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Föderalismus in der Tschechoslowakei
eine historische Analyse der slowakischen Frage unter besonderer Berücksichtigung außenpolitischer Akte der Republik Österreich für die Jahre 1919/20 und 1968/69
Bartholomaeus Feldinger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Arnold Suppan
DOI
10.25365/thesis.531
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29060.62157.273755-0
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die slowakische Frage wurde bereits während des Ersten Weltkrieges Gegenstand der politischen Vertreter, die einer ersten Tschechoslowakischen Republik hoffnungsvoll entgegensahen. Auf Basis des Pittsburgh Agreement, welches wesentlich von der Doktrin des Selbstbestimmungsrechts der Völker beeinflusst war, wurde den slowakischen Vertretern im Ausland unter Beisein Masaryks das Recht auf eine eigene Verwaltung, ein eigenes Parlament und die eigene Gerichtsbarkeit innerhalb der Tschechoslowakei eingeräumt. In kulturellen Belangen sollte die slowakische Sprache neben der tschechischen als Amtssprache eingeführt werden.
Als am 28. Oktober 1918 die erste Tschechoslowakische Republik ausgerufen wurde, war die Zustimmung zu diesem Staat auch seitens der Slowaken vor dem Hintergrund des Endes der Inkorporation in die ungarische Reichshälfte auf breiter Basis gegeben. Mit den unerfüllten Forderungen des Pittsburgh Agreement wuchs allerdings das Bestreben nach mehr Autonomie von Seiten der slowakischen Autonomisten, die sich in der Slowakischen Volkspartei um Pater Andrej Hlinka bündelten.
In den Jahren 1919 und 1920 wurden die slowakischen Autonomiebestrebungen vom vorherrschenden Tschechoslowakismus und der einhergehenden Konzeption einer einheitlichen tschechoslowakischen Staatsnation verdrängt, die der Vorstellung von einer ethnisch konzipierten slowakischen Nation keinen Platz bot. Die Verfassung vom 29. Februar 1920 festigte die neue Staatsdoktrin. Zusätzlich dazu verstärkte die Einführung einer tschechoslowakischen Staatssprache, die Besetzung zahlreicher slowakischer administrativer Organe durch tschechische Beamten, sowie die Stationierung der tschechoslowakischen Armee auf slowakischem Gebiet das slowakische Bedürfnis nach Autonomie.
Konstituierte sich die Tschechoslowakische Republik mit einer zentralistischen Verwaltung, so resultierte daraus das Ausbleiben einer Lösung der slowakischen Frage, wie sie von der Slowakischen Volkspartei eingefordert wurde. Auch eine Regierungsbeteiligung im Jahre 1927 beschied der Slowakischen Volkspartei keinen Erfolg. Lediglich in Verknüpfung mit dem Konfliktpotential, das von der zunehmenden politischen Agitation der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins und deren Verbindungen zum nationalsozialistischen Regime in Deutschland herrührte, gewann die slowakische Frage wieder zunehmend an Gewicht. Nach letzten gescheiterten Verhandlungsversuchen zwischen der tschechoslowakischen Regierung und der slowakischen Volkspartei bot sich für letztere nach dem Münchner Abkommen im September 1938 die Gelegenheit, ihre Forderung nach Autonomie gemäß des Pittsburgh Agreement noch einmal einzufordern. Bereits mit der Föderalisierung am 25. November 1938 wies die außenpolitische Situation sowie die Haltung einzelner radikaler Vertreter der Slowakischen Volkspartei, die mittlerweile als slowakische Einheitspartei jedweden Pluralismus unterband, in die Richtung eines souveränen slowakischen Staat, der letztlich auf Hitlers Gnaden am 14. März 1939 proklamiert wurde und das schnelle Ende der zweiten Tschechoslowakischen Republik nach sich zog.
Nach den sechs Jahren der NS-Herrschaft, in denen das Protektorat Böhmen und Mähren neben dem formal souveränen nationalsozialistischen Vasallenstaat der Slowakei Bestand hatte, wurde der Status der Slowakei im Zuge des Kaschauer Programms im Jahre 1945 neu geregelt. Doch erst die nach der Verfassung der Sowjetunion von 1936 modellierte tschechoslowakische Verfassung von 1948 setzte die nunmehrigen sozialistischen Rahmenbedingungen, nach welchen die slowakische Frage geordnet wurde. Neben dem demokratischen Zentralismus und der Führungsrolle der Kommunistischen Partei sollte laut Artikel 1 der Verfassung die Diktion von zwei gleichberechtigten Brudervölkern gelten.
Trotz angehender doktrinärer Abmilderungen nach dem Tode Stalins 1953, bot die Entstalinisierungsphase unter Chruščev keine realen Möglichkeiten, die slowakische Frage zu forcieren, die sich mittlerweile auf Forderungen nach nationalen Organen innerhalb eines asymmetrischen Staatsgebäudes sozialistisch-zentralistischer Prägung konzentrierte. Insbesondere die unter Antonin Novotný konzipierte Verfassung, welche die ČSR durch eine sozialistische ČSSR ersetzte, erwies sich als noch zentralistischer und versagte den Slowaken durch eine neue Kreiseinteilung weitere Kompetenzen.
