Detailansicht
Sozialer Zusammenhalt in Postkonfliktgesellschaften
stabilisierende Faktoren der Krisenbewältigung am Fallbeispiel Libanon
Verena Backes
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Globalgeschichte und Global Studies
Betreuer*in
Cengiz Günay
DOI
10.25365/thesis.41217
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30374.32456.563361-5
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Arbeit behandelt die sozialen Faktoren, die spezifisch in Postkonfliktsituationen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt wirken. In diesem Fall wird diesbezüglich vor allem die aktuelle Situation im Libanon untersucht. Seit Beginn der Syrienkrise 2010/2011 befindet sich auch dessen Nachbarland in einer Ausnahmesituation. Etwa 1,5 Millionen Syrer haben seit Ausbruch des Bürgerkrieges in ihrem Land Zuflucht im nahegelegenen Libanon gesucht. Das macht mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung aus. Insbesondere in Anbetracht der Vergangenheit des Libanon, ist diese Zahl und das damit verbundene Engagement der Libanesen beachtlich.
Im Libanon selbst tobte von 1975-1990 ein blutiger Bürgerkrieg. Dessen Erfahrung und Nachwehen kommen der ohnehin in religiöser und ethnischer Hinsicht heterogenen Gesellschaft auf den ersten Blick nicht zwingend friedensbringend zu gute. Hinzu kommt das instabile Regierungssystem, welches trotz Beendigung des Krieges noch nicht wieder funktionell rekonstruiert werden konnte. Wie kommt es also, dass ausgerechnet der Libanon trotz zahlreichen Herausforderungen auf sozialer und politischer Ebene ein derart hohes Maß an Zusammenhalt und gemeinsamer Belastbarkeit aufweist?
Zur Beantwortung dieser Frage sollen im Laufe der Arbeit vor allem verschiedenen Theorien von Jan und Aleida Assmann, Volkan Vamik und Angela Kühner analysiert und angewendet werden. Unter Berücksichtigung dieser Konzepte werden in dieser Arbeit die Gründe für die herausragende Standhaftigkeit der libanesischen Bevölkerung in drei Hauptfaktoren gefunden: dem kollektiven Gedächtnis, dem kollektiven Trauma und der kollektiven Identität. Genauer bedeutet dies, dass die negative Erfahrung des Bürgerkriegs in der gemeinsamen Erinnerung des libanesischen Volkes verdrängt wird, was die verdrängende Gemeinschaft weiter zusammenbringt. Verstärkt wird dieser Mechanismus, wenn das verdrängte Ereignis tragische Nachwirkungen verursacht hat, wie der libanesische Bürgerkrieg beispielsweise negative Konsequenzen für die ganze Bevölkerung nach sich zog und zahlreiche Opfer gefordert hat. Damit wird auch die Verdrängung im kollektiven Gedächtnis zu einem kollektiven Trauma ausgeweitet. Dieses kann unbemerkt, ähnlich wie das individuelle Trauma, jahrzehntelang unbemerkt unter der Oberfläche schwelen, bis schließlich ein Auslöser, ein sogenannter Trigger, das vergangene Erlebnis wieder ins Bewusstsein zurückholt und so scheinbar zu gegenwärtiger Realität werden lässt. Betrachtet man den damaligen Bürgerkrieg als Trauma für die libanesische Bevölkerung, wird das Handeln des Empfängervolkes leichter verständlich und nachvollziehbar. Ein derartiges Trauma hat im weiteren Sinne auch positive Auswirkungen, wie beispielsweise auf das gemeinsame, kollektive Identitätsgefühl der betreffenden Gesellschaft. Dies tritt insbesondere im Angesicht neuer Krisen in den Vordergrund und stellt sich als Identitätsmarker über dann untergeordnete, individuelle Merkmale und Identitätsklassen. Im Falle des Libanon handelt es sich hier um die gemeinsame Nation, zu der sich die Individuen im Angesicht der neuen Krise stärker und bewusster verbunden fühlen. Der so entstehende Zusammenhalt hat außerdem eine gewisse Schutzfunktion für sie, weshalb die Libanesen in entsprechender Art und Weise agieren, um ihre Nation zu schützen.
Durch die drei Faktoren des kollektiven Gedächtnisses, des kollektiven Traumas und der kollektiven Identität können Postkonfliktgesellschaften wie der Libanon also auch nachhaltig gestärkt anstatt durch vorangegangene Auseinandersetzungen nur geschwächt zu werden.
Abstract
(Englisch)
This article examines the social factors affecting the stability in post-conflict areas. The current situation in Lebanon comprises the kernel of this examination. Since the beginning of the Arab Spring and the Syrian crisis in 2010/2011, the neighboring state experienced exceptional difficulties as well. Approximately 1.5 million Syrians have sought refuge on the other side of the Lebanese border. This equals a quarter of the current Lebanese population. This number and the relating commitment is remarkable, especially considering Lebanon’s past.
Lebanon itself was the stage of a bloody civil war from 1975 to 1990. This experience and its consequences don’t coercively contribute to a peaceful cohabitation of the ethnically and religiously heterogeneous society. The Lebanese government never fully recovered from the war and remains functionally unstable. Why has Lebanon displayed such stability and endurance, while facing political and social obstacles since the civil war?
To answer this question, various theories from Jan and Aleida Assmann, Volkan Vamik and Angela Kühner shall be applied and analyzed during this work. The reasons for the immense pertinacity of the Lebanese people are found in three main factors: the collective memory, the collective trauma and the collective identity.
More precisely, the negative experience of the civil war is being suppressed and thus eliminated in the collective memory of the community. This protective mechanism is intensified, when the suppressed event has caused tragic effects in its aftermath. The Lebanese civil war most certainly has on the whole population, amongst other things, by costing countless Lebanese their lives. The suppression in the collective memory then extends to a collective trauma. This can process under the conscious surface for years and years, just like the individual trauma. A random trigger can then prompt an emergence of the traumatic experience and turn it into a part of present reality. If the past civil war is considered a trauma for the Lebanese society, its actions become more clear and easier to understand. Such a trauma can have positive consequences in its broader sense, for example in the sense of collective identity with the affected society. This feeling of togetherness becomes more important when facing new difficulties, as it stabilizes its members. The collective identity then becomes more important than comparable concepts of identification on a smaller or individual level. In the case of Lebanon, the identity marker overlooking the others is nationhood, under which the individuals come closer together and can feel safe, this is why their actions aim to protect and stabilize this nationalist narrative
Through these three factors of collective memory, collective trauma and collective identity, post-conflict societies like the Lebanese can be strengthened in the aftermath and achieve the ability to overcome new crises rather than being weakened by war and its outcome.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Lebanon post-conflict identity trauma collective memory
Schlagwörter
(Deutsch)
Libanon Postkonfliktgesellschaft kollektives Gedächtnis identität Trauma
Autor*innen
Verena Backes
Haupttitel (Deutsch)
Sozialer Zusammenhalt in Postkonfliktgesellschaften
Hauptuntertitel (Deutsch)
stabilisierende Faktoren der Krisenbewältigung am Fallbeispiel Libanon
Publikationsjahr
2016
Umfangsangabe
I, 83 Seiten : Illustration
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Cengiz Günay
Klassifikationen
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.00 Wissenschaft und Kultur allgemein: Allgemeines ,
10 Geisteswissenschaften allgemein > 10.00 Geisteswissenschaften allgemein: Allgemeines
AC Nummer
AC13078642
Utheses ID
36480
Studienkennzahl
UA | 066 | 805 | |