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Elektra ein Monster - Hamlet ein Held?
über die Pathologisierung weiblicher Rache von Aischylos bis Hofmannsthal
Brigitte Rametsteiner
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Betreuer*in
Hilde Haider
DOI
10.25365/thesis.47871
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-28779.86782.723065-9
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Aus der Beschäftigung mit Hugo von Hofmannsthals „Elektra“ entstand die Fragestellung nach dem Ursprung der Pathologisierung weiblicher Rachehandlungen in ihrer dramatischen Umsetzung auf der Bühne des Sprechtheaters. Die nach Geschlechtern differenzierte Klassifikation von Rachehandlungen ergibt sich aus der Tatsache, dass Frauen in der Rechtsgeschichte bis ins 18.Jhdt eines männlichen Vertreters bedurften, und nicht als Rechtsperson anerkannt wurden. Jegliche Form von Ahndung einer Verletzung des Individualrechts durch die betroffene Frau selbst gilt daher als Verstoß gegen die Geschlechterordnung bzw. Übertretung der eigenen genderdefinierten Kompetenzen. Das generelle Racheverbot, das zur Eindämmung von Generationen übergreifenden Fehden zwischen einzelnen Familienverbänden zur Basis gesellschaftlicher Ordnung gehört, ist damit zwar grundsätzlich geschlechtsneutral definiert, bedingt jedoch über den Begriff der „Ehre“ eine maskuline Ausnahmeregelung; die Rache einer Ehrenverletzung in Form von Selbstjustiz bleibt als männliches Privileg erhalten. Damit wird z. B. bereits im antiken griechischen Mythos männliche Rache näher an den Rechtsbegriff im Sinne von gesellschaftlicher Legitimation gerückt, wohingegen weibliche Rache als Symbol für ein Vergeltungsprinzip aus vorstaatlicher bzw. „vorzivilisierter“ Zeit in die Dramen übernommen wird.
Anhand des Atridenmythos und seiner Dramatisierungen lässt sich daher eine interessante Entwicklung weiblicher Rächerinnen beobachten: während sich Aischylos noch ganz klar an die Trennung von „männlich/autorisiert“ und „weiblich/unautorisiert“ definiertem Handeln hält, wird weibliche Rache sowohl bei Euripides, als auch bei Sophokles in zunehmendem Maße auf individualpsychologische Ebene gehoben. Damit ist der Schritt in die Psychologisierung der Rächerinnen getan, und der Ursprung weiblichen Racheverlangens wird bereits in der Antike in einer pathogenen psychischen Veränderung, hervorgerufen durch ein Trauma, festgelegt. Als markantes, pathologisches Verhalten wird hier vorallem das Verlassen der weiblichen Genderkonzeption und die Aneignung männlicher Handlungskompetenzen definiert, sowie das Spannungsverhältnis zwischen geschlechtsspezifischer Handlungseinschränkung und der Rache-Intention.
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In Senecas „Agamemnon“ werden diese Merkmale noch um die Dimension der explizit pathogenen Symptomatik von „Hysterie“ - im antiken Sinne des Krankheitsbildes- erweitert; Visionen, Alpträume und Ohnmachtsanfälle verstärken den mysteriösen Charakter weiblicher Rachehandlungen, und damit erhält die pathologische Ausprägung auch noch eine mysthische Dimension. Die „rasenden“ Rächerinnen Senecas könnten nun auch das Bindeglied zum elisabethanischen Drama darstellen, dessen Frauenfiguren, interessanterweise jedoch auch eine der wohl berühmtesten männlichen Rächer der Theatergeschichte - Shakespeares „Hamlet“- auffallende Ähnlichkeit mit den antiken Charakterkonzeptionen aufweisen. Da sich jedoch keine wissenschaftlich verifizierbare Verbindung zwischen der Antike und Shakespeares Dramen herstellen lässt, zumal die wissenschaftlich belegbare Schulbildung Shakespeares eine Kenntnis der antiken Dramen ausschließt, bedarf es einer alternativen Hypothese für die Einflussnahme antiker Konzeptionen auf Shakespeares Charaktere; den Kontakt über klassisch gebildete, zeitgenössische Autorenkollegen bzw. Vorgänger wie z. B.: Marlowe, Kyd und Pickering, deren Figuren nachweisbar antiken Vorbildern nachempfunden waren, und die möglicherweise wiederum in Shakespeares Charaktere assimiliert wurden.
