Detailansicht

Die Kreuzigung vom Pariser Parlament
ein « Retabel » in profanem Umfeld
Irina Larissa Janine von Morzé
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Michael Viktor Schwarz
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.380
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30023.84273.410970-6
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die Kreuzigung vom Parlament, Werk eines unbekannten französischen oder flämischen Künstlers, das sich heute im Louvre befindet, schmückte ab den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Nordwand der Grande Chambre – Tagungsort des Obersten königlichen Gerichtshofes im königlichen Stadtpalast von Paris, dem Palais de la Cité. Das Bild, ein Kalvarienberg mit vier Heiligen, wurde seit seiner Entdeckung für die Kunstgeschichte in einer kennerschaftlich ausgerichteten Tradition untersucht. Die erhaltenen, wenig aussagekräftigen Quellen zu dem Bild verhindern es jedoch, in dieser Richtung einer allgemein verbindlichen Lösung näher zu kommen. Der Vorschlag, in der Tafel eine Zusammenarbeit zwischen dem Maler und Illuminator André d´Ypres und seinem Sohn Colin d´Amiens zu sehen, die zwischen 1449-1454 geschaffen wurde, überzeugt nicht. Die Kreuzigung wurde zwar zu diesem Zeitpunkt vom Pariser Parlament in Auftrag gegeben, es erscheint jedoch – vor allem aus stilistischen Gründen – eine Datierung in die 60er Jahre des 15. Jahrhunderts plausibler. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, dieser kunstgeschichtlichen Tradition zu folgen, wo doch das Bild an sich, hinsichtlich seiner Ausformung und seiner Funktion im Palais de la Cité ein weitaus spannenderes Untersuchungsfeld bietet. Durch die Anbringung der Tafel über den Sitzreihen der klerikalen Ratsmitglieder des Obersten königlichen Gerichtshofes erinnerte sie die Ratsmitglieder und Richter daran, sich im Betragen zu mäßigen, die Ruhe und Würde im Gerichtssaal zu wahren, sowie gerecht zu richten. Zu dieser Memento-Funktion gesellte sich noch ein für den Gerichtssaal weitaus wichtigerer Aspekt: Nur vor dem Bild einer Kreuzigung war es möglich, einen Eid zu leisten. Damit entsprach die Anbringung der Kreuzigung einer Tradition, die sich für die Grande Chambre bis ins Jahr 1405 zurückverfolgen lässt, die aber auch in den weiteren Kammern des Parlaments üblich war. Auffallend ist, dass sämtliche erhaltenen (oder über Nachzeichnungen bekannte) Tafeln dieser Kammern die Form eines Retabels einnehmen, was auch erklärt, warum die Kreuzigung vom Parlament über 130 Jahre lang den Namen „Retable du Parlement“ trug, obwohl sich das Bild nachweislich nie über einem Altar befunden hat. Im wesentlichen sind es die Rahmenausbildung und das religiöse Sujet, die ein Retabel suggerieren, im Unterschied zu „echten“ Retabeln jener Zeit jedoch mit narrativen Hintergrundszenen kombiniert werden, die wiederum von Architekturporträts hinterfangen werden. Mit dieser sakralen Ausformung schloss der Auftraggeber des Bildes, das Pariser Parlament, an eine Tradition an, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Seit Philipp IV. der Schöne den Palais de la Cité, die Hauptresidenz des Königs und das Verwaltungszentrum des Königreiches, umbauen und vergrößern ließ, fanden immer wieder sakrale Elemente Eingang in die Architektur und Ausstattung des Palastes, die seine Ausnahmestellung versinnbildlichten. Indem das Parlament diese Formensprache weiterführte und sich in dieser Tradition einbettete, wird der Wunsch deutlich, sich zu legitimieren und die eigene Position – die des Obersten königlichen Gerichtshofes von Frankreich – vor allem gegenüber der Konkurrenz in Poitiers oder Toulouse zu festigen. Dieses Aufgreifen einer Tradition des Palastes sowie der Verweis auf die eigene Institution findet sich auch im Bild selbst. Die vier auf der Tafel dargestellten Heiligen, die in ihrer Auswahl jenem Bild entnommen worden sein dürften, welches vor der Parlamentskreuzigung die Grande Chambre schmückte, stehen in engem Zusammenhang mit der französischen Rechtsgeschichte (Ludwig der Heilige, Karl der Große) und der Stadt Paris (Ludwig der Heilige, Dionysius) beziehungsweise dem Palais de la Cité (Johannes der Täufer). Ein deutlicher Verweis auf die Institution des Parlaments ist in den Architekturdarstellungen des Hintergrunds zu erkennen, die sich auf jene Gebäude konzentrieren, die eine eindeutige Konnotation mit der königlichen Administration aufweisen. Innerhalb des Bildes fällt auf, wie der Künstler in der Darstellung der Vorder- und Hintergrundfiguren, ja sogar innerhalb der einzelnen Heiligen im Vordergrund, verschiedene stilistische Mittel anwandte. Dieser Unterschied wurde bisher als ein Lapsus des Künstlers ausgelegt, nicht jedoch als ein gewolltes Mittel, vergleichbar einer unterschiedlichen Erzählstruktur. Die in der religiösen Formensprache Rogier van der Weydens gehaltene Kreuzigungsgruppe fügt sich zusammen mit Johannes dem Täufer widerstandslos in die Retabelform des Bildes. Dieser religiösen Ebene wird mit den Heiligen Ludwig und Karl der Große eine geschichtliche Ebene danebengestellt. Karl der Große als der Herrscher aus der Vergangenheit sowie Ludwig der Heilige als Herrscher der Gegenwart bieten eine Art Zeitrahmen für die Geschichte (und damit für die Existenz) des Parlaments, das im Hintergrund der Tafel durch einen Teil des Palais de la Cité repräsentiert wird.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Malerei Mittelalter Frankreich Paris Palais de la Cité Gerichtshof 1400-1500 Dreux-Budé-Meister Kreuzigung
Autor*innen
Irina Larissa Janine von Morzé
Haupttitel (Deutsch)
Die Kreuzigung vom Pariser Parlament
Hauptuntertitel (Deutsch)
ein « Retabel » in profanem Umfeld
Publikationsjahr
2008
Umfangsangabe
118 S, [20] Bl.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Michael Viktor Schwarz
Klassifikationen
15 Geschichte > 15.00 Geschichte: Allgemeines ,
20 Kunstwissenschaften > 20.00 Kunstwissenschaften: Allgemeines ,
21 Einzelne Kunstformen > 21.00 Malerei: Allgemeines
AC Nummer
AC06648441
Utheses ID
276
Studienkennzahl
UA | 315 | | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1