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Lion Feuchtwanger als Grenzgänger
zum Elitarismus und Radikalismus seines Schaffens in US-Exil
Romana Trefil
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Roland Innerhofer
DOI
10.25365/thesis.34284
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29765.26807.128863-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
In der vorliegenden Studie wurde das literarische Werk Lion Feuchtwangers, welches explizit mit den Jahren seines Exils in den Vereinigten Staaten zu datieren ist, behandelt. Das ist die Zeit, die einerseits von den Erfahrungen des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkrieges genauso geprägt war wie andererseits vom Gegensatz zwischen Imperialismus und Kommunismus im Kontext des sogenannten Kalten Krieges nach 1945.
Grundsätzlich ist zunächst davon auszugehen, dass Lion Feuchtwanger selbst seinen Aufenthalt im Exil keineswegs als so unangenehm empfand, dass er die Lust verspürte, wieder in seine alte Heimat Deutschland oder zumindest nach Europa zurückzukehren. Es wäre unerheblich über die entsprechenden Gründe für diese Entscheidung zu intensive Recherchen anzustellen. Vielmehr scheint wichtig, dass der Künstler in seiner kalifornischen Villa einige Jahre der Zufriedenheit verbringen konnte; auch wenn er aufgrund seiner prokommunistischen und zumindest teilweise pro-stalinistischen Haltung natürlich der permanenten und kritischen Überwachung amerikanischer Behörden ausgesetzt war; auch wenn es zumindest anfangs problematisch war, seinen deutschsprachigen Leserkreis zurückzugewinnen.
Dies zeigt sich in dem durchaus als sehr produktiv und vielfältig zu bezeichnenden Schaffen seit seiner Flucht aus Europa. Es waren auch die Romane „Die Brüder Lautensack“ (1943), „Die Füchse im Weinberg“ (1946), „Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis“ (1951), „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ (1952), „Die Jüdin von Toledo“ (1954) sowie „Jefta und seine Tochter“ (1957), welche in der vorliegenden Forschungsstudie eine besondere Aufmerksamkeit erfahren sollten.
Zunächst muss betont werden, dass alle Werke Feuchtwangers (und dies nicht erst seit seiner Schaffensperiode im Exil) durch ein entscheidendes Maß an historischer Reflexion bestimmt waren. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund, dass Feuchtwanger als hervorragender Kenner geschichtlicher Zusammenhänge verstanden werden muss, stets zu beachten. Nur auf dieser Grundlage kann analysiert werden, in welchem Maße zeitgenössische Fragen hinsichtlich sozialgesellschaftlicher, politischer und religiöser Probleme auf die Darstellung im historischen Kontext projiziert wurden.
Es darf nicht verwundern, dass für Feuchtwanger insbesondere Momente von Aufklärung und Humanismus zu essentiellen Kernpunkten seiner literarischen Kunst vorrückten. Nicht nur der Umstand, dass Aufklärung ohnehin zu einem wesentlichen Faktor der historischen Darstellung zu zählen ist, weil die Romane „Die Füchse im Weinberg“, „Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis“ sowie „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ direkt oder zumindest ansatzweise mit dem Zeitalter der europäischen Aufklärung gleichzusetzen sind. Allein dies muss erklären, weshalb die Thematik für Feuchtwanger von übergeordnetem Wert war. Vielmehr ist es aber wohl die Reflexion aufklärerischer, humanistischer beziehungsweise einfach „zwischenmenschlicher“ Aspekte in der seinerzeitigen Gesellschaft, welche sich in seinen historischen Romanen widerspiegelt. Denn nochmals soll betont werden, dass aufklärerische Gedanken und aufklärerisches Handeln als Gegenpol zu jenen Paradigmen zu zählen sind, unter denen Feuchtwanger als Künstler wie auch als Mensch Zeit seines Lebens zu leiden hatte: der Diktatur des Dritten Reiches und dem damit verbundenen nationalsozialistischen Gedanken, welcher einem aufklärerischen Gedankengut ohne Frage radikal gegenüberstand; dem Imperialismus mit seiner nach Feuchtwanger aggressiven antikommunistischen Politik, unter welcher er nach 1945 in seinem amerikanischen Exil zumindest emotional zu leiden hatte.
