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Die Problematik der Durchgriffshaftung aufgrund existenzvernichtender Eingriffe in der österreichischen Rechtsordnung
eine Untersuchung zur Rechtsfigur der Existenzvernichtungshaftung bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter besonderer Beachtung von Konzernverhältnissen
Michael Krenn
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Betreuer*in
Arthur Weilinger
DOI
10.25365/thesis.462
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30028.40219.659865-2
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Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Mit dem Judikat Bremer Vulkan hat der deutsche Bundesgerichtshof eine viel beachtete Entscheidung getroffen, welche das Haftungsrecht in Bezug auf die deutsche GmbH grundlegend verändert hat. Die zuvor dominierende Rechtsprechung zum "qualifiziert, faktischen Konzern", welche die Haftung von GmbH - Gesellschaftern an das Bestehen von Konzernverhältnissen band, wurde durch die Auffassung abgelöst, dass ein Durchgriff des Gläubigers einer GmbH auf das Vermögen deren Gesellschafters davon abhängig ist, ob dieser die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft durch einen entsprechenden Eingriff in das Gesellschaftsvermögen verursacht hat.
In Österreich blieben die Reaktionen auf die in Deutschland vollzogene Wende in der Rechtsprechung interessanterweise spärlich. Interessanterweise war der OGH bei seiner Entscheidung „Salzburger Tourismusverband“ allerdings mit einem Sachverhalt konfrontiert, welcher jenen Sachverhaltskonstellationen, die in Deutschland zur Rechtsprechung der "Existenzvernichtungshaftung" geführt hatten, sehr ähnelte. Ohne den Ausdruck "existenzvernichtender Eingriff" zu verwenden, zeigte sich der OGH gegenüber einer solchen Haftung inhaltlich aber jedenfalls aufgeschlossen und betonte ausdrücklich, dass die Grenzen der Durchgriffshaftung in Österreich noch nicht ausgelotet seien.
Bei umfassender Betrachtung des Gläubigerschutzsystems der Gmbh kristallisieren sich in Österreich einige Kernprobleme heraus: Die Bestimmungen zur Kapitalerhaltung betreffen auch im österreichischen Recht grundsätzlich nur das Verhältnis zwischen GmbH und Gesellschafter. Nachdem im österreichischen Recht nach wie vor weder gesetzliche Regelungen noch Judikatur zu einer "angemessenen Mindestausstattung" der GmbH im Verhältnis zu ihrer Tätigkeit bestehen, bleibt es dem Gesellschafter überlassen, ob er das − über das Stammkapital hinausgehende− nötige Betriebskapital der GmbH in die Gesellschaft als deren Eigentum einbringt oder als Fremdkapital zur Verfügung stellt. Weiters haben die Gesellschafter haben umfangreiche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführung, die im Verkehr zu Dritten nicht durch die Kapitalerhaltungsbestimmungen beschränkt werden.
Das Rechtsinstitut der „Durchgriffshaftung“ ist in der österreichischen Lehre und Rechtsprechung spätestens seit dem sogenannten „Eumig-Erkenntnis“ anerkannt. Ausgehend von den Betrachtungen zu den jeweiligen Fallgruppen der Durchgriffshaftung, die durch die österreichische Judikatur anerkannt werden, ist folgendes zusammenzufassen: Die Anwendungsfälle der "Sphärenvermischung" sowie des "Rechtsformenmissbrauchs" erweisen sich bei näherer Betrachtung als juristisch fragwürdig und wenig ergiebig. Der Tatbestand der "qualifizierten Unterkapitalisierung" einer Gesellschaft weist letztendlich starke Überschneidungen zu jener Konstellation auf, welche als "faktische Geschäftsführung" gesehen wird.
Als praktikable, in der derzeitigen Rechtsordnung anerkannte Anwendung ist letztlich nur das Modell des Durchgriffs auf den Gesellschafter, wenn dieser die Geschäftspolitik der Gesellschaft zu verantworten hat und dabei jegliche Sorgfalt vermissen lässt, sinnvoll. Insoferne bestehen durchaus Ähnlichkeiten zwischen dem in Österreich anerkannten Modell der faktischen Geschäftsführerhaftung und des Modells der Existenzvernichtungshaftung in Deutschland.
Bei näherer Betrachtung erweist sich jedenfalls, dass der Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung auch in der österreichischen Rechtsordnung durchaus seinen Platz haben kann. Dies gilt unabhängig davon, dass sich der österreichische und deutsche Normenbestand in einigen Bereichen voneinander unterscheiden. Das wichtigste Kriterium sind die Kapitalerhaltungsregeln, welche in Österreich das gesamte Kapital einer Gesellschaft, in Deutschland hingegen nur das Stammkapital erfassen. Dadurch wird der Anwendungsbereich des Modells der Existenzvernichtungshaftung in Österreich erheblich eingeschränkt, nachdem sich an den simplen Kapitalabzug eines Gesellschafters in Österreich eben die Rückerstattungspflicht bezüglich des entzogenen Kapitals anknüpft, sofern mit dem Kapitalentzug gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen wird.
