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Alberto Savinio
zwischen Konsens und Dissens 1933 - 1944
Alfred Schmidt
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie (Dissertationsgebiet: Romanistik)
Betreuer*in
Renate Lunzer
DOI
10.25365/thesis.38882
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30043.52437.565463-9
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Alberto Savinio. Zwischen Konsens und Dissens 1933–1944
Im Zentrum des Interesses dieser Dissertation steht der in Athen geborene, etwas jüngere Bruder von Giorgio de Chirico, der nicht nur selbst ein Maler, sondern auch ein bedeutender Schriftsteller, Dramatiker, Komponist, Journalist, Theater- und Filmkritiker war. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gehörte er zum Kreis der internationalen Avantgarde um Apollinaire in Paris und wurde unter dem Künstlernamen Savinio bekannt, bevor er sich 1915 zusammen mit seinem Bruder freiwillig zum Militärdienst in Italien meldete. Sein erstes literarisches Werk Hermaphrodito erschien 1918 in Italien, wo er auch als Kunsttheoretiker tätig war, bis er 1926 wieder nach Paris wechselte und 1933 endgültig in seine Wahlheimat Italien zurückkehrte.
Die Dissertation befasst sich mit der ambivalenten Rolle, die Alberto Savinio unter den zeitgenössischen Intellektuellen im Ventennio einnahm. Ein vertieftes Studium einer großen Anzahl von Texten zeigt das unerwartet große Ausmaß und die hohe Intensität, mit der Savinio Konsens zum totalitären Regime ausdrückte – ein in der Sekundärliteratur zu kurz kommender Aspekt. Vor 1943 ist in Texten von Savinio Kritik an der vorherrschenden Ideologie kaum zu erkennen, sie ist lediglich zu wenigen, damals aktuellen Themen und dann nur in indirekter und verdeckter Art und Weise vorhanden.
Just 1933 am Höhepunkt des Faschismus, während namhafte Regimekritiker bereits eingesperrt, in den confino geschickt wurden oder ins Ausland geflüchtet sind, lässt sich Savinio in Italien nieder und hält eine richtungsweisende Rede im Istituto Fascista di Cultura in Florenz mit dem Titel Tramonto dell’Occidente.
Der Untersuchung, insbesondere zur Beantwortung der Forschungsfrage nach der Interpretation der Texte und des Verhaltens von Savinio und – vergleichsweise – einer gezielten Auswahl anderer Intellektueller in der Zeit der Gleichschaltung von Gesinnung und Mentalität, liegt die Gesellschaftstheorie von Bourdieu zugrunde. Im Fall Savinio zeigte sich, trotz der Strukturhomologie von Autor, Werk und gesellschaftlichem Kontext, dass sein offenkundiger Konsens mit dem Regime nicht einer Sozialisation durch die allgegenwärtige outillage mental zuzuschreiben ist, sondern in erster Linie seinem „Habitus proprius“, also seinen ureigensten, persönlichen Eigenschaften und Umständen. Denn Savinio bediente sich selbst eines der stärksten mentalitätsbildenden Elemente dieser Ausrüstung, nämlich der Sprache, um als Intellektueller (das heißt als Dominanter der dominierten Fraktion), vor allem die Leser der regimefreundlichen Zeitungen im Sinne der offiziellen Politik zu beeinflussen oder sogar umzuerziehen. Savinio stellte sich in den Dienst der totalitären Macht, nicht aber der Einheitspartei selbst, sei es um der Kultur den „richtigen“ Stellenwert zu verschaffen, sei es um seinen latenten Patriotismus zu befriedigen, sei es um endlich „ernst genommen zu werden“ oder einfach aus gewissen wirtschaftlichen Gründen.
Von den idealistischen Zielvorstellungen seines Zeitgenossen Benda hinsichtlich der Verantwortung des Intellektuellen scheint Savinio weit entfernt zu sein und sein Verhalten ist nur bedingt mit dem anderer Intellektueller wie etwa Pavese, Pintor oder Bobbio vergleichbar. Denn trotz „makrokosmisch“ gleichen Kontextbedingungen sind es letztlich Persönlichkeit und Umstände, welche das Motiv zum Handeln darstellen. Der vielleicht größte Unterschied zwischen Savinio und den eben genannten Zeitgenossen liegt in der jeweils nachträglichen eigenen Bewertung des im Ventennio Geschehenen.
