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Der Krampuslauf als kleinster gemeinsamer Nenner
Gemeinschaftsförderung und Identitätskonstruktion anhand eines Rituals im Gasteiner Tal
Lisa-Theresa Anna Kolb
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Elke Mader
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.34896
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29392.01747.714453-2
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Der Krampuslauf im Gasteiner Tal in Salzburg (Österreich) ist ein Ritual, das jedes Jahr am 5. und 6. Dezember stattfindet. Gruppen von Männern, sogenannte Passen, gehen durch die Siedlungen von Haus zu Haus und bitten um Einlass. Die Männer sind verkleidet und stellen verschiedene Figuren dar. Es gibt immer einen Nikolaus, einen Körbelträger und einige Krampusse. Der Nikolaus ist ein Heiliger, der über die guten und schlechten Taten der Menschen Bescheid weiß. Er verschenkt Nikolaussackerl – mit Früchten, Nüssen und Süßigkeiten gefüllte Säckchen – an diejenigen, die brav waren. Die Bösen werden hingegen von den Krampussen bestraft – große, fellige Wesen mit hässlichen, menschenähnlichen Gesichtern und Hörnern auf dem Kopf. Sie haben Ruten, Rossschwänze oder Ketten bei sich, um die Menschen zu schlagen. Der Körbelträger ist ein Helfer des Nikolaus und trägt die Nikolaussackerl. Die Masterarbeit fragt nach den gemeinschaftsfördernden und identitätskonstruierenden Aspekten dieses Rituals. In der anthropologischen Theorie werden Rituale mit der Entstehung, Aufrechterhaltung und Entwicklung von menschlichen Gesellschaften in Verbindung gebracht. Es gibt verschiedene Ansätze, wie dies genau vonstattengeht, zum Beispiel Durkheims Theorie über primitive Gesellschaften, die sich durch Rituale selbst feiern, Turners Theorie über den beständigen Wechsel zwischen Communitas und Struktur durch Rituale und Handelmans Theorie, dass Rituale die „richtige Welt“ sowohl spiegeln, als auch formen können. Alle teilen die Annahme, dass es grundsätzlich eine Verbindung zwischen Ritual und Gemeinschaft gibt. Die Arbeit vergleicht einige dieser Ansätze mit Aspekten des Krampuslaufs. Außerdem werden Baumanns Grammars of Identity/Alterity genutzt, um den identitätskonstruierenden Charakter des Gasteiner Krampuslaufs zu beschreiben. Die Konstruktion von Identität ist immer an die Konstruktion von Alterität gebunden, das bedeutet, dass man sich selbst, jemand anderen oder eine Gruppe immer nur dann identifizieren kann, wenn man zugleich etwas identifiziert, was man selbst, jemand anderer oder die Gruppe nicht ist. Baumann schreibt, dass dieser Prozess für gewöhnlich in einer von drei möglichen Weisen vor sich geht, die er Grammars nennt: Orientalismus, Segmentation und Encompassment. Die vorliegende Arbeit erkennt die Elemente des Von-Haus-zu-Haus-Gehens und des Hausbesuchs vor dem Hintergrund des Paradigmas der Ritualdynamik als zentrale Anliegen des Ritualdesigns. Diese Elemente eignen sich am besten dazu, die Dorfgemeinschaft zu stärken. Zunächst wird die Gemeinschaft in Kraft gesetzt, wenn sich die Leute in ihren Küchen treffen, um gemeinsam auf die Passen zu warten. Weiters wird sie bestärkt, wenn gemeinsam mit dem Nikolaus eine Sphäre der Mystik und der verstärkten Aufmerksamkeit geschaffen wird. In dieser Sphäre werden die Kinder in die Gemeinschaft eingeführt und bekommen ihren Platz in der Gesellschaft zugewiesen, wenn sie ihre Ängste vor den Autoritiäten des Nikolaus und der Krampusse überwinden müssen, die ihnen im Falle von schlechtem Benehmen mit Bestrafung drohen. Wenn sie trotzdem am Ritual teilnehmen und ihr Gedicht oder ihr Lied vortragen, werden sie dafür mit einem Nikolaussackerl belohnt. Der Austausch eines kleinen Geldbetrages (für die Passen) und der Nikolaussackerl (für die Haushalte), stärkt zudem die Beziehungen zwischen den Erwachsenen und den Passen. Das Paradox des Ein- und Auftritts der Krampusse obwohl Nikolaussackerl verteilt wurden (was eigentlich bedeuten müsste, dass die Anwesenden sich während des Jahres gut benommen haben), kann mit einem Bedürfnis nach Druckausgleich erklärt werden. Tatsächlich genießen viele (erwachsene) Personen das wilde Benehmen der Krampusse weitaus mehr, als sie es fürchten. Die klar eingegrenzte Möglichkeit, sich weniger regelgebunden und anarchischer zu benehmen als im Alltag, kann als Ventil für emotionale und soziale Schieflagen dienen, was der sozialen Stabilität während es Jahres dienlich ist. Da die Krampusse auch mit den Leuten auf den Straßen in Interaktion treten, wenn die Passen von Haus zu Haus gehen, werden zudem die öffentlichen Plätze belebt, die zwischen den privaten Haushalten liegen. Durch den Kramupuslauf wird daher das gesamte bewohnte Gemeindegebiet, das als Symbol für die Dorfgemeinschaft interpretiert werden kann, aktiviert. Die Identitätskonstruktion durch den Krampuslauf findet vor allem im Diskurs um die richtige Umsetzung des Rituals statt. Die