Detailansicht

"mein herz ist halt nie rain gewessen."
Räuberbanden im westalpinen Raum; der Prozess gegen Georg Meier vor dem Gericht Egg (Bregenzerwald) im Jahr 1779
Birgit Heinzle
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Martin Scheutz
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.3748
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29592.59625.780865-1
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Diese Arbeit behandelt das Leben des jungen Räubers und Diebes Georg Meier im 18. Jahrhundert. In diesem Zeitraum erreichte das Bandenwesen, besonders im deutschsprachigen Raum, seinen Höhepunkt. Gründe dafür waren die territoriale Zersplitterung, der hohe mobile Bevölkerungsanteil sowie das noch nicht ausgereifte Justiz- und Polizeiwesen. Zwar versuchte man durch Streifen und Schübe Kriminalität zu unterbinden, doch wurde das Problem meist nur über die Landesgrenzen geschoben und damit nicht gelöst. Die Errichtung von Zuchthäusern war ein weiterer Schritt dahin, kriminelle Unterschichten von der Bevölkerung fernzuhalten. Weiters sollten Steckbriefe und Diebslisten helfen, gesuchte Verbrecher ausfindig zu machen. Räuber entstammten überwiegend der Vagantenschicht bzw. den unehrlichen Gewerben (Abdecker, Scharfrichter etc.). Vaganten zogen quer durch die Länder und verdienten ihren Lebensunterhalt mit Betteln und kleineren anfallenden oder saisonalen Arbeiten. Auch Georg Meiers Vater übte die unehrliche Profession des Scharfrichters aus. Beide Elternteile verstarben früh und Meier hatte damit keinen finanziellen Rückhalt mehr in der sesshaften Bevölkerung. Mit Hilfe seines Bruders Christian Meier lernte er bereits im Kindesalter auf der Straße zu überleben. Das geringe Einkommen eines Vaganten reichte meist nicht aus; viele waren gezwungen kleinere Diebstähle – meist Mundraub – zu verüben. Trotz fehlendem Wohnsitz schufen sich Vaganten ihre eigene Identität. Sie entwickelten eine eigene, von der Forschung insgesamt aber deutlich überbetonte Sprache. Auf Grund ihres mobilen Lebensstils konnten Vagierende abseits vom Dorf lebende Familien mit Ware versorgen sowie Neuigkeiten verbreiten, sie wirkten als kommunikative Multiplikatoren. Die dadurch geknüpften Beziehungen zur sesshaften Bevölkerung waren wichtig für Vaganten, um bei Bedarf eventuelle Übernachtungsmöglichkeiten für den Winter zu haben. Für die Anwohner, die auch im 18. Jahrhundert trotz obrigkeitlicher Verbote im Sinne der Caritas handelten, war die Beherbergung vagierender Personen nicht ungefährlich, da viele Vaganten zudem auch Diebe oder Räuber waren. Letztere tarnten sich gerne als Bettler und Hausierer, um potenzielle Einbruchsziele auszukundschaften. Zur Aufrechterhaltung dieses Systems benötigten Räuber ein Netz von Verbündeten (Hehler, Unterschlupfgeber etc). In einer Räuberbande waren die (Geschlechter-)Rollen mehr oder weniger klar verteilt. Frauen spionierten Einbruchsziele aus, begingen kleine Diebstähle, verkauften die gestohlene Ware und warteten häufig an sicheren Orten auf den Ausgang des Deliktes. Männer verübten die großen Raube und trafen ihre Frauen an verabredeten Orten wieder. Räuberbanden waren locker geknüpfte Gefüge. Oft lernte man sich im Wirtshaus kennen und zog noch in derselben Nacht gemeinsam los. Nach den Einbrüchen wurde die Beute geteilt und die Wege