Neben den Kernattributen aufklärerischen Denkens (wie vor allem Freiheit, Liberalismus, Toleranz, Rationalität, Bildung, Geselligkeit oder eben auch einem antiklerikalen Denken) waren es aber nämlich auch die Fragen nach einer Brutalität und Gewalt, welche im Werk Feuchtwangers immer wieder aufgegriffen wurden. Damit sind einerseits Beschreibungen gemeint, welche im Kontext von kriegerischen oder revolutionären Ereignissen reflektiert wurden. Exemplarisch sei nochmals besonders an die Inhalte in „Die Füchse im Weinberg“, „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ oder auch „Die Jüdin von Toledo“ erinnert, weil hier die Revolutionen in Amerika und Frankreich beziehungsweise die militärischen Konfrontationen im Rahmen der Reconquista auf der Iberischen Halbinsel beschrieben wurden und Gewalt dabei natürlich einen besonderen Stellenwert beanspruchte; nur so konnte Feuchtwanger seinem Leser die historischen Ereignisse glaubhaft vermitteln. Andererseits sind es aber auch Schilderungen von Gewalt auf einer kleineren Ebene gewesen, welche in seinen Romanen immer wieder zu erkennen sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei auch um die Verarbeitung eigener Erfahrungen infolge von Flucht, Exil und lediglicher Duldung in den Vereinigten Staaten, die zum Tragen kamen. Wiederum nur exemplarisch soll in diesem Zusammenhang auf „Jefta und seine Tochter“ oder „Die Brüder Lautensack“ verwiesen werden; auf den Tod beziehungsweise das Glaubensopfer, welches mit zum Teil sehr auf Gewalt bezogenen Wortschatz beschrieben wird.
Nicht verwundern soll hingegen, dass in Feuchtwangers epischem Spätwerk die Thematik des Judentums eine übergeordnete Rolle spielt. So sind es die Werke „Die Jüdin von Toledo“ sowie „Jefta und seine Tochter“, in welchen religiöse, kulturelle sowie geschichtliche Aspekte des Judentums sehr detailliert dargestellt werden; einerseits aufgrund der mittelalterlichen Geschichte von Christen- und Judentum sowie Islam auf der Iberischen Halbinsel; andererseits aufgrund des Aufgreifens alttestamentarischer Sujets. Auch wenn Feuchtwanger, der selbst jüdischer Herkunft war, was bekanntlich neben seiner antifaschistischen Überzeugung Grund für seine Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland war, sich niemals als tiefgläubig empfand, kann davon ausgegangen werden, dass die intensive Verarbeitung des Themas durchaus als Rückbesinnung auf eigene traditionelle und religiöse Wurzeln zu interpretieren sein darf. Auch wenn dabei stets eine gewisse Sympathie mit den jüdischen Protagonisten zu erkennen ist, muss betont werden, dass die Texte Feuchtwangers weitab jeglicher Verherrlichung oder orthodoxer Glaubensmission zu begreifen sind. Diese religiöse Objektivität macht den besonderen Reiz der Lektüre aus. Wiederum wird damit ein überaus aufklärerisches Denken des Autors bestätigt; ein Denken, welches dieser sich von einer viel größeren Masse der Menschen wünschte.
All diese Leitfaktoren verdeutlichen augenscheinlich eine Wechselwirkung zwischen jenen Themen, die den Autor auch persönlich in seiner Epoche bewegten, und jenen, welche als historische Momente zu kategorisieren sind. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass weniger elitäre Aspekte als vielmehr immer wieder Anzeichen einer Depression in den Texten Feuchtwangers auszumachen sind. Denn natürlich waren es jene Schmerzen und jene Gewalt, die er und viele seiner Leidensgenossen zu tragen hatten, weil sich eben nicht anzupassen gedachten, anzupassen an die existierenden gesellschaftspolitischen und ideologischen Vorgaben des Nationalsozialismus oder auch des amerikanischen Imperialismus, die in den Texten zu analysieren sind. Stets begriff sich Feuchtwanger als Opponenten, was sich auch deutlich in seinen Werken widerspiegelte. Insbesondere hatte der Autor im historischen Roman die Möglichkeit, Gesellschaftskritik so zu gestalten, dass sie dem Leser auf den ersten Blick als Schilderung der historischen Situation erscheint.
Allerdings wäre es problematisch, das prosaische Werk Feuchtwangers, welches er bis zu seinem Tod 1958 veröffentlichte, als Zeugnis einer Depression zu beschreiben. Denn immer wieder lassen die Texte auch eine gewisse Hoffnung auf die Zukunft und auf den Wunsch, dass es doch eine bessere, weil friedlichere Koexistenz der unterschiedlichen Völker und Religionen geben könnte, erkennen. Vor allem am Beispiel der Romane „Die Füchse im Weinberg“ und ganz besonders „Jefta und seine Tochter“ kann dies nachvollzogen werden.
