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Kultivierung von Landschaft und Klima im 19. Jahrhundert
Naturkonzepte zwischen Landschaftsphysiognomie und anthropogenem Mikroklimawandel in Erzählungen Adalbert Stifters
Christina Lengauer
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Deutsche Philologie
Betreuer*in
Eva Horn
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.49136
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-27472.98173.713559-0
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die Narrative der Landschaftsbearbeitung im Werk des Schriftstellers Adalbert Stifter (1805–1868) sind sowohl diskurshistorisch, als auch darstellungstechnisch eng mit einem Konzept von Klima verbunden, das näher an einem Orts- und Ökonomieprinzip von Klima, als an der im 19. Jahrhundert aufkommenden meteorologischen Klimakonzeption steht. Die Orte, in denen diese Kultivierung passiert, sind mikroklimatische Räume, die nach den Land-schaftsphysiognomiekonzepten Alexander von Humboldts (1769–1859) funktionieren und bisweilen mit ihnen brechen. Mensch und Natur sind in diesen klimatischen Räumen Bewoh-nerInnen und BearbeiterInnen einer „Mitwelt“, sie entsprechen Prozessen, die zusammen den Charakter eines Ortes formieren. Damit zeugen die Texte von einem konzeptionellen Unterbau einer „Ökonomie der Natur“, der trotz seiner historischen Relevanz für Mensch-Natur-Verhältnisse im aktuellen Anthropozändiskurs häufig ausgeblendet wird. So entstehen seit dem Jahr 2000 historisch nicht haltbare Narrative eines „Erwachens“ von Reflexionsvermögen und Bewusstsein über die Reichweiter des menschlichen Einflusses auf Landschaft und Natur. Doch bevor Dualismen, lineares Fortschrittsdenken und Subjekt-Objekt-Trennung den Diskurs über Natur und Mensch zu bestimmen begannen, bestand ein Zugang zur menschli-chen Aktivität in der Landschaft, der sich durch zyklische Zeitdarstellung und Grenzauflö-sungstendenzen zwischen Subjekt und Objekt auszeichnete und in literarischen und wissen-schaftlichen „Erzählungen“ gleichermaßen und häufig in ähnlicher Semantisierung zu finden ist. Während frühe Erzählungen Stifters diese klimatischen Rollen über bekannte Darstel-lungsweisen wie die der Anthropomorphisierung machen, findet sich in späteren Erzählungen inhaltlich und formal der Mensch zur geologischen Kraft gemacht und denselben Naturgeset-zen wie die Naturdinge untergeordnet. Der Mensch funktioniert dann wie eine Naturgewalt oder überzieht die Landschaft wie Vegetation „als Kleid der Landschaft“. Physiognomie, Naturgewalten und -gesetze im klimatischen Raum stehen in einem Spannungsfeld, das den Anspruch Humboldts nach Abbildung eines „Naturgemäldes“ in seiner Gesamtheit und dennoch im Detail teilt und gleichzeitig gerade erst sich verbreitendes zeitgenössisches Wissen zugänglich macht. In „wissenschaftlichen“ Erzählungen des 19. Jahrhunderts liegt bereits viel Reflexionsvermögen und liegen formal aufwändig inszenierte Darstellungen von anthropoge-nem Klimawandel, die Analogien zu den in der erzählten Welt Stifters diskutierten Verände-rungen haben. Die Naturwissenschaftler Karl Kreil (1798–1862), Andreas von Baumgartner (1793–1865) oder Alexander von Humboldt (1769–1859) sind somit ebenso wie Stifter auf der Suche nach einer erzählerischen Inszenierung von Diskursen über Landschaftsveränderung und anthropogene Wandelerscheinungen in ihrer Kausalität und erkennen den Menschen bereits als eine geologische Kraft neben vielen, die innerhalb des Mikroklimas zu Wandel führen. Die Grenze zwischen Literatur und Wissenschaft verschwimmt besonders Mitte des 19. Jahrhunderts, weshalb die Narration von konventionell als „wissenschaftlich“ eingeordne-ten Texten zur Klimatologie, Naturlehre oder Pflanzengeographie ebenfalls mit einer philolo-gischen Analyse nach der Methode der „entgrenzten Philologie“ betrachtet wird. Wichtigstes Ergebnis ist, dass der Gesamtheitsanspruch, der allen hier betrachteten Na-turkonzepten und -darstellungen zugrunde liegt, Semantisierungen bedingt, die die Grenze zwischen literarischem und wissenschaftlichem Text auflösen, wie in der Folge die Grenze zwischen Subjekt und Objekt. Physiognomie ist sodann bei Stifter über phytomorphe, neben den anthropomorphen Figuren zugänglich sowie in späteren Texten durch die Charakterisie-rung von Mensch und Natur über prozesshafte kultivierende Tätigkeit. Ein Ineinandergreifen von Akteuren und ein gemeinsames Einwirken auf das Mikroklima der Heidelandschaft, Steppe oder des Gartens im Alpland ist in allen Erzählungen Stifters zu finden, erzählerisch allerdings durch verschiedene Erzählstrategien konzipiert. Bewegungen von kultivierender Bearbeitung von Landschaft über Dekultivierung als Renaturalisierung und darauffolgende Rekultivierung zeugen von den Aushandlungsprozessen zwischen den Figuren im mikrokli-matischen Raum und strukturieren diese Arbeit formal. Der bei TheoretikerInnen des 21. Jahrhunderts wie Bruno Latour, Dipesh Chakrabarty oder auch Fabien Locher/Jean-Baptiste Fressoz so durchdringende Rückwärtsblick ihrer theo-retischen Annäherungen an Natur/Kultur, der historische Naturkonzepte auf Akteure und Re-flexionsvermögen hin untersucht, ist hier viel kleinräumiger gehalten, mit Blick auf die Dar-stellung lokaler Klimaveränderung in der Heidelandschaft, der Steppe oder im Gebirge. Ziel ist jedoch ebenfalls die Erweiterung und Überwindung aktueller Narrative und die ideenge-schichtliche Reaktivierung ihrer historischen Vorläufer. So will diese Arbeit eine Analepse in den Anthropozändiskurs einziehen und so das Reflexionsvermögen des 19. Jahrhunderts am Beispiel Landschaftsveränderung in den Fokus rücken.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Klima Landschaft Kultivierung Adalbert Stifter
Autor*innen
Christina Lengauer
Haupttitel (Deutsch)
Kultivierung von Landschaft und Klima im 19. Jahrhundert
Hauptuntertitel (Deutsch)
Naturkonzepte zwischen Landschaftsphysiognomie und anthropogenem Mikroklimawandel in Erzählungen Adalbert Stifters
Publikationsjahr
2017
Umfangsangabe
102 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Eva Horn
Klassifikationen
02 Wissenschaft und Kultur allgemein > 02.02 Wissenschaftstheorie ,
10 Geisteswissenschaften allgemein > 10.02 Philosophie und Theorie der Geisteswissenschaften ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.10 Sprache in Beziehung zu anderen Bereichen der Wissenschaft und Kultur ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.70 Literaturwissenschaft: Allgemeines
AC Nummer
AC15148422
Utheses ID
43427
Studienkennzahl
UA | 066 | 817 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1