trennten sich. Der Protagonist Georg Meier wechselte so mehrmals seine Komplizen. In den letzten Monaten vor der Verhaftung beging Meier mit den Stocker-Michels-Buben, zwei bekannte Schweizer Räuber, mehrere Einbrüche im Raum Graubünden, Liechtenstein und Vorarlberg. Ende Mai 1779 konnte er in Alberschwende gefasst und zum Hochgericht nach Egg gebracht werden. Wenn Räuber in Haft kamen, versuchten sie so lange als möglich ihre Identität geheim zu halten. Diese Taktik verfolgte auch Meier, er verschwieg seine Komplizen, gab falsche Orte und Diebstähle an und erfand sogar drei Morde. In seinem kurzen Leben war Meier nicht nur mit zwei bekannten Räubern unterwegs, er wurde bereits als 16-jähriger 1774 zu zwei Jahren Zuchthaus in Innsbruck verurteilt. Meier war mit seinem Bruder und anderen Komplizen in den Keller eines Wirtshauses in Brixen eingebrochen. Nach seiner Flucht aus der Anstalt zog Meier mehrere Jahre durch (Süd-)Tirol, Süddeutschland, die Schweiz und Vorarlberg, plünderte Opferstöcke und brach in Kirchen, Häusern, Kellern etc. ein. Meiers insgesamt zwölf gütliche Verhöre fanden zwischen Juni und Oktober 1779 statt. Das Urteil lautete schließlich Tod durch den Strang. Meier war während seiner Diebstähle stets bewaffnet. Er und seine Komplizen trugen Stilette, Messer und Pistolen bei sich. Weiters benötigte Meier für die meisten Diebstähle bzw. Einbrüche ein Stemmeisen und eine (Beiß-)Zange. Er verschaffte sich überwiegend durch das Fenster, mit einer Leiter und falschen Schlüsseln Zutritt in die Häuser bzw. Kirchen (wenn diese nicht bereits offen standen). Meier und seine Kameraden brachen ausschließlich in Häuser ein, die unbewohnt waren. Sobald sie ertappt wurden, ergriffen sie die Flucht. Meiers Beute bestand hauptsächlich in Bargeld von Opferstöcken, in Kirchengüter, in Kleidung bzw. in Textilien, in Nahrungsmitteln, in Wertgegenstände und in Werkzeug. Eingebrochen wurde meist zur Nachtzeit. Die Beute wurde entweder zum Eigengebrauch oder zum Verkauf und Handel verwendet. Die Darstellung von Räubern in der Literatur und Kunst änderte sich im 18. Jahrhundert. Während zuvor der Räuber das personifizierte Böse darstellte, wurde bereits im 17. Jahrhundert seine Einfachheit und Natürlichkeit romantisierend hervorgehoben. Das 18. Jahrhundert konzentrierte sich schließlich auf die Angeklagten selbst. Publizierte Gerichtsverfahren gaben Anlass, Erklärungen bzw. Rechtfertigungen für die Taten eines Räubers zu finden. Aufgeklärte romantisch beeinflusste Biographien über den Schinderhannes, Hannikel oder das Sonnenwirtle veränderten die Sicht auf den deutschsprachigen Räuber, der von nun an als harmlos dargestellt wurde. Im 19. Jahrhundert endete die große Zeit der Räuber(banden). Die Kriminalität verlagerte sich mehr und mehr in die Städte. Grund für diesen rasch vollzogenen Übergang ist einerseits die Neuordnung der Staaten, was das Ende der territorialen Zersplitterung der österreichischen Vorlande zur Folge hatte; andererseits die Reform des Beamten- und Polizeiwesens. War Georg Meier ein typischer Räuber seiner Zeit? Die Frage kann nicht einfach beantwortet werden. Nach aufgeklärt romantischer Vorstellung bzw. den Thesen Hobsbawms, war Georg Meier ein gewöhnlicher Dieb, der sich innerhalb der Gruppe nicht als Oberhaupt durchsetzen konnte. Er unterschied bei seinen Diebstählen