Erst als die planwirtschaftlichen Misserfolge während der 1960er Jahre spürbarer und Novotnýs Position umstrittener wurde, gelang es einer reformorientierten Bewegung in der KPČ Fuß zu fassen. Die weitere Zuspitzung im Kampf um die Parteiführung resultierte in der Absetzung Novotnýs und der Ernennung Dubčeks als Vorsitzender der KPČ, die auch von Brežnev gebilligt wurde.
Durch Dubčeks Vorsitz wurde eine Reformperiode eingeläutet, die mitunter auch eine Lösung der slowakischen Frage mittels Föderalisierung anstrebte. Durch die jähe militärische Intervention der Sowjetunion im August 1968 wurde das Reformprogramm Dubčeks beendet. Lediglich die Föderalisierung, die in den Monaten zuvor unter Gustav Husák konzipiert worden war, konnte mit dem 1. Jänner 1969 ratifiziert werden.
Abgesehen vom nominellen Umbau der ČSSR in eine Tschechische Sozialistische Republik und eine Slowakische Sozialistische Republik sowie einigen strukturellen Veränderungen blieb die führende Rolle der KPČ unangetastet und damit die Föderalisierung dem demokratischen Zentralismus angepasst und untergeordnet.
Abstract
(Englisch)
Through the theoretical approach to divergent principles of federalism this historical survey deals with the Slovak question and its altering process in time. Hence starting with a detailed analyses for the years of 1919 and 1920 according to the political reports of the Austrian official delegates in Prague and Bratislava, the Slovak question could be characterized as the major political expression and program of Andrej Hlinkas’ Slovak Peoples Party. The Slovak Peoples Party stood in for the autonomist solution of Czecho-Slovak relationships within a decentralized Czechoslovak state referring to the Pittsburgh Agreement of 1918.
Whereas during the years of 1919 and 1920 the Slovak question remained unsolved, a radicalisation process within the Slovak Peoples Party started in the early 1930’s that tended towards Slovak sovereignty. Boosted by the Munich Agreement of September 1938 the Slovak Peoples Party urged their Czech counterparts to ratify the autonomy law of 1938, thus creating the second Czecho-Slovak republic. This Czecho-Slovak Republic existed only until March 14th 1939, the day Dr. Tiso proclaimed a sovereign Slovak republic that was politically close linked to the Hitler Regime.
When the Slovak territory was again incorporated by the Czechoslovak government lead by the former republican government in exile and the communist party, the Slovak question of autonomy was unclear again. After the seizure of power by the communist party and the installation of a socialist regime in 1948 the Slovak question lost its significance under the democratic centralist rule of the communist party. Lacking national organs even on the party level, the Slovak National Council was further deprived of power by the socialist constitution under Antonin Novotný in 1960.
As a response to the economic crisis throughout the 1960’s and Novotný’s repressive leadership, reformist politicians like Dubček gained support. Novotný was finally impeached and replaced by Dubček in January 1968. It was through the reform program that the Slovak question in terms of a federalization returned on the political agenda. When the Soviet Union ended the reform plans by a military intervention in August 1968, the federalization survived as the only part of the reform program. Though legislatively approved on October 28th 1968 and ratified on January 1st 1969, the federalization was limited to marginal structural changes. In creating a Czech Socialist Republic and a Slovak Socialist Republic the leading role of the Czechoslovak Communist Party and its underlying centralism remained untouched. Moreover
it was further strengthened by Gustav Husák as the leading figure of the party throughout the following years.
Focussing on two divergent principles of federalism – in terms of a republican on the one hand, and a Marxist-Leninist concept on the other hand – the Slovak question underwent essential transformations, which were obstructed by different regimes that stood for different federalist premises. Nevertheless the Slovak question of 1968 reactivated unsolved anti-Czech and anti-Slovak resentments that rooted in a Czechoslovak republican past.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Föderalismus Tschechoslowakei Slowakei slowakische Frage slowakische Autonomiebestrebungen Slowakische Volkspartei Andrej Hlinka /Prager Frühling Reformprogramm Normalisierung Gustav Husák
Autor*innen
Bartholomaeus Feldinger
Haupttitel (Deutsch)
Föderalismus in der Tschechoslowakei
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine historische Analyse der slowakischen Frage unter besonderer Berücksichtigung außenpolitischer Akte der Republik Österreich für die Jahre 1919/20 und 1968/69
Publikationsjahr
2008
Umfangsangabe
124 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Arnold Suppan
Klassifikation
15 Geschichte > 15.06 Politische Geschichte
AC Nummer
AC06721029
Utheses ID
398
Studienkennzahl
UA | 312 | | |