Masterarbeit stellt zwei diskursive Strategien vor, die verwendet werden, um zu argumentieren, dass das verteidigte Ritualdesign das Beste ist: Traditionalisierung, die am besten mit dem Satz „Es war schon immer so“ beschrieben werden kann, und Naturalisierung, die nach der Devise „Hier bei uns machen wir das so, für uns ist das normal (wer es nicht versteht, gehört nicht dazu)“ vorgeht. Dargestellt anhand von drei Beispielen kontroversieller Teilbereiche des Rituals stellt sich heraus, dass Identität und Alterität im Diskurs implizit konstruiert werden. Vor allem eine Spielart der Segementation kann beobachtet werden. Auf einer niedrigen Ebene denkt jede Pass, dass sie die Beste im ganzen Dorf ist. Alle Passen eines Dorfes sind sich hingegen einig, dass das Ritual in ihrer Gemeinde besser umgesetzt wird, als in den anderen Dörfern des Tales. Gleichzeitig sind sich die meisten Leute im Tal sicher, dass das Gasteiner Tal im Vergleich mit anderen Regionen das Beste ist, wenn es um den Krampuslauf geht. Trotzdem erkennen sie an, dass manche Täler ähnliche Rituale haben, die als besser gelten, als jene, die in urbanen Regionen oder Städten ausgeführt werden. Im Diskurs um die beste Umsetzung des Krampuslaufs entsteht also eine Art „Gasteiner Identität“. Zugereiste, die dem Ritual manchmal kritisch gegenüberstehen, werden von der Gasteiner Mehrheit im Sinne der Encompassment-Grammar einverleibt. Wenn es darum geht, einen generellen Standpunkt des Gasteiner Tals zum Krampuslauf zu formulieren, werden ihre Meinungen oft ignoriert. Trotzdem erwartet man von ihnen, dass sie zumindest bis zu einem gewissen Grad am Ritual teilnehmen. Auf der einen Seite werden die Zugereisten als Teil „der Gasteiner/innen“ betrachtet, aber auf der anderen Seite hat ihre Meinung nicht das gleiche Gewicht wie das der „ursprünglichen“ Gasteiner/innen. Meistens reagieren diese Leute darauf mit der Orientalismus-Grammar. Sie freunden sich so gut wie möglich mit dem Ritual an. Obwohl sie Bedenken bezüglich einiger Aspekte des Rituals haben, die ihren moralischen Standpunkten widersprechen, zollen sie anderen Aspekten des Rituals, die in Bereichen, in denen ihre eigene Weltsicht Mängel aufweist, Vorteile mit sich bringen, Respekt.
Abstract
(Englisch)
The Krampuslauf at the Gasteiner Valley in Salzburg (Austria) is an annual ritual, which takes place on the 5th and 6th of December. Groups of men, called Passen, walk through the neighborhood from house to house and ask whether they can come in. The men are dressed up and represent different figures. There is always a Nikolaus, a Körberlträger and a few Krampusse. The Nikolaus is said to be a Saint, who knows about the good and bad deeds of the people. He gives out Nikolaussackerl – bags filled with fruits, nuts and treats – to those who have been dutiful. The bad people are said to be punished by the Krampusse, who are huge furry figures with ugly anthropomorphic faces and horns on their heads. They carry rods, horse tails or chains to hit people. The Körbelträger is supposed to assist the Nikolaus and to carry the Nikolaussackerl. The thesis examines the community-strengthening and identity-constructing aspects of this ritual. In anthropological theory rituals are said to interfere with the building, strengthening and developing of human societies. There are different approaches to how exactly this occurs, for example: Durkheim´s theory of primitive societies celebrating themselves through rituals; Turner’s theory of the constant alternation between the status of comunitas and the status of structure through rituals; and Handelman’s theory that rituals might model or mirror the “real world”. Yet, all these approaches have in common that they argue that there is a connection between rituals and communities. The thesis compares some of these approaches with aspects of the Krampuslauf. Furthermore it uses Baumann’s Grammars of Identity/Alterity to capture the identity-constructing character of the Gasteiner Krampuslauf. The construction of identity is always bound to the construction of alterity, which means, that you can only identify yourself, someone else or a group, if at the same time you identify something, that you, someone else or the group is not. Baumann argues that this process usually is carried out in one out of three different ways he calls Grammars: Orientalism, Segmentation and Encompassment. The thesis – based on the paradigm of ritual dynamics – identifies two elements of the Krampuslauf, namely walking from house to house and entering the private households, as central concerns of the ritual design. The reason for this is argued to be the fact that these elements provide a good basis to strengthen the community of the village. First, community is reenacted when people gather in their kitchens to wait for the Passen. It is further carried out when together with the Nikolaus they create a special sphere characterized by