Auffällig ist Savinios abrupte Haltungsänderung und sein plötzliches Interesse für einen „mündigen“ Italiener und eine „natürliche“ Vereinigung Europas nach dem Votum des Faschistischen Großrats gegen Mussolini im Jahr 1943. Seine plötzliche Begeisterung dafür teilte er damals allerdings mit vielen engagierten Intellektuellen und auch solchen, die Mirella Serri in ihrem vieldiskutierten Buch als <intellettuali che vissero due volte> bezeichnet hat.
Abstract
(Englisch)
Alberto Savinio. Between consent and dissent 1933–1944
The focus of interest of this dissertation is the younger brother of Giorgio de Chirico, who was not only a painter himself, but also an important writer, dramatist, composer, journalist, theatre- and film critic. During the years before World War I, he was part of the international avant-garde around Apollinaire in Paris and became known under the pseudonym Savinio, before he and his brother joined the Italian army. His first literary work Hermaphrodito was published 1918 in Italy, where he was also busy as a theorist of art until he went to Paris again in 1926 and returned definitely to Italy in 1933.
The dissertation deals with the ambivalent role which Alberto Savinio played among his fellow intellectuals during the Ventennio. Close examination of a great number of his articles give evidence of the great extent and the high alacrity with which Savinio expressed consent for the totalitarian regime; an aspect barely represented in the secondary literature. Before 1943, dissent with the prevailing ideology is nearly absent in his texts, only weak signs of disapprove are recognizable, due to the indirect manner in which they are presented.
Exactly 1933 on the zenith of fascism, while well-known critics of the regime were kept in prison, sent into the confino or left the country, Savinio held a programmatic speech at the Fascist Institute of Culture in Florence with the meaningful title Tramonto dell’Occidente (Decline of the Occident).
The study, to answer one of the research questions for the interpretation of the texts and the behaviour of Savinio and – for comparative reasons – a much reduced number of other intellectuals during the time of total equalization of opinion and mentality, is based on Bourdieu’s social theory and mental history insights. The case of Savinio has shown, in spite of the structural homology between author, work and social context that his apparent consent with the regime is not due to a socialization by means of the omnipresent outillage mental, but mainly to his “Habitus proprius”, which means, to his innate personal qualities and conditions. Savinio, as an intellectual (as part of the dominated fraction of the dominant class) used the idiom as one of the strongest mentality-creating elements of this equipment, in order to influence or even re-educate readers of the regime-friendly newspapers according to official politics.
Savinio served the totalitarian regime – not the fascist-party itself – whether to ensure <proper> appreciation of cultural items or to satisfy his latent existing patriotism, whether to answer to be finally <taken seriously> or simply out of certain economic necessities.
Compared with the idealistic aims of Julien Benda regarding the responsibility of intellectuals, Savinio seems to occupy a low rank. His behaviour is also quite different from that of some other contemporary intellectuals such as Pavese, Pintor or Bobbio. For, in spite of macrocosmic equal social conditions, in the end there are personality and concrete circumstances which constitute the motive for an action. Perhaps the greatest difference between Savinio and the above mentioned intellectuals is to be found in the way each of them evaluated their past attitudes during the fascist period.
However, the abrupt change of attitude which Savinio assumed after the vote of the Gran Consiglio against Mussolini in 1943 seems unexpected. The sudden interest for an emancipated italiano and the creation of a united Europe he shared however with many committed intellectuals and also those which Mirella Serri described in her much discussed book as <intellectuals who lived twice>.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Savinio, Alberto journalism (1933-1944) Italy fascism history politics art Ventennio consent dissent selection of articles intellectuals responsibility mentality theory of society (Bourdieu)
Schlagwörter
(Deutsch)
Savinio, Alberto Journalismus (1933-1944) Italien Faschismus Geschichte Politik Kunst Ventennio Konsens Dissens Artikelsammlung Intellektuelle Verantwortung Mentalität Gesellschaftstheorie (Bourdieu)
Autor*innen
Alfred Schmidt
Haupttitel (Deutsch)
Alberto Savinio
Hauptuntertitel (Deutsch)
zwischen Konsens und Dissens 1933 - 1944
Paralleltitel (Englisch)
Alberto Savinio. Between consent and dissent 1933–1944
Publikationsjahr
2015
Umfangsangabe
414 S. : Ill.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Birgit Wagner ,
Robert Tanzmeister
AC Nummer
AC12696793
Utheses ID
34444
Studienkennzahl
UA | 792 | 236 | |