Wenn man sich die Frage stellt, inwieweit Lion Feuchtwanger als „Grenzgänger“, als elitärer und radikaler Schriftsteller und Mensch zu beurteilen ist, kann dies freilich nicht allein aufgrund der vorliegenden Analyse seiner Exilwerke geschehen. Denn es ist zu beachten, dass es sich dabei stets um Fiktion handelt; auch wenn historische Themen überaus detailliert und historiographisch verarbeitet werden. Eine relevante Beurteilung dieser Frage kann nur auf der Grundlage biographischer und künstlerisch-literarischer Analysen geschehen.
Vor diesem Hintergrund ist jedoch eindeutig zu erkennen, dass Feuchtwanger durchaus als „Grenzgänger“ zu bezeichnen ist; als „Grenzgänger“, welchem hinsichtlich des Lebenslaufes wie auch des künstlerisch-literarischen Schaffens eine gewisse Radikalität zu attestieren ist. Mit seinen sehr drastischen Sprachmitteln will er eine bestimmte Grausamkeit und Brutalität, eine Abscheu vor Personen oder Ereignissen oder auch eine entsprechende Angst aufzeigen und diese auch beim Leser provozieren. Am Beispiel des Romans „Jefta und seine Tochter“ wird zudem sehr deutlich, inwieweit Feuchtwanger auf sehr radikale und provokante Weise versucht, einen Sprachstil zu entwickeln, der bei seinen Lesern teilweise auf Verwunderung, wenn nicht sogar auf Ablehnung stößt.
Schließlich ist zu akzentuieren, dass Feuchtwanger auch ein gewisser elitärer Status zu attestieren ist. Besonders vor dem Hintergrund, dass er - als Sympathisant kommunistischer und zeitweise stalinistischer Ideale - die Entscheidung traf, seinem Exil nicht den Rücken zu kehren, verdeutlicht diese Tatsache besonders offenkundig. Es darf vermutet werden, dass er der Meinung war, hier in der „Höhle des Löwen“, dem „Kernzentrum“ des Imperialismus, seiner literarischen Tätigkeit besonders engagiert und nicht zuletzt auch provozierend nachgehen zu können.
Abstract
(Englisch)
The topic of this study is the literary work of Lion Feuchtwanger. The study explicitly covers the works dating from the author's years of exile in the United States of America, years which corresponded with the existence of the Third Reich and the Second World War, as well as the author's opposition to imperialism and communism during the Cold War.
The study presumes that Lion Feuchtwanger did not consider his stay in exile as uncomfortable as returning to his home country of Germany or even to Europe would have been. It seems that he was able to enjoy some years of tranquility in his California villa despite nagging issues: he was monitored by the American authorities because of his pro-communist beliefs and it was not easy to sustain his German language readership.
Works like “The Lautensack Brothers” (1943), “Foxes in the Vineyard” (1946), “Goya” (1951), “ ‘Tis Folly to Be Wise, Or, Death and Transfiguration of Jean-Jacques Rousseau” (1952), “The Jewess of Toledo” (1954) and “Jephtha and his Daughter” (1957) are proof of Feuchtwanger’s productive and manifold period as a writer after his escape to the United States. Moreover, the aforementioned works are the central concern of the study at hand.
First, it is important to mention the essential historical reflection which is present in all of Feuchtwanger’s works, not only in the ones written in exile. The fact that Lion Feuchtwanger was a skilled historian provides the basis for the analysis to which degree contemporary issues of his lifetime (social, political and religious problems) are projected into historical context.
Considering this, it becomes obvious that enlightenment and humanism are constitutive for Feuchtwanger’s literary works, as the the European Age of Enlightenment is the time in which some of his plots are set (“Foxes in the Vineyard”, “Goya”, “ ‘Tis Folly to Be Wise, Or, Death and Transfiguration of Jean-Jacques Rousseau”). The reflection on interpersonal attitude in the humanist spirit of the Age of Reason is also central, and the historical novel provides its background. Once again, the study stresses the importance of humanist ideas in opposition to the dictatorship of the Third Reich and Nazi ideology, under which Feuchtwanger suffered during his lifetime.