Schließlich blieb die Übereinstimmung des Handlungskonfliktes sowie der Beschaffenheit des zwiespältigen Charakters des dänischen Prinzen mit der der antiken Elektra-Figuren der Rezeptionsgeschichte - nicht zuletzt nach eigenen Angaben auch Hofmannsthal - nicht verborgen. Hier stechen vorallem die fanatische Vaterverehrung, seine selbst auferlegte Handlungseinschränkung, eine narzisstische Kaltblütigkeit seinen Mitmenschen gegenüber, sowie seine manipulativen Fähigkeiten ins Auge, die Hamlet neben einer identischen Ausgangssituation mit der antiken Figur der Elektra gemein hat. Solche „Symptome“ werden u.a. von Freud/Breuer in der Definition von „Hysterie“ als definiert weibliche Erkrankung der Psyche übernommen, um die Komponente unterdrückter weiblicher Sexualität erweitert, und von Hofmannsthal schließlich zu jenem pathologischen, weiblichen Rachemuster verarbeitet, das die Frauenfiguren seiner „Elektra“ auf der Bühne des deutschsprachigen Jahrhundertwendetheaters so erfolgreich werden ließ. Die Übertragbarkeit von Hofmannsthals Figuren auf die Sprechtheaterbühne des 21. Jhdts. bleibt damit eine große Herausforderung an die Regie. Hier erweist sich vor allem der Umgang mit dem Pathos der Sprache einerseits und der Voyeurismus der
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hofmannsthalschen Perspektive auf unterschiedliche Ausprägungen weiblicher Sexualität als Prüfstein für jede zeitgenössische Inszenierung des Einakters auf der Sprechtheaterbühne.
Abstract
(Englisch)
From the study of Hugo von Hofmannsthal's "Electra" the question arose about the origin of the pathologization of female revenge in their dramatic realization on the stage of the spoken theater. The classification of revenge, which is differentiated according to sex, results from the fact that women in the legal history required a male representative up to the 18th century and were not recognized as legal persons. Any form of punishment of an infringement of the individual right by the woman concerned is therefore regarded as a breach of the gender norm or the violation of her own gender-defined competencies. The general rhetoric, which belongs to the basis of social order for the limitation of cross-generational feuds between individual family associations, is, in principle, defined as gender-neutral, but requires a masculine exception from the concept of "honor"; the revenge of a violation of honor in the form of self-justice is a male privilege. Thus, for example, in the ancient Greek myth, male revenge has already been brought closer to the legal concept in the sense of social legitimation, where female revenge is taken into the dramas as a symbol of a retribution principle from pre-state or "pre-civilized" time.
On the basis of the Atriden myth and its dramatizations, an interesting development of female avengers can be observed: while Aischylos still clearly adheres to the separation of "male / authorized" and "female / unauthorized" defined action, female revenge becomes both with Euripides and Sophocles increasingly the individual psychological level. Thus the step into the psychologization of the avengers is done, and the origin of feminine regression is already established in the ancient world in a pathogenic psychical change, caused by a trauma. Significant pathological behavior is defined above all by the abandonment of female gender conception and the appropriation of male competences, as well as the tension between the gender-specific limitation of action and the revenge intention.
In Seneca's "Agamemnon" these features are extended by the dimension of the explicitly pathogenic symptoms of "hysteria" - in the ancient sense of the disease
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picture; visions, nightmares and faint intensify the mysterious character of female revenge, and the pathological manifestation also has a mystical dimension. Seneca's "furious" avengers could now also link to the Elizabethan drama, whose female figures, interestingly also one of the most famous male avengers of drama history - Shakespeare's "Hamlet" - are strikingly similar to the ancient character concepts. However, since no scientifically verifiable link between antiquity and Shakespeare's dramas can be established, especially since the scientifically proven school education of Shakespeare excludes a knowledge of the ancient dramas, an alternative hypothesis is needed for the influence of ancient concepts on Shakespeare's characters. Maybe Shakespeare got in contact with classical characters via the work of Marlowe, Kyd, and Pickering, whose figures were demonstrably based on ancient models, and which were assimilated into Shakespeare's characters. The agreement between the conflict of interests and the nature of the ambiguous character of the Danish prince and that of the ancient Electra figures was distinguished by reception history also by Hofmannsthal's own statements. The fanatical adoration of his father, his self-imposed limitation of action, a narcissistic cold-bloodedness towards his fellow persons, as well as his manipulative abilities, which Hamlet, in addition to an identical initial situation, has in common with the ancient figure of Elektra. Similar "symptoms" were described by Freud / Breuer for the definition of "hysteria" as an explicit female disease of psyche, and later, expanded by the component of suppressed female sexuality by Hofmannsthal, and finally became famous by the female figures of his "Electra" on German stages. The transferability of Hofmannsthal's figures to the theater of the 21st century remains a major challenge to the director. Dealing with the pathos of language and the voyeurism of the Hofmannsthalian perspective on different forms of female sexuality, proves to be the criterion of any contemporary staging of the one-act on stage.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
electra female revenge hysteria revenge
Schlagwörter
(Deutsch)
Elektra Atriden Rächerin Hysterie Hofmannsthal Antike Orestie Aischylos Euripides Sophokles
Autor*innen
Brigitte Rametsteiner
Haupttitel (Deutsch)
Elektra ein Monster - Hamlet ein Held?
Hauptuntertitel (Deutsch)
über die Pathologisierung weiblicher Rache von Aischylos bis Hofmannsthal
Publikationsjahr
2017
Umfangsangabe
297 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Hilde Haider ,
Brigitte Marschall
Klassifikation
24 Theater > 24.06 Theatergeschichte
AC Nummer
AC14530039
Utheses ID
42296
Studienkennzahl
UA | 092 | 317 | |