mysticism and forced attention. In this sphere the children are introduced to the community and allocated their place in society. This occurs when they have to overcome their fear of the authorities of the Nikolaus and the Krampusse who threaten them with punishment in case of bad behavior. If they participate in the ritual and perform their song or poem anyway, they are rewarded with a Nikolaussackerl. The exchange of a small amount of money (for the Passen) and the Nikolaussackerl (for the households) further strengthens the relationship between the adults and the members of the Pass. The paradox of the entering and the performance of the Krampusse, although Nikolaussackerl have been distributed (which is supposed to mean that the attendants have behaved well during the year) can be explained with a need for pressure equalization. In fact, many (adult) people rather enjoy the wild behavior of the Krampusse instead of seriously fearing it. The clearly localized opportunity of behaving in a less rule-bound and more anarchic way than in everyday life can be an outlet for emotional and social maladjustment. This may facilitate social stability during the year. Since the Krampusse also interact with the people on the streets when the Passen walk from house to house, there is a stimulation of the public places which connect the private households. Through the Krampuslauf the whole lived-in space of the village, which can be interpreted as a symbol for the community of the village itself, is activated. The construction of identity through the Krampuslauf mostly takes place in the discourse on the correct implementation of the ritual. The thesis introduces two discursive strategies used to argue that the ritual design defended is the best: There is Traditionalisation, which can be best described with the sentence “It has always been like this”, and Naturalisation, which argues like this “Here we do it this way, it´s normal to us (if others don´t understand, they don´t belong)”. Shown on three examples of controversial topics concerning the ritual, it turns out that identity and alterity are implicitly constructed throughout the discourse. Most remarkably, a kind of Segmentation can be observed. At a very low level each Pass thinks that it is the best in the whole village. But all Passen of a village agree that they implement the Krampuslauf better than the other villages of the Gasteiner Valley. At the same time most people of the valley are sure that in general the Gasteiner Valley is the best compared to other regions when it comes to the Krampuslauf. And still they acknowledge that some other valleys might have similar rituals which are supposed to be better when compared to those carried out in urban regions and cities. Hence, in the discourse about the right implementation of the Krampuslauf, a kind of identity of Gastein emerges. Immigrants who sometimes raise concerns about the ritual are incorporated by the Gasteiner majority in the sense of the Encompassment-Grammar. When it comes to the general standpoint of the Gasteiner Valley in terms of the Krampuslauf their opinions are often ignored, while at the same time they are expected to participate in the ritual at least to certain degree. On the one hand, the immigrants are seen as inside the Group of “The Gastein People” and on the other hand, their opinion is not worth the same as the opinion of “original” Gastein people. Mostly these people react in terms of the Orientalism-Grammar. They accept the ritual as much as possible. Although they might have concerns because some parts of the Krampuslauf go against their usual moral standards, they also show respect to other aspects of the ritual, which might be beneficial in areas where their own worldview perhaps lacks something.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
identity alterity community ritual
Schlagwörter
(Deutsch)
Krampuslauf Krampus Nikolaus Körbelträger Ritual Gastein Gemeinschaft Identität
Autor*innen
Lisa-Theresa Anna Kolb
Haupttitel (Deutsch)
Der Krampuslauf als kleinster gemeinsamer Nenner
Hauptuntertitel (Deutsch)
Gemeinschaftsförderung und Identitätskonstruktion anhand eines Rituals im Gasteiner Tal
Paralleltitel (Englisch)
The Krampuslauf as least common denominator
Publikationsjahr
2014
Umfangsangabe
137, [5] S. : Ill., Kt.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Elke Mader
Klassifikationen
73 Ethnologie > 73.29 Materielle Kultur: Sonstiges ,
73 Ethnologie > 73.42 Altersgruppen, Initiation, Sozialisation ,
73 Ethnologie > 73.45 Einzelne soziale Gruppen, Außenseiter, Randgruppen ,
73 Ethnologie > 73.57 Kulte, Riten ,
73 Ethnologie > 73.66 Spiele, Feste, Bewegungskultur ,
73 Ethnologie > 73.83 Regionale Volkskunde ,
73 Ethnologie > 73.91 Brauchtum ,
73 Ethnologie > 73.96 Ethnische Identität
AC Nummer
AC12116386
Utheses ID
30952
Studienkennzahl
UA | 066 | 810 | |
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