Alongside humanist notions (like liberty, liberalism, tolerance, rationality, education, companionship or simply anti-clerical reasoning) there is a recurrence of brutality and violence which is problematized in Feuchtwanger’s works. In some works these are reflected in the context of revolution or war, as for example in “Foxes in the Vineyard”, “ ‘Tis Folly to Be Wise, Or, Death and Transfiguration of Jean-Jacques Rousseau”, “The Jewess of Toledo”, in which the author describes the revolutions in America and France and the military confrontations of the Reconquista at the Iberian Peninsula.
However, the author also depicts violence on a smaller level throughout his novels. This might be a processing of autobiographical experience related to emigration, exile, and being merely tolerated in the United States. This becomes apparent in “Jephtha and his Daughter” and “The Lautensack Brothers”, where death, i.e. the sacrifice, is partly described in words associated with violence.
Apparently, in Feuchtwanger’s later works Judaism plays a superior role, as seen in the detailed portrayal of religious, cultural and historical aspects of Judaism in “The Jewess of Toledo” and “Jephtha and his Daughter”, which are set in the medieval disputes among Christianity, Judaism, and Islam on the Iberian Peninsula. Even though Feuchtwanger, a Jew with anti-fascistic beliefs who fled from Nazi Germany, never considered himself deeply religious, he continually addresses the theme of Judaism, revisiting his own tradition and religious roots. And even though a certain fondness towards the Jewish hero may be present, it is important to stress that Feuchtwanger’s texts remain religiously objective by excluding any kind of glorification or orthodox mission.
All of these circumstances explain the interaction among the themes that moved the author personally during his lifetime and the ones that are categorized as historical moments. In addition, a conspicuous depression manifests itself in Feuchtwanger’s texts. This can be viewed as an expression of pain and violence, which can be analyzed throughout Feuchtwanger’s texts, as experienced by many people who refused to adapt to the social, political and ideological enforcements existing in Nazi Germany as well as to those of imperialist America. Significantly, Feuchtwanger conceived himself as an opponent to oppression, a critic of society, and he uses the historical novel as a platform for social criticism in which he apparently thrusts the reader into historical context.
However, it would be difficult to consider Feuchtwanger’s works of prose, published until his death in 1958, as a statement of depression. His texts tend to disclose a certain feeling of hope towards a better future, a wish for the peaceful coexistence of diverse peoples and religions, which can be analyzed in the novels “Jephtha and his Daughter” and “Foxes in the Vineyard”.
If one were to contemplate Lion Feuchtwanger as “transgressor”, as an elitist and a radical, both professionally as a writer and personally, then one could not do so by analyzing only his works of exile. It must be understood that we are dealing exclusively with fiction here, even though historical themes are being described in detail and historically set. An assessment of Feuchtwanger's "transgressiveness" could easily be achieved through relevant biographical and literary research.
One has to recognize Feuchtwanger as a “transgressor” by all means; “transgressing” into a kind of radicalism due to his life experience and his works of art. The author means to provoke horror and abhorrence towards people and events in the reader, and does so by using drastic language to depict ferocity and brutality. His novel “Jephtha and his Daughter” can be analyzed in these terms as radical and provocative writing, in which the author strives to produce a style of language to evoke astonishment and even opposition in his readers.
Eventually, it is important to emphasize Feuchtwanger’s elite status nevertheless. Lion Feuchtwanger, a communist supporter and partly even a sympathizer with Stalinist ideals, secured his elite status when he decided to stay in exile, so to speak. One cannot help but speculate about the idea that he regarded his exile, the “core” of imperialism, as a unique viewpoint which would assure his special position as a writer. Here, in the “lion’s den”, he could engage in his writing and be inspired to write exceptional works of art.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Exile literature Lion Feuchtwanger US-exile
Schlagwörter
(Deutsch)
Exilliteratur Lion Feuchtwanger US-Exil
Autor*innen
Romana Trefil
Haupttitel (Deutsch)
Lion Feuchtwanger als Grenzgänger
Hauptuntertitel (Deutsch)
zum Elitarismus und Radikalismus seines Schaffens in US-Exil
Publikationsjahr
2014
Umfangsangabe
196 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Roland Innerhofer ,
Michael Rohrwasser
Klassifikation
18 Einzelne Sprachen und Literaturen > 18.10 Deutsche Literatur
AC Nummer
AC12050650
Utheses ID
30430
Studienkennzahl
UA | 092 | 332 | |