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Die moderne Großstadt im frühen Werk Bertolt Brechts untersucht an "Aus dem Lesebuch für Städtebewohner" und "Im Dickicht der Städte"
Cornelia Reiter
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Diplomstudium Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Betreuer*in
Monika Meister
DOI
10.25365/thesis.35068
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30030.50924.347866-7
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die moderne Großstadt, vor allem das Berlin der 20er Jahre, ist ein Sujet, das bis heute in Kunst, Kultur und Wissenschaft aufgegriffen und diskutiert wird. Die Metropolen der Moderne wurden aber bereits von Künstler_innen und Intellektuellen ihrer Zeit mit Interesse wahrgenommen und zum Thema ihrer Werke gemacht.
Auch Bertolt Brecht hat sich mit der modernen Großstadt beschäftigt. Vor allem seine frühen Werke zeugen von seinem Interesse für die urbane Wirklichkeit. Bemerkenswert ist, dass das Thema „Stadt“, im Vergleich zur sonst so üppigen Forschung und Literatur zu Brecht, im wissenschaftlichen Diskurs wenig Beachtung findet. Die vorliegende Arbeit schlägt hier einen anderen Weg ein, so steht die moderne Großstadt im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit Brecht und einer Auswahl seiner Werke.
Ein nicht unwesentlicher Teil der Untersuchung basiert dabei auf dem persönlichen Verhältnis des Theaterschaffenden zur Stadt. Chroniken, Darstellungen von Weggefährten, Tagebuchnotizen und Briefe zeugen davon, wie er selbst die moderne Großstadt, in Form des Berlins der 20 Jahre des vorigen Jahrhunderts, erlebt hat. Die Analyse des Materials legte offen, dass Brecht es einerseits hervorragend verstand, sich in die urbane Gesellschaft einzufügen. Er vernetzte sich schnell mit maßgebenden Akteuren der kreativen Szene und etablierte sich bald unter den Kunst- und Kulturschaffenden. Außerdem wusste er geschickt mit Verlagen und Theatern zu verhandeln und seine Werke am geschäftigen Berliner Kunstmarkt zu positionieren. Andererseits behielt sich Brecht eine gewisse Distanz zur großstädtischen Gesellschaft. Er nutzte seine Perspektive des Außenstehenden, um mit etwas Abstand deren Konstruktionsprinzipien und Prozesse wahrzunehmen und zu erfassen. Dabei entlarvte er seine pulsierende Umgebung gleichzeitig als kalt, oberflächlich und den Anforderungen des schnelllebigen Kapitalismus unterworfen.
Seine aufmerksamen Beobachtungen hat Brecht beispielsweise in jenen Werken verarbeitet, die an dieser Stelle analysiert wurden, nämlich in der Gedichtsammlung Aus dem Lesebuch für Städtebewohner (1926/27) und dem Theaterstück Im Dickicht der Städte (UA 1927). Hier entwirft er ein perspektivenreiches Bild des Urbanen, das auch die Widersprüche aus seinen eigenen Berlin-Erfahrungen einschließt.
Brechts Bild der Großstadt umfasst dabei folgende Charakteristika: (1) Die Großstadt besteht im permanenten Wechsel, der langfristige Bindungen und Verbindlichkeiten verunmöglicht, eine unstete und schwer einschätzbare Lebenssituation schafft, den Moment fokussiert, diesen von Zukunft und Vergangenheit abkoppelt, aber auch Offenheit für Neues, für das Moderne und für die Zukunft garantiert. (2) Das Individuum kann sich in der Großstadt aus sozialer Kontrolle befreien, von Traditionen und überkommenen Normen emanzipieren und kreative Alternativen ergreifen. Gleichzeitig muss es sich von Vertrautem trennen, Werte und „Ansichten“ ablegen und es darf keine „Spuren“ hinterlassen, die auf seine individuelle Eigenart hinweisen. (3) Die Großstadt ist vom Kapitalismus durchsetzt. Er ist die Dynamik, die die Stadt antreibt. Er prägt die Zwischenmenschlichkeit, die rational, berechnend, gefühlskalt und scheinbar formal gerecht ist. Er macht die Großstadt aber auch unübersichtlich und schwer einschätzbar, weil er das Transitorische fördert, nach eigenen und unerklärlichen Gesetzen funktioniert und die Städtebewohner immer wieder in Überlebens- und Konkurrenzkämpfe verstrickt. (4) Die Großstadt bei Brecht ist nicht manifest. Ihre Substanz ist veränderlich. Die Stadt ist verdichtete Gesellschaft, die von den Worten der Allgemeinheit getragen und in diesen reproduziert wird. Die Bewohner_innen stellen die Wirklichkeit der Großstadt diskursiv her und könnten diese daher auch verändern.
Im Stück Im Dickicht der Städte wendet Brecht Elemente des epischen Theaters, wie beispielsweise die Darstellung des „veränderlichen“ Menschen, gezielte „Historisierung“ sowie die Schaffung von „Erkenntnis“-stiftender Distanz durch „Verfremdung“ und „Unterbrechung“ an, um den Zuschauer_innen die großstädtische Wirklichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu erhellen. Dadurch erhalten diese „Kenntnisse“ über die urbane Gesellschaft, die eine kritische „Haltung“ und letztlich politisches „Eingreifen“ möglich machen.
Die Arbeit gelangt zu dem Schluss, dass Brecht seinem (Lese)Publikum mittels der Großstadt die Ambivalenz der Freiheit in der kapitalistischen, modernen Gesellschaft vor Augen führt. Einerseits befreit das Leben in der modernen Großstadt aus sozialer Kontrolle, Grenzen und Schranken, andererseits beschränkt es den Handlungsspielraum, weil man sich den Anforderungen des Kapitalismus und der transitorischen Modernisierung unterwerfen muss. Hier zeigt Brecht in aller Klarheit, dass es das eine ohne das andere nicht gibt. Er macht aber gleichzeitig deutlich, dass diese großstädtische Wirklichkeit nicht so sein muss, wie sie ist, sondern dass sie von Menschen, die sich als wirklichkeitserzeugende Allgemeinheit begreifen, verändert werden kann.
Abstract
(Englisch)
This diploma thesis investigates the modern City in Bertolt Brecht’s early works. In analysing his own experiences in Berlin of the nineteen-twenties, his collection of poems Aus dem Lesebuch für Städtebewohner (1926/27) and his play Im Dickicht der Städte (1926 respectively 1927) his concept of urban society is shown. Brecht’s modern city is capitalistic, cold and transitory but also open to the new and to the future. Using the city Brecht shows the ambivalence of freedom in both capitalism and modernism. He demonstrates, that the growing freedom of action in anonymous and fast urban society always means to submit to the laws of capitalism. But in modern cities reality is changeable as long as its inhabitants conceive and want this.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Bertolt Brecht modern cities
Schlagwörter
(Deutsch)
Bertolt Brecht Moderne Großstadt "Aus dem Lesebuch für Städtebewohner" "Im Dickicht der Städte"
Autor*innen
Cornelia Reiter
Haupttitel (Englisch)
Die moderne Großstadt im frühen Werk Bertolt Brechts untersucht an "Aus dem Lesebuch für Städtebewohner" und "Im Dickicht der Städte"
Publikationsjahr
2014
Umfangsangabe
138 S.
Sprache
Englisch
Beurteiler*in
Monika Meister
Klassifikation
24 Theater > 24.03 Theorie und Ästhetik des Theaters
AC Nummer
AC12158480
Utheses ID
31093
Studienkennzahl
UA | 317 | | |