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"Nur wo du bist, entsteht ein Ort."
das Ereignis der Begegnung in Liebe bei Ludwig Binswanger
Andreas Agreiter
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft
Betreuer*in
Peter Kampits
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.34840
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30260.39682.842970-8
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die Frage nach der Begegnung oder der Beziehung zwischen Menschen ist eine alte und oftmals diskutierte. Ist sie damit schon nach allen Seiten hin erschöpfend beantwortet oder auch erst erreicht worden? Beziehungen zu anderen erscheinen beiläufig und nebensächlich, sodass eine Verbindlichkeit in der Begegnung verdeckt wird. Lassen sich Arten der Begegnung freilegen, die dich und mich in unserem Eigensein betreffen oder dieses gar begründen? Das gewöhnliche Geschehen der Begegnung ist also auf dessen Fundamente hin zu prüfen, dem vermeintlich Selbstverständlichen ist auf den Grund zu gehen. Das bedeutet zuerst, die Frage nach dem Anderen zuzulassen, sich dieser Frage und dem Anderen zu stellen. Der Mitmensch ist in mannigfacher Weise anwesend, sei er ein Bekannter, der Nachbar oder jener, mit dem wir eine innige Beziehung pflegen – das Du. Für das Miteinandersein von Ich und Du reserviert Binswanger den Begriff Liebe bzw. Dualität: „Obwohl oder gerade weil der eigentliche Modus des Menschseins, ist der duale Modus der versteckteste, ja erdrückteste.“ Unter diesem modus dualis versteht Binswanger jene Daseinsweise, die den Ursprung jeden Daseins bildet und den er in seinem Hauptwerk Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins ausgiebig erschöpft – der Begriff der Liebe. Damit setzt er sich dezidiert von Heidegger ab, der, so Binswanger, die Sorge als Sein des Daseins versteht. Dem hält er das In-der-Welt-über-die-Welt-hinaus-sein entgegen, welches nicht im zu Besorgenden aufgeht. Binswanger tritt nicht in Opposition zu Heidegger, beabsichtigt er doch eine „Phänomenologie der Liebe“, diese wird sich zuweilen als Akosmismus bzw. Weltflucht erweisen. In diesem Sinn darf Binswanger dem Begegnungsdenken zugeordnet werden, das sich ihm durch seine Tätigkeit als Psychiater und Therapeut erschloss. Liebe bedeutet ihm nicht bloß das Füreinander zweier Liebender oder eine Paarbeziehung, sondern generell die Grundform des Daseins als Aufruf zum und Freigabe in eigenes Seinkönnen. Dementsprechend weitet sich das Verständnis von Liebe. Ist dieser Begriff auch abgenutzt und verbraucht, so vermag er sich dennoch Gehör zu verschaffen: „Und doch scheint der duale Modus auch in dieser Daseinsgestalt hindurch, wie es ja kaum einen Menschen geben wird, in dem kein Keim von Liebe zu entdecken ist.“ Dem Konzept der Liebe, wie es von Binswanger entworfen wurde, steht nun eine Bewährungsprobe entgegen: 1) Liebe als Begegnung mit dem Anderen muss heraustreten aus ihrem theoretischen Rahmen, um im konkreten, alltäglichen Leben standhalten zu können – hier werden wir auf wesentliche Ereignisse wie Geburt, Curricularität, Sozialität, defiziente Daseinsformen und Tod des geliebten Menschen verwiesen. Kann das Konzept der Liebe dafür ein solides Fundament bilden? 2) Erweist sich die Begegnung in Liebe als ursprüngliche, also die den Grund legende Form des Daseins, dann müssen alle übrigen Daseinsformen, -weisen (das Dasein mit den anderen, Singularität) sowie -möglichkeiten aus dieser ableitbar und daher begründbar sein. Das In-Beziehung-setzen dieser verschiedenen Daseinsmodi wird nicht zu umgehen sein, Brüche und Konvergenzen werden damit offenbar. Ziel der Arbeit ist es letztlich, zu sehen, ob Dissonanzen innerhalb des Binswangerschen Denkens unvereinbar nebeneinander stehen oder ob nicht diverse andere Standpunkte und Perspektiven seine Ansätze bereichern können. So bildet die Dissertation die Wiederaufnahme seiner Denkbemühungen, um sie erneut für die Frage nach dem Du, dem Ich und nach dem Wir zu öffnen. Zum bereits Veröffentlichten zu diesem Thema ist zu sagen, dass sich eine Kluft zwischen Naturwissenschaft und Philosophie aufgetan hat. Forscher beider Disziplinen sind zuweilen zu „Grenzgängen“ aufgefordert, die mancherorts fixe Positionierungen von Geistes- und Naturwissenschaft in Frage stellen bzw. diese überschreiten. Dies spiegelt sich in der Fachliteratur wider, die freilich auch einer subjektiven Auswahl unterliegt, zumal nicht alle denkerischen Bemühungen eingeholt werden können. Die Dissertation kann daher nicht philosophiehistorisch referieren, allerdings muss ihr des behandelten Themas wegen der Rückgriff auf die Tradition gestattet sein. Weder soll rezente Fachliteratur die herkömmliche dominieren noch sollen klassische Publikationen zu einem Kanon erhoben werden. Eine sich womöglich zeigende Forschungslücke ergibt sich aus dem Thema selbst: wie verhalten wir uns zu dem uns Angehenden – dem Anderen, dem Du? Diesbezüglich kann nur auf konkurrierende und kommentierende Stimmen hingewiesen werden, die Binswanger begleiteten, diskutierten und weiterentwickelten. So wird die Arbeit nicht den Anspruch erheben, eine Lücke zu schließen, wohl aber, Gräben nicht zu verbreitern oder zu vertiefen. Zur Darstellung der Forschungsmethodik: Gefordert ist das (möglichst vorurteilsfreie) Sich-Einstellen auf den Denker, um ihm auf „gleicher Augenhöhe“ begegnen zu können. Erst von da aus kann der Fortgang des Problems verfolgt werden und mit anderen Positionen sowie Einwänden konfrontiert werden. Eine totale Kontrastellung ist ebenso unangebracht wie eine unkritische Eulogie.
