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Das Bild, der Tod und der Andere
Martin Oliver Thomson
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Diplomstudium Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Betreuer*in
Elisabeth Büttner
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.35859
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29181.67720.553570-6
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Arbeit ist zunächst aus der Frage entstanden, warum sich die Philosophie immer schon so massiv dagegen gesträubt hat, ein absolutes Ende zu denken. Was hat sie nur immer wieder dazu veranlasst, diese Grenze, die im Tod beschlossen liegt, zu missachten? Das Bild, der Tod und der Andere ist aus dem Wagnis hervorgegangen, diesen so lange von ihr verweigerten Schritt endlich zu tun. Gleich in der Einleitung wird der Tod in aller Schärfe als irreversible und restlose Vernichtung des Seins einer Person definiert, ohne ihm einen religiösen oder metaphysischen Hintersinn abzutrotzen. Gegen diese Grundannahme könnte man selbstverständlich einwenden, dass sie anmaßend ist, insofern sich die Möglichkeit einer wie auch immer gearteten postmortalen Lebenswelt oder Existenzweise weder beweisen noch widerlegen lässt. Wenn in der vorliegenden Arbeit nichtsdestoweniger die Annahme bevorzugt wird, dass hinter dem Tod nichts mehr kommt, so allerdings nicht deshalb, um im Namen der Vernunft für eine sachlich-säkulare Todesauffassung einzutreten oder alle Glaubensinhalte, die den Betroffenen ein Leben nach dem Tod in Aussicht stellen, als Aberglaube zu verwerfen; sondern zur Verteidung des Ethos, das eine ungleich größere Verbindlichkeit annimmt, sobald das menschliche Einzelwesen als etwas aufgefasst wird, dessen Lebensdauer nicht nur naturgemäß zeitlich begrenzt ist, sondern das sich darüber hinaus auch noch durch menschliche Gewalteinwirkung restlos auslöschen lässt. Davon ausgehend wird der Tod in dieser Arbeit als Weltuntergang vorgestellt - und der Tod des Anderen als Ereignis. Ein Ereignis, das sich aber keineswegs von selbst erklären würde. Denn abzüglich aller soziokulturellen Entwicklungsprozesse, die der Gewissheit um ihn vorausgegangen sind, wäre der Tod vielleicht noch nicht einmal gewiss. Für sich genommen bleibt er nämlich für das Auge ebenso unsichtbar, wie er für den Verstand unbegreiflich bleiben muss. In Das Bild, der Tod und der Andere lautet deshalb die Hauptthese, dass die Gewissheit um den Tod zu allererst einen Schnitt, eine Spaltung, eine Verdoppelung der Welt vorausgesetzt hat, die durch den traumatischen Einbruch des Bildes bewirkt wurde. Denn erst über den Mechanismus der Vergegenwärtigung, der dem Bild inhärent ist, gelangen die inzwischen Verstorbenen so zur Erscheinung, als wären sie noch am Leben. Das mimetische Bild erschließt dem Betrachter somit eine neue, vormals unbekannt gebliebene Zeit, die aber wohlgemerkt von ambivalenten Empfindungen begleitet wird. Denn so sehr das Bild des verstorbenen Anderen auch eine Surrogatfunktion übernimmt, so sehr macht es den Hinterbliebenen auch erst bewusst, dass es ihn realiter nicht zurückzuholen imstande ist. Das hat vor allem die Entstehung der Empfindung und des Gemütszustands der Trauer, mehr noch, die Genese eines melancholischen Bewusstseins zur Konsequenz. Davon ausgehend beginnt eine „Erzählung“, die ihren Ausgang von der Konstruktion einer Welt nimmt, in der es das Bild noch nicht in der Form gegeben hat, dass es den erwähnten Effekt der Vergegenwärtigung bereits gewährt hätte. Die Abhandlung Tod und Bild von Iris Därmann erlaubt es hinter und gleichsam vor diesen Ursprung des mimetischen Bildes