Trotz dieser wesentlichen Einschränkung bietet sich aber bei genauerer Betrachtung dennoch ein interessanter Anwendungsbereich für die Durchgriffshaftung bei existenzvernichtenden Eingriffen. Dies kommt vor allem daher, dass das österreichische Gesetz bei der Finanzierung einer Gesellschaft auf Fremdkapitalbasis einem Gesellschafter sehr weitgehendes Ermessen einräumt und diesbezüglich erfolgende Eingriffe nicht mit einer Rückerstattungspflicht ähnlich den Regelungen beim Verbot der Einlagenrückgewähr sanktioniert. Auch die Tatsache, dass ein Eingriff in das Gesellschaftsvermögen auch weitergehende Schäden nach sich ziehen kann als den reinen Verlust des entzogenen Kapitals, verschafft den Regelungen der Existenzvernichtungshaftung in Österreich ein gewisse Anwendungsberechtigung. Nicht zuletzt kann das Verbot der Einlagenrückgewähr eben nicht alle Arten von betriebsspezifischen Entscheidungen, welche in die existentielle Grundlage einer Gesellschaft eingreifen, entsprechend sanktionieren.
Abstract
(Englisch)
With the decree „Bremer Vulkan“ the German Federal Court of Justice pronounced a judgement changing the rules of liability concerning German companies with limited liability basically. The once dominating jurisdiction called “qualified factual concern “( “qualifiziert, faktischer Konzern”) , which was depending the liability of associates on the existence of a “group of companies”, was replaced by the conception, that the liability of an associate for the debts of companies with limited liability is a consequence of an intrusion destroying the economical basis of the company. (“existenzvernichtender Eingriff”)
In Austria there were only few reactions to these developments in German jurisdiction. In the decision “Salzburger Tourismusverband” the Austrian Federal Court was confronted with a quite similar issue as the German Federal Court in “Bremer Vulkan”. Without mentioning the phrase “existenzvernichtender Eingriff” the Austrian Federal Court showed his positive attitude towards the German jurisdiction and pointed out, that the question of liability of associates of companies with limited liability has not been cleared in Austria yet.
Concerning the question of protection of creditors of companies with limited liability in Austria there can be mentioned the following main problems: The rules about the maintenance of capital are only concerning the relation between company and associate. As there are no rules concerning the question of an adequate allocation of the company with capital in relation to its business activities, it is a decision of the associate to finance the company either with equity or with borrowed capital. On the other hand the same associates have broad influence on the business policy of the company, which is not restricted by rules about the maintenance of capital concerning business relations with third parties.
The legal institute of the „Durchgriffshaftung“ (piercing the corporate veil) is accepted in Austrian jurisdiction as well as in jurisprudence since the “Eumig” decee of the Austrian Federal Court.
On closer eximination it turns out that the model of “Existenzvernichtungshaftung” may be applicable in Austrian law system, independent from differences between Austrian and German law in some areas. An important difference is concerning the rules of maintenance of capital which in Austria are concerning the total capital of a company, while in Germany only the nominal capital is affected. This difference is reducing the scope of application of the legal institute of “Existenzvernichtungshaftung” in Austria, while in Austria an associate of a company with limited liability can be forced to refund assets deprived according to the rules of maintenance of capital.
The only practicable and accepted application of the legal institute of the „Durchgriffshaftung“ (piercing the corporate veil) is the personal liability of an associate responsible for the business policy of a company with limited liability causing damage for the company through gross negligence. In that sense there are huge similarities between the Austrian model of “faktische Geschäftsführung” and the “Existenzvernichtungshaftung” in Germany.
Nevertheless there is still a scope of application. This results from the Austrian situation, which gives associates the possibility of financing the company with bonded capital and does not sanction resulting intrusions destroying the economical basis of the company. Furthermore a broader scope of application results from the fact that an intrusion in the economical basis of a company can have damaging consequences, which can not be compensated totally with refunding the assets deprived before. Last but not least not all kinds of decisions, which may have a negative influence on the economical basis of a company, can be sanctioned with the rules of maintenance of capital.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
piercing the corporate veil concern limited company, intrusion destroying the economical basis of the company protection of creditors Bremer Vulkan
Schlagwörter
(Deutsch)
Durchgriffshaftung Konzern Gmbh existenzvernichtender Eingriff Gläubigerschutz Bremer Vulkan
Autor*innen
Michael Krenn
Haupttitel (Deutsch)
Die Problematik der Durchgriffshaftung aufgrund existenzvernichtender Eingriffe in der österreichischen Rechtsordnung
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine Untersuchung zur Rechtsfigur der Existenzvernichtungshaftung bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter besonderer Beachtung von Konzernverhältnissen
Publikationsjahr
2008
Umfangsangabe
155 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Arthur Weilinger
Klassifikation
86 Recht > 86.27 Gesellschaftsrecht
AC Nummer
AC06762957
Utheses ID
344
Studienkennzahl
UA | 157 | | |