nicht zwischen arm und reich, er stahl bei jeder Gelegenheit und rühmte sich keiner Heldentaten. Aus historisch-wissenschaftlicher Sicht war Meier ein Dieb und Räuber unter vielen. Der Großteil der permanent Vagierenden musste gelegentlich Diebstähle verüben, um zu überleben. Kriege und Hungerkrisen verschärften die Situation zusehends. Viele, darunter auch Meier, rutschten auf Dauer ins kriminelle Milieu ab und blieben dort bis an ihr Lebensende. Im Fall des Protagonisten Georg Meier fanden seine ersten Diebstähle ebenfalls im Bereich des Mundraubes statt. Bei näherer Betrachtung war Meier in zwei Lebensabschnitten ein „Räuber“: 1. 1774, als Meier mit seinem Bruder, Franz Pfaunder, Sepp Binder und Juliana mehrere Diebstähle bzw. Einbrüche verübte (unter anderem der missglückte Einbruch in den Keller des „Elephanten“-Wirts; Meier erhielt daraufhin seine Zuchthausstrafe). 2. Die letzten Monate vor seiner Verhaftung 1779, als Meier zusammen mit den Stocker-Michels-Buben sowie dem Vogelmännle unterwegs war. Die übrige Zeit finanzierte Meier seinen Lebensunterhalt mit kleinen Diebstählen. In dieser Zeit unterschied er sich wohl kaum von der breiten Masse der mobilen Bevölkerung. Meier wurde in eine Region geboren, die von territorialer Zersplitterung gekennzeichnet war. Hier konnte er schnell von einer Grenze zur nächsten wechseln, ein Umstand, den die Alpen mit ihren Pässen und geheimen Wegen zusätzlich begünstigten. Was mit Meiers Lebensgefährtin Elisabeth Goldeggin und deren Kind geschah, geht aus dem Quellmaterial nicht hervor. Sie wurde in Innsbruck geboren, ihr Alter ist nicht bekannt. Weitere Nachforschungen wären an dieser Stelle von Nöten. Zudem könnte Aktenmaterial aus der Innsbrucker Haftzeit und Unterlagen im Südtiroler Landesarchiv Bozen nähere Aufschlüsse über Meiers Person, Familie und Herkunft geben. Weiters wäre eine erneute Sichtung des Quellenmaterials über die Stocker-Michels-Buben interessant, um etwaige Hehler, Wirte und Unterschlupfgeber herauszufinden. Diese Untersuchung wurde im Rahmen des Forschungsgebietes des „Räuber- und Gaunertums“ durchgeführt und sollte für weitere mikrohistorische Beiträge anregen und zudem selbst ein weiterer Teil derselbigen Forschungsgattung darstellen. Diese sich auf einen Gerichtsakt stützende Arbeit soll einen detaillierten Einblick in das Leben eines Räubers bzw. Diebes des 18. Jahrhundert geben und einen weiteren mikrogeschichtlichen Gegenbeleg zur heutigen, romantisch geprägten Räubervorstellung bieten. Das Leben nichtsesshafter Personen in der Frühen Neuzeit war nicht von romantischen Lagerfeuern, Musik und erotischen Liebesaffären geprägt, die Menschen kämpften jeden Tag gegen Hunger, Krankheit und Verfolgung – ein schweres Los.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Räuber Räuberbanden 18. Jahrhundert
Autor*innen
Birgit Heinzle
Haupttitel (Deutsch)
"mein herz ist halt nie rain gewessen."
Hauptuntertitel (Deutsch)
Räuberbanden im westalpinen Raum; der Prozess gegen Georg Meier vor dem Gericht Egg (Bregenzerwald) im Jahr 1779
Publikationsjahr
2009
Umfangsangabe
159 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Martin Scheutz
Klassifikation
15 Geschichte > 15.08 Sozialgeschichte
AC Nummer
AC07578362
Utheses ID
3300
Studienkennzahl
UA | 312 | | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1