zurück zu gelangen, um seinen traumatischen Einbruch mit jungfräulichen Augen zu bestaunen. Die platonischen Dialoge werden dabei von ihr - und gleichsam auch in dieser Arbeit - als eine Art von erster, groß angelegter Reaktion auf dieses traumatische Ereignis vorgestellt. Platon versucht das neue Bild nämlich paradoxerweise an sich zu reißen, indem er es verurteilt. Dafür transponiert er die verhasste mimetische téchne kurzerhand in den Menschen hinein. Die Seele wird dabei von ihm indirekt als ein Medium vorgestellt, das die falschen Versprechungen der medial-materiellen Bilder (Wahrheit und Unsterblichkeit) zu erfüllen in Aussicht stellt. Die platonisch-sokratische Philosophie erweist sich dadurch aber auch als ein Unternehmen, das nur den Lebenden gewidmet zu sein scheint. Geburt, Zeugung, Kraft, Fruchtbarkeit und Schönheit triumphieren hier nicht nur über Sterblichkeit und Tod, sondern auch über die Toten selbst. Der Andere wird dem Eigenen untergeordnet. Der lebendige Mensch als erkenntnisfähiges, autonomes, omnipotentes Wesen gefeiert. Eine Position, die im weiteren Verlauf der Philosophiegeschichte einen auswuchernden Ego-Zentrismus zur Konsequenz haben wird - vor allem in Belangen der Kunst, die in ästhetischen Diskursen auf den Status eines Mittels zur reinen Selbstaffektion reduziert bleibt. In bewusster Zurückweisung der platonischen Vorbehalte gegen eine scheinbildende Kunst, will sich die vorliegende Arbeit deswegen auch als Appell für eine Hingabe verstanden wissen, die im Bild einen privilegierten Raum der Kontemplation und der Immersion ausfindig macht, der dem Anblick des Anderen zugeneigt ist. Tiefe und Fall eröffnen hier qua Einfühlung einen (nicht-reziproken) Bezug zum Unbeziehbaren, zum Anderen, zum Toten, während die Affekte, die das Bild auf Seiten des Betrachters evoziert, mit denen des Trauernden analogisiert werden. Was von den Toten bleibt, sind die Bilder, die wir von ihnen haben. Die Treue zu den Bildern ist die Treue zu den Toten - und vice versa. Die Frage nach den konstitutiven Bedingungen für Gedächtnis und Erinnerung wird in dieser Arbeit vor allem als eine Frage nach dem ethischen Status von Treue und Vergessen behandelt. Der Melancholiker wird dabei als eine Figur entworfen, die in Abgrenzung zum Philosophen dem Anderen diese Treue gewährt; die sich dem Vergessen, dem gänzlichen Verschwinden der (inneren und medialen) Erinnerungsbilder entgegen stellt; die den Tod nicht anerkennt, ohne deswegen schon seinen schlechthinnigen Vernichtungssinn zu leugnen. Während der Philosoph - unter Missachtung des Singulären - dazu neigt, der Bewegung des Werdens anzuhängen, in der alles im Allgemeinen und Absoluten als sich stetig Veränderndes vermeintlich erhalten bleibt, bevorzugt der Melancholiker allerdings die des Fadings. Es ist die Bewegung eines anhaltenden, unabsehbaren Verschwindens, die gleichsam erst das kinematographische Bild zur Anschauung bringt, insofern es die auf ihnen gebannten Personen und Objekte auf Dauer stellt und zugleich auflöst.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Tod Bild Alterität Ethik Unsterblichkeit Platon Levinas Schefer Verschwinden Fading Auflösung Film Trauer Melancholie Werden
Autor*innen
Martin Oliver Thomson
Haupttitel (Deutsch)
Das Bild, der Tod und der Andere
Publikationsjahr
2015
Umfangsangabe
171 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Elisabeth Büttner
Klassifikationen
08 Philosophie > 08.38 Ethik ,
08 Philosophie > 08.42 Kulturphilosophie ,
24 Theater > 24.30 Film: Allgemeines
AC Nummer
AC12301450
Utheses ID
31784
Studienkennzahl
UA | 317 | | |
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