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Bruch-Stück und Anti-Enzyklopädie wider Willen
Charles Sorel, la science universelle, zwischen Reform und Konservierung des Wissens
Daniel Stolarski
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie Romanistik Französisch
Betreuer*in
Friederike Hassauer
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.37307
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29094.70911.420169-4
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Charles Sorels La science universelle (zwischen 1634 und 1668 erschienen) spiegelt die Bemühungen Sorels wider, sich im Gegensatz zu seinem Ruf als Satiriker in einem prestigeträchtigen Genre zu etablieren. Obwohl Sorel darin von der Erfahrung als Grundlage des Wissens ausgeht, verweist die Wahl der Enzyklopädie als Genre sowohl auf einen etablierten gelehrten Diskurs als auch auf ein Wissensideal, das die Vorstellung einer Einheit des Wissens sowie dessen hierarchische Struktur transportiert. Wissen wird innerhalb eines solchen Rahmens durch die rhetorischen Techniken von inventio und iudicium bedingt; die Integration von Wissensinhalten, seien sie literarischer, moralischer oder empirischer Herkunft, wird durch deren topische Verwendung garantiert. Wenngleich Sorels Physik auf der Sinneserfahrung aufbaut und auch vermeintlich moderne Elemente aufnimmt, wie die Möglichkeit des Vakuums oder den Heliozentrismus, bleibt die Struktur der Science vom Topischen bestimmt. Die Vorstellung einer Einheitlichkeit des Wissens wird in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts nicht nur durch das Aufkommen protomoderner Formen von Wissenschaftlichkeit in Frage gestellt, sondern auch durch Formen mondäner Kommunikation, die sich auf inkommensurable Modi des Urteils stützen. Auf diese Infragestellung des enzyklopädischen Ideals reagiert Sorel mit einer Abwertung sowohl des Experimentellen als auch des Mondänen, die den Vorrang der topischen Wissensorganisation sicherstellen soll. Dennoch nimmt Sorel den chymistischen Diskurs bzw. auf die Metapher der Destillation auf, um die ontologische Stratifiziertheit der Natur zu argumentieren. Indem diese in den topischen Diskurs hineintransponiert werden, lassen sich verschiedene Stufen der Erhabenheit durch die Substitution sinnlich konkreter durch semantisch verschwommene Attribute ausdrücken. Die zunehmende Desemantisierung führt dabei schlussendlich zu einem Aufheben der Prädizierbarkeit selbst. Zeitgenössische Autoren wie Mersenne beginnen hingegen, vermeintlich autonome Objekte zur Wissenserzeugung einzuführen. Das Subjekt operiert in einer solchen Konstellation nicht länger durch semantische Substitutionen, sondern entzieht sich dem Prozess der Wissenserzeugung. Durch diese scheinbar passive Position wird somit "objektives" Wissen möglich. Das mondäne Urteil funktioniert dazu analog: im Gegensatz zum gelehrten Wissen beruht dieses auf der Unmittelbarkeit des Urteilsakts, die gleichzeitig den sozialen Status des Sprechers determiniert wie auch von diesem begründet wird. Sorels Betonung der Erfahrung als Grundlage der Enzyklopädie wie auch sein Aufgreifen moderner Ideen sollten somit nicht als Modernitätsindikatoren verstanden werden. Vielmehr trennt ein epistemischer Bruch: nicht nur auf semiotischer Ebene, sondern auch hinsichtlich der Konzeption des Subjekts verhalten sich beide Modi des Wissens zueinander inkommensurabel.
Abstract
(Englisch)
Charles Sorel's La science universelle (published between 1634 and 1668) echoes its authors effort to establish himself in a prestigious genre as opposed to his reputation as satirical writer. Although Sorel declares that knowledge should be based on experience, the choice of the encyclopedic genre marks his adherence to an established learned discourse as well as to an idea of knowledge which implies the idea of a unity of diverse forms of knowledge as well as its possibility being structured hierarchically. Knowledge, in such a framework, relates to the rhetorical techniques of the invention and the disposition. Literary, moral as well as empirical knowledge is thus reduced to commonplaces in order to integrate them into the encyclopedia. Even though Sorel builds his physics on a sensual basis and promotes seemingly modern ideas like the possibility of a vacuum or copernicanism, the Science rests intrinsically organised in a rhetorical manner. However, in the first half of the seventeenth century, the idea of a unity inherent in knowledge is contested not only by the establishment of proto-modern forms of scientific thought, but also by mundane forms of social interaction establishing incommensurable forms of judgement. Sorel's answer to this disintegration rests highly traditionalist, mundane interaction and experimental knowledge are both devaluated, keeping them inferior to the rhetorically determined techniques of arranging knowledge. Nevertheless Sorel adopts the chymical discourse and the metaphor of distillation in order to establish ontological hierarchies within nature. Translated into the framework of topical invention and disposition, its concepts are integrated into the encyclopedia. Ontological hierarchy achieved by purification in the alambic thus corresponds to the substitution of sensually intelligible predicates by predicates indicating sublimity. Ontological superiority is consequentially related to consecutive semantic reductions, up to the point of suspending predication altogether. Knowledge promoted by contemporary writers such as Mersenne, in contrast, depends on the idea of objects articulating knowledge autonomously, the subject is not involved in semantic substitution and thus no longer constitutive part of its establishment. The subject is reduced to a seemingly passive position allowing an 'objective' constitution of knowledge. Mundane articulation legitimating itself by its supposed spontaneity functions analogously: the mundane judgement, as opposed to the learned one, relies on the spontaneity guaranteed by the speaker's social status. Thus, the sole integration of modern ideas into Sorel's encyclopedia and his insistence on experience as its base cannot be considered as an indicator of modernity. The difference between both forms knowledge is epistemic, both forms of knowledge each rely on incommensurable relations not only on a semiotic level, but also on different modes of subjectivity.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Sorel, Charles La Science universelle Episteme
Schlagwörter
(Deutsch)
Sorel, Charles La Science universelle Episteme
Autor*innen
Daniel Stolarski
Haupttitel (Deutsch)
Bruch-Stück und Anti-Enzyklopädie wider Willen
Hauptuntertitel (Deutsch)
Charles Sorel, la science universelle, zwischen Reform und Konservierung des Wissens
Publikationsjahr
2015
Umfangsangabe
281 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Friederike Hassauer ,
Richard Herinrich
Klassifikationen
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.01 Geschichte der Wissenschaft und Kultur ,
18 Einzelne Sprachen und Literaturen > 18.23 Französische Literatur
AC Nummer
AC12386493
Utheses ID
33062
Studienkennzahl
UA | 092 | 236 | 346 |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1