promise of internet technology upon its invention. This dissertation shall take a critical look at this promise as regards the terms Freiheit, Verantwortung und Sittlichkeit (Freedom, Responsibility, and Morality), especially as referenced in Johann Gottlieb Fichte’s work. Yet – as will be shown in the course of this dissertation – the internet itself as an “empty“ technology with no inherent values nor an innate sense - does not in itself fulfil these demands. Instead it threatens to provide fertile ground for complete arbitrariness and complete control and monitoring. Thus – and that is the thesis put out by this dissertation – a “virtual sittlichkeit“ (morality) is necessary in order to implement true freedom and responsibility in the utilization of this technology and in living with it. Virtual Masses The first part of this dissertation investigates this mass phenomena called internet, not as a medium, but instead as a technological space that provides humanity in general - individuals, communities, and society as a whole – with new possibilities for virtual self-determination and for putting itself into the context of a greater whole. A technology of seemingly perfected liberal self-determination and self-empowerment would seem to promise the masses individual freedom to an unprecedented extent. Yet in the fiction of individual, liberal omnipotence with no barriers, as such boundlessness, coupled with a lack of self-limitation, this seeming freedom takes on form in an arbitrary and whimsical manner. Due to the absence of any sittliche (moralistic) dimension, the internet caters to the masses as blind masses - instead of the oft-beseeched “virtual community,“ it furthers separation and isolation; instead of building up a politically-oriented public, it furthers mass media’s voyeurism seeking unlimited range; instead of strengthening civil society, it serves to bundle individual commercial interests in niche areas to develop them into new mass markets. The sought-after freedom flows into an uprooted monoculture of mass arbitrariness that leaves potential users potentially uprooted, isolated, manipulated and noncommittal. In a state of purely virtual intake, the masses desire freedom – and receive arbitrariness. Virtual Power The second part of this dissertation investigates the “power” dimension of internet technology. As a global mass medium, the internet is powerful per se – both in structure and in function. Its promise to the individual striving for freedom is attributable partaking of this power, thus taking of responsibility, as well as a greater responsibility on behalf of institutions in their employment of power, i.e. respecting people’s freedom. As opposed to the supposition that the internet is impossible to regulate and that it offers boundless freedoms, this dissertation shows that many state and private claims to power as well as power interests in global networking have already been implemented. Institutionalized power is steadily giving way to new, generally private spheres, moving away from democratically legitimized carriers already in existence. Normative utopias of radical technological distribution of power into the sphere of the individual have remained theory and fiction to this day. Experience has shown that in areas where distribution or control of political power would be necessary - and with that respecting individual freedom, i.e. acting responsibly – internet technology has, in effect, remained behind a wall of virtually unrelinquished power. Through the missing dimension of sittlichkeit - so the argument goes - most questions regarding legitimate allocation and formation of virtual power remain open. Instead of „controlling the powers that be,“ internet technology shows itself siding with “power through total control“ and is prepared to serve any master in this arena. Virtual Reality Its sheer novelty and the virtually limitless individual benefits of ever replenishable goods have helped this technology become imbued with a “per se“ value. Yet the individual’s freedom in the internet collapses under the weight of the masses and their internet economy and breaks down beneath constant repetition of power without responsibility. In this manner the internet dramatizes the need for sittlichkeit. Looking back at the origins of the internet as an academic, collective, cultural instrument for optimizing marginal resources, we find onsets of virtual sittlichkeit where individuals infused the network with values in a self-determined manner, responsible to each other and to their task, and populated it with a culture of sittliche collectivity. These functions, rooted in technological and economic internet “sharing and networking thoughts“ first reached the masses with the development of the “social” internet - “Internet 2.0“ - and offer the starting point for the conclusion of the dissertation. For it is at the point where the necessity of virtual sittlichkeit is deduced and unfolds in accordance with Fichte’s guidelines that the individual is “un-massed“ through a reflected reduction of abstract possibilities and recovery of virtual reality, and acts in such a manner that individual freedom entwines itself with freedom for the collective. It is here – and thus the conclusion of the dissertation – that the internet as a “social network“ not only brings about potentially highest individual benefits and, as such, freedom, but can incite socio-cultural society and allow individual human beings to move from a state of sittliche autonomy to a state of sittliche community.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Freiheit Verantwortung Sittlichkeit Internet Web 2.0 virtuelle Masse virtuelle Macht virtuelle Wirklichkeit Gemeinschaft
Autor*innen
Philip Ginthoer
Haupttitel (Deutsch)
Freiheit und Verantwortung im Lichte virtueller Sittlichkeit
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
178 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Christian Stadler ,
Gerte Reichelt
Klassifikationen
86 Recht > 86.02 Rechtsphilosophie ,
86 Recht > 86.04 Ausbildung, Beruf, Organisationen ,
86 Recht > 86.05 Rechtssoziologie, Rechtspsychologie ,
86 Recht > 86.59 Medienrecht
AC Nummer
AC11858077
Utheses ID
27545
Studienkennzahl
UA | 083 | 101 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1