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Politische Karikaturen als Vermittler nationaler (Feind)Propaganda!?
eine Untersuchung im Wiener Witzblatt "Kikeriki!" von 1914-1918
Raissa Rodemerk
Art der Arbeit
Magisterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Wolfgang Duchkowitsch
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.33162
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29138.07784.845366-7
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" - Mit dem von George F. Kennan geprägten Begriff assoziieren die Menschen auch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges Hunger, Leid, Tod sowie erbitterte Stellungskämpfe inmitten von tödlichen Gasgefechten. Wie konnte es der Regierung Österreichs-Ungarns gelingen, dass seine Bevölkerung über einen Zeitraum von vier Jahren ein Leben am Existenzminimum, Entbehrungen und unsäglicher Verzweiflung nahezu anstandslos ertrug? Die Antwort ist in einer seit der Antike bestehenden Form kommunikativer Überzeugung zu suchen, der Propaganda. Seit jeher versuchen die Menschen andere von ihren eigenen Ansichten und Meinungen zu überzeugen. Mal direkt, mal mittels subtiler Hilfsmittel. Der Erste Weltkrieg gilt als Geburtsstunde der modernen Massenpropaganda. Der Presse kann in Anbetracht dessen ein enormer Stellenwert attestiert werden, gilt nicht zuletzt die Zeitung als eines der vertrauenswürdigsten Medien überhaupt. Allerdings sahen sich die Zeitungen Wiens in ihrer Pressepolitik mit Ausbruch des Krieges stark beeinträchtigt; Kriegspressequartier (KPQ) und Kriegsüberwachungsamt (KÜA) sorgten mittels Weisungen und Zensur für eine monarchietreue Berichterstattung, zahlreiche "Weiße Flecke" zierten damals die Ausgaben des Wiener Zeitungsmarktes. Dennoch: innere Unruhen und Probleme konnten dank der Presse mittels verfälschter Darstellungsweisen und die Realität verzerrender Berichterstattung auf die äußeren Feinde der Habsburgermonarchie projiziert werden, so dass der Hass geschürt und sich Vorurteile und Stereotypen dauerhaft in den Köpfen der Menschen verankern ließen. Die Presse mit ihren Kommentaren und Berichten umfasste hinsichtlich Propaganda allerdings nur einen wirkungsvollen Mechanismus. Bereits Freud, Bergson und Plessner hatten aufgezeigt, wie Humor, Witz und Komik dem Menschen gezielte Verhaltensweisen entlocken konnten. In Anbetracht dessen wurde den Wiener humoristischen Satireblättern eine besondere Stellung zuteil: Sie konnten der Bevölkerung ein Ventil für ihr Leid und ihre Hoffnungslosigkeit bieten und Formen von Eskapismus und Ablenkung mit sich bringen. Zumal auch sie sich jedoch mit Zensur und Presseanweisungen konfrontiert sahen, erfolgte ihre Aufmachung - ob freiwillig oder unfreiwillig - stets im Dienst der staatlichen Kriegspropaganda. Als eines der bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Witzblätter gelang es dem Wiener "Kikeriki!", sich im Ersten Weltkrieg in besonderem Maße zu etablieren und seine Position als nationales Volksblatt zu stärken. Mittels der Symbiose eines eingeforderten Patriotismus und der Verfechtung des Krieges als ein "Kampf gegen das Böse" gelang es ihm die latente Meinung zu verbreiten, man befände sich in einem gerechten "Verteidigungskrieg". Dabei waren es vorwiegend die im "Kikeriki!" enthaltenen Karikaturen, die den Feind mittels Komik und Humor maßgeblich diffamierten und der Lächerlichkeit preisgaben. Damals wie heute eignen sich Bilder und Karikaturen in besonderem Maße für die Indoktrination bestimmter kognitiver Schemata; sie können dem Betrachter dank ihrer visuellen Darstellung Gegebenheiten und Ansichten relativ schnell vor Augen führen und die durch sie transportierten Meinungen und Einstellungen in den Köpfen der Menschen oftmals sogar besser verankern. Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, die im "Kikeriki!" veröffentlichten politischen Karikaturen hinsichtlich der propagandistischen Darstellung von Feindnationen zu analysieren, um somit Rückschlüsse auf eine mögliche Wirkungsweise auf die Leser des Witzblattes zu erhalten. In Anbetracht dessen gilt es, ausgehend von den Cultural Studies und einer auf dem Konstruktivismus beruhenden subjektiven Herangehensweise, die insgesamt 2435 Karikaturen des politischen Teils des Witzblattes entsprechenden Kategorien zuzuordnen und einige prägnante Beispiele, die die Diffamierung der jeweiligen Feindnationen aufzeigen, herauszugreifen und mittels einer ikonographischen Vorgehensweise zu untersuchen. Letztere scheint für das Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit insofern als besonders zielgerichtet, als dass sie neben der Beschreibung ebenso mögliche Intentionen des Karikaturisten sowie Wirkungsweisen auf die Betrachter in ihre Untersuchung mit einbezieht. Die Julikrise und die Wochen nach dem Waffenstillstand (11.11.1918) werden dabei gesondert betrachtet, zumal innerhalb jener Zeiträume nicht von "Feinden" Österreich-Ungarns gesprochen werden kann. Die Propaganda der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg wurde in Anbetracht der "Gräuelpropaganda" der Entente nicht selten belächelt. Jedoch bergen entsprechend der Humortheorien auch auf Komik basierende Karikaturen ein enormes Gefahrenpotential in sich, wenn es darum geht den Feind zu denunzieren und den Betrachtern dauerhaft eine vorgefertigte Meinung infiltrieren zu wollen; die Diffamierung "der Anderen" geht stets mit einem wohligen Gefühl von Lachen einher, ein Zustand, an den man sich stets gerne erinnert und der möglicherweise sogar von einer dominanteren propagandistischen Wirkungsweise zeugt. Darüber hinaus ist es nicht zuletzt der Propaganda zuzuschreiben, dass die "Dolchstoßlegende" sich innerhalb der Mittelmächte auf derart lange Zeit in der Gesellschaft etablieren ließ. Propaganda haftet heutzutage stets ein fader Beigeschmack an, dies vor allem hinsichtlich der Ausprägungen, die sie im Zweiten Weltkrieg erfahren sollte. Der Umstand, dass es vornehmlich der Propagandalehre des Ersten Weltkrieges zuzuschreiben ist, dass es Hitler und Stalin gelang ein derart perfides Propagandasystem zu entwickeln, wird dabei oftmals nicht bedacht. Jedoch wusste man bereits in den Jahren 1914-1918 über das enorme Machtpotential, das Propaganda innewohnt und man setzte sie gezielt ein, um die Massen zu beeinflussen. Die slawischen Völker galten fortan als verdreckt und verlaust, den Engländern und Amerikanern, oftmals personifiziert durch „John Bull“ und „Uncle Sam“, wurden Synonyme wie Geldgier, Falschheit und Eigennutz attestiert und sollten über lange Zeit als Hauptkriegstreiber gesehen werden. Russland wurde jegliche militärische Macht aberkannt, der italienische Nachbar galt spätestens seit dem Kriegseintritt im Mai 1915 als Intimfeind per se. In den Karikaturen wurden die Mittelmächte zu einer vermeintlichen Übermacht stilisiert, der die verhasste Entente nichts entgegen zu setzen hatte. Diese verzerrte Sichtweise vom Krieg führte nicht zuletzt dazu, dass die Niederlage im November 1918 für viele Menschen völlig unerwartet kam und auf lange Sicht unverstanden blieb. Karikaturen scheinen als Vermittler von Propaganda in besonderem Maße geeignet den Feind zu diffamieren und mittels Komik und Humor den Hass auf andere Nationen in der Bevölkerung zu schüren. In welcher Weise der Propaganda und dem Pressewesen damit eine Mitschuld am Ausbruch des ersten totalen Krieges attestiert werden kann, stellt damit bis heute eine zentrale Forschungsfrage dar. In Anbetracht dessen wird 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit der vorliegenden Arbeit der Versuch unternommen, den Beginn der modernen Propaganda näher zu beleuchten; damit wird einem Wiener satirischen Volksblatt die Möglichkeit gegeben, einen kleinen Teil seiner Kommunikationsgeschichte von 1914-1918 erzählen zu können.