Abstract
(Englisch)
The question of the encounter or the relation between people is old and often discussed. Has it been answered in all respects adequately or has it at least been reached? Relations with others seem casual and secondary, so that an obligation is covered in a relationship. Can kinds of encounters be exposed which concern you and me in our own being-in-the-world or which even found this? Usual relations are to be examined on its foundations, the putatively natural is to be gone on the reason. This indicates first to admit the question after the other, to position oneself to this question and to the other. The person is present in manifold ways, he is a friend, the neighbour or that with whom we maintain an intimate relationship – the You. As for the being-together of me and you, Binswanger books the concept love or “Dualität” (duality): „Although or just because the real mode of the being, the dual mode is the most hidden, the most crushed one.“ Binswanger interprets the dual mode as the way of existence which forms the origin of every existence. The concept of love is unfolded very broadly in his major work Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins (Basic Forms and the Realization of Human “Being-in-the-World”). He presents a counterpart to Heidegger, who puts being-in-the-world as care (Sorge). Human existence is “more” or other than care, it is being-in-the-world-beyond-the-world (“In-der-Welt-über-die-Welt-hinaus-sein”), that does not dissolve into concern (Besorgen). He does not decidedly oppose Heidegger for he intends to establish a “phenomenology of love”. For this reason, Binswanger’s philosophy sometimes seems to be unworldly, turned off concrete circumstances respectively. In this sense, Binswanger may be assigned to the philosophy of dialogue which he was confronted with due to his profession - he was a psychiatrist and therapist. To him, love means not only the “each other” of two lovers or a pair-relation, but in general the basic form of being as a call to the release into being as one specific and unique self (mine as well as your self). Therefore, the understanding of love widens. May this concept be worn and used, it still makes itself heard: „And, nevertheless, the dual mode is kept up in this form of existence as there will be hardly anyone who is not able to receive and donate love.“ The idea of love as sketched by Binswanger will be put to the test: 1) Love as an encounter of one and the other must leave the theoretical frame in order to match concrete, everyday life – this points to relevant events like birth, the life-cycle, socialization, deficient forms of existence and death of the beloved person. Can love form a solid foundation? 2) Binswanger interprets loving relation as the original and deepest form of being-together, hence all other forms of existence (friendship, plurality, singularity) must derive from it. These different modes of being might diverge from each other or reveal dissonances. The aim of the doctoral thesis is to show alternative points of views and perspectives to enrich his approaches or starting points. The question concerning the You, the I and the “We” has to be asked again; for this reason, we have to ponder on his thoughts and ideas. Concerning former publications on this subject, it is to be said that a gap between natural sciences and philosophy has opened. Researchers of both disciplines are requested now and again to "cross borders" which questions fixed scientific results of both humanities and natural sciences. This is evident in the specialist literature which is, admittedly, subject to personal and individual choice, since not all intellectual efforts can be taken into account. Neither should recent literature dominate the customary one, nor should relevant publications represent a canon. A probable interdisciplinary gap arises from the theme itself: how do we perceive ourselves in view of the one who I face – the other, the You? This puts a focus on competing and commenting voices which accompanied and discussed Binswanger’s thoughts, trying to achieve further developments. Thus the work will not raise the claim to close a gap, but it shall neither widen nor deepen ditches. To the representation of the research methodology: The demand on a (very unprejudiced) self-adjustment to the thinker enables to meet him on the „same eye level“. This is the way, the progress of problems and questions can be pursued and get confronted with other positions as well as objections. A complete contraposition is as inappropriate as an uncritical eulogy.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Binswanger, Ludwig Heidegger, Martin love coexistence daseinsanalysis gift name
Schlagwörter
(Deutsch)
Binswanger, Ludwig Heidegger, Martin Liebe Koexistenz Daseinsanalyse Gabe Name
Autor*innen
Andreas Agreiter
Haupttitel (Deutsch)
"Nur wo du bist, entsteht ein Ort."
Hauptuntertitel (Deutsch)
das Ereignis der Begegnung in Liebe bei Ludwig Binswanger
Paralleltitel (Englisch)
"For where thou art or shalt be, there or here." ; the event of encounter in love according to Ludwig Binswanger
Publikationsjahr
2014
Umfangsangabe
260 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Peter Kampits ,
Josef Rhemann
Klassifikationen
08 Philosophie > 08.25 Zeitgenössische westliche Philosophie ,
08 Philosophie > 08.36 Philosophische Anthropologie ,
08 Philosophie > 08.44 Sozialphilosophie
AC Nummer
AC12188987
Utheses ID
30907
Studienkennzahl
UA | 092 | 296 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1