Abstract
(Englisch)
“The great seminal catastrophe of the 20th century” – even 100 years after the outbreak of the First World War, people still associate hunger, suffering, death and bitter trench warfare in the midst of deadly gas battles with this term coined by George F. Kennan. How did the government of Austria-Hungary make its population endure a period of four years of living in poverty, deprivation and unspeakable despair virtually without objection? The answer is found in a form of communicative persuasion that has been in existence since the ancient times: propaganda. Since time immemorial, people have tried to convince others of their own views and opinions. Sometimes directly, sometimes using more subtle means. The First World War is considered to mark the birth of modern mass propaganda. The press plays an essential role in this, since it is regarded as one of the most trusted media. The newspapers of Vienna, however, were severely impaired in their press policy by the outbreak of the war; the Kriegspressequartier (KPQ) and Kriegsüberwachungsamt (KÜA) ensured royalist reporting by means of directives and censorship, and many “white spots” graced the editions of the Viennese newspaper market in these times. Nevertheless, civil unrest and problems were projected onto the external enemies of the Habsburg Monarchy by the press, employing means of falsified modes of representation and reality-distorting reporting, so that hatred was stirred and prejudices and stereotypes permanently embedded in the minds of the people. The press with all their comments and reports, included only one effective mechanism concerning propaganda. Even Freud, Bergson and Plessner had shown how humor, wit and comicality could elicit specific behaviour from people. In the light of this, the Viennese humourous satirical magazines were given a special position: they offered the people an outlet for their suffering and despair and entailed forms of escapism and distraction. Since they were faced with censorship and press directives as well, their appearance was – whether voluntarily or involuntarily – always in the service of national war propaganda. As one of the satirical magazines in existence since the mid-19th century, Viennese “Kikeriki!” succeeded in establishing itself and particularly strengthened its position as a national people’s paper during the First World War. By means of a symbiosis of the enforced patriotism and defense of war as a “battle against evil”, it succeeded in spreading the latent opinion that it was a just “defensive war”. It was mainly the caricatures contained in “Kikeriki!” that significantly defamed the enemy by means of comedy and humor and held them up to ridicule. Then as now, pictures and caricatures are especially suitable for the indoctrination of certain cognitive schemata; thanks to their visual representation, they show the viewer facts and opinions relatively quickly and often embed the conveyed opinions and attitudes in people’s minds even better. This work represents an attempt to analyse the political caricatures published in “Kikeriki!” in terms of a propagandistic representation of enemy nations, thus drawing conclusions on a possible effect on the readers of the satirical magazine. In view of this, it is important to allocate the 2435 caricatures of the political part of the satirical magazine to respective categories, drawing upon cultural studies and a subjective approach based on constructivism, and to highlight and investigate some precise examples that demonstrate the defamation of a particular enemy nation using an iconographic approach. The latter seems particularly fitting for the research project of this work, since it includes in its investigation not only a description but also possible intentions of the caricaturist as well as the effects on the viewer. The crisis of July and the weeks after the armistice (11.11.1918) are considered separately here, especially because the nations cannot be called “enemies” of Austria-Hungary within those periods. The propaganda of the Central Powers in World War I was often not taken seriously in comparison to the the “atrocity propaganda” of the Entente. Based on the humor theories, however, comic-based caricatures entail enormous potential for danger when it comes to denouncing the enemy and permanently infiltrating the viewers with prefabricated opinions; the defamation of “the others” is always accompanied with a comforting sense of laughter, a state which one will always like to remember and which possibly even shows a dominant propagandistic effect. Moreover, it is not least attributable to propaganda that the “stab-in-the-back legend” was established within the society of the Central Powers for such a long period of time. Nowadays, propaganda is always accompanied by a negative connotation, especially due to its manifestation during the Second World War. The fact that it was mainly the propaganda teachings of the First World War that allowed Hitler and Stalin to develop such a perfidious propaganda system, is often not considered. However, in the years of 1914-1918, the enormous power potential inherent in propaganda was already known and specifically used to influence the masses. The Slavic peoples were henceforth considered filthy and infested with lice, the British and Americans, often personified by “John Bull” or “Uncle Sam”, were attested synonyms such as greed, falsehood and selfishness and were for a long time considered the main warmongers. Russia was deprived of any military power, the Italian neighbor was seen as the arch-enemy per se following their entry into the war in May 1915. The caricatures stylised the Central Powers into an alleged superior power that the hated Entente could not oppose. It was not least this distorted view of the war that made the defeat in November 1918 so unexpected and for a long time obscure for many people. Caricatures as an agent of propaganda seem particularly suitable to defame the enemy and incite hatred of other nations in the population by means of comedy and humor. In what way propaganda and the press contributed to the outbreak of the First World War thus remains a central research question to this day. In view of that, 100 years after the outbreak of the First World War, this work attempts to closer examine the beginning of modern propaganda; this gives a Viennese satirical people’s paper the opportunity to tell a small part of its communication history from 1914 to 1918.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Propaganda Caricatures First World War Kikeriki Iconography Humour theories Stereotype Satire
Schlagwörter
(Deutsch)
Propaganda Karikaturen Erster Weltkrieg Kikeriki Ikonographie Humortheorien Stereotypen Satire
Autor*innen
Raissa Rodemerk
Haupttitel (Deutsch)
Politische Karikaturen als Vermittler nationaler (Feind)Propaganda!?
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine Untersuchung im Wiener Witzblatt "Kikeriki!" von 1914-1918
Paralleltitel (Englisch)
Political caricatures as an agent of national (enemy) propaganda!?
Publikationsjahr
2014
Umfangsangabe
374, XIX S. : Ill., graph. Darst.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Wolfgang Duchkowitsch
Klassifikation
05 Kommunikationswissenschaft > 05.01 Geschichte der Kommunikationswissenschaft
AC Nummer
AC12092199
Utheses ID
29455
Studienkennzahl
UA | 066 | 841 | |
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