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Behinderung und Arbeitsmarkt
Wörterbuch einer Sprachlosigkeit
Peter Karl Strebl
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie Philosophie
Betreuer*in
Josef Rhemann
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.49316
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-14928.81794.495079-0
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Sowohl in theoretischen als auch in praktischen Diskursen kooperieren die beiden Begriffe „Behinderung“ und „Arbeitsmarkt“ nicht gut. Versucht man sie zusammenzubringen, entsteht eine Art „Sprachlosigkeit“, die Unmöglichkeit, die Angelegenheiten gut zu besprechen. In einer ersten Begriffsanalyse zeigt sich, dass es dafür sowohl soziale als auch theoretische Gründe gibt. Deshalb verwendet dieser Arbeit sowohl philosophische als auch gesellschaftstheoretische Ansätze, um Wörter für die Sprachlosigkeit vorzuschlagen. Einerseits schlägt sie eine Diagnose vor: Sie präsentiert eine kritische Theorrie der Entfremdung um sowohl jene Entfremdung zu analysieren, die Menschen mit Behinderungen betrifft, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, als auch die Entfremdung der theoretischen Gebilde, die hinter falsch ausgerichteten politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Benachteiligung stehen. Andererseits entwickelt diese Arbeit die theoretischen Mittel, um die Sprachlosigkeit zu vermeiden. Nachdem sich erweist, dass die Ursprünge dieser Sprachlosigkeit bis zu den Ursprüngen des abendländischen rationalen Diskurses in der vorsokratischen Philosophie, kann die Sprachlosigkeit nicht fundamental bekämpft werden, sondern „lokal“. Lokale kritische Stimmen erlauben es, die Probleme beim Namen zu nennen. Für die Analyse der Entfremdung wird die Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns mit der kritischen Theorie Alfred Sohn-Rethels kombiniert. Damit können die Anfänge der europäischen Philosophie als theoretische Seite der frühen Geldgesellschaft verstanden werden. Grundlegende Konzepte des abendländischen Denkens wie das Urteil, die Abstraktion oder die Idee des „Reichs“ von Immanuel Kant können als am Abbild des Zahlungsvertrags gewonnen verstanden werden; ebenso die wichtigsten Begriffe der politischen Philosophie wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. Deshalb neigen sie dazu, sich in Formen zu konkretisieren, die fatal für Menschen mit Behinderungen sein können: der Normalisation, Gleichheitsbegriffen, die Menschen mit Behinderungen ausschließen oder dem Urteil des Marktes ausliefern, Begriffe, die Menschen als Maschinen auffassen und dazu führen, Behinderung als anormale Funktion zu verstehen. Aus kritischer Perspektive können diese Konzepte zwar nicht völlig vermieden werden, aber „lokal“, indem man die Entfremdung einblendet und indem man akzeptiert, dass die drei Perspektiven, die das Denken des Zahlungsvertrags vorgibt -die subjektive Sicht des für sich, die gesellschaftliche Sicht des für andere und die abstrakte Sicht des an sich – immer alle mitbedacht werden müssen, obwohl sie nie denselben Ausschnitt der Realität zeigen. Um der Sprachlosigkeit kritische Begriffe entgegenhalten zu können, wird der Begriff der Situation von Friedrich Kambartel rezipiert. Barrieren können dann als nicht-funktionierende Situationen verstanden werden; Merkmale, die oft mit Barrieren konfrontiert werden, als Beeinträchtigungen; Arbeit als Sorge für funktionierende Situationen; die Arbeit, die zum Umgang mit Barrieren notwendig ist, als Barrieren-Arbeit. Wenn man diesen Ansatz mit dem Konzept der Entfremdung und dem Begriff der Klasse zusammendenkt, lässt sich daraus das Konzept der „spezifischen Entfremdung“ gewinnen – als ein hybrides Konzept zwischen dem normativen Konzept der Benachteiligung und dem eher deskriptiven Konzept der Klasse, indem subjektive Perspektive und Gesellschaftstheorie zusammengebracht werden. Mit Hilfe dieses Konzepts können politische Maßnahmen benachteiligte Menschen adressieren und deren Probleme in Angriff nehmen. Es bietet sowohl eine normative als auch eine deskriptive Sicht: Wenn aus soziologischer Sicht Gerechtigkeit als der re-entry der Gesellschaft in die Gesellschaft verstanden werden kann, er weist sich der Kampf gegen spezifische Entfremdung als griffigste Formel für Gerechtigkeit. Gleichzeitig kann spezifische Entfremdung als Benachteiligung verstanden werden – und damit das rechtliche Konzept der Diskriminierung durch ein Konzept der sozialen Benachteiligung ersetzen. Schließlich postuliert diese Arbeit drei Rechte auf Arbeit: Erstens das Recht in einer barrierefreien Welt zu leben, für die verbleibende Barrierearbeit Unterstützung zu bekommen und für jene Barrierearbeit, die bei einem selbst verbleibt, Anerkennung und Bezahlung zu bekommen; zweitens für alle Personen, die von spezifischer entfremdung betroffen sind, das Recht, einen Job zu haben; und drittens für alle Personen, denen selbst ein relevantes Ausmaß an Barrierearbeit verbleibt, die reale Wahlfreiheit zwischen einer fairen Arbeitsstelle und einer fairen Alternativrolle ohne Armut. Sind diese Rechte garantiert, verschwindet die bestimmte Entfremdung von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Zur Umsetzung des zweiten Rechts auf Arbeit wird das Modell der „Beschäftigungsverantwortung“ vorgeschlagen, mit dem der Ansatz von positiver Diskriminierung dazu umgewandelt wird, Firmen starke Anreiz für die Beschäftigung benachteiligter Personen zu bieten.
Abstract
(Englisch)
In theoretical as well as in practical discussions the two concepts „disability“ and „labour market“ don't work well together. When trying to bring them together, a kind of speechlessness arises, the impossibility to discuss things in a proper way. A first analysis of the two concepts sheds light on both social and theoretical grounds. Therefore this thesis draws from philosophical and social theories to propose words to this speechlessness. On the one hand it proposes a diagnosis: It features a critical theory of alienation to analyse both the alienation of disabled people who are disadvantaged on the labour market and the alienation of theoretical concepts that produce wrong-going measures and concepts of struggle against this disadvantage. On the other hand this paper develops the theoretical means to avoid that speechlessness. The origins of that speechlessness are pointed out as going back to the origins of European rational discourse in presocratic philosophy and can't be changed globally, but tackled „locally“. „Local“ critical voices can put the spotlight on the problems. For the analysis of alienation the theory of the social theorist Niklas Luhmann is put together with the critical theory of Alfred Sohn-Rethel. Applying these theories the arising of European philosophy can be explained as the theoretical part of the early society of money. Founding concepts of European thinking such as judgements, abstraction, the idea of the „Reich“ of Immanuel Kant can be analysed as being modeled on the functioning of contracts against payment as well as the most important ideas of political philosophy such as freedom, justice and equality. For this reason they tend to materialize in more concrete forms that can be fatal for disabled people: normalisation, ideas of equality that exclude disabled people or surrender them to the judgements of the market, concepts that imagine humans as machines and result in explaining disability as anormal functioning. From a critical perspective these concepts cannot be removed, but they can be „locally“ avoided in superimposing the alienation and in accepting that the three perspectives modeled by the thinking of the contract against payment – the subjective perspective für sich, the social perspective für andere and the abstract perspective an sich – must all be respected but never present the same perspective of reality. To find critical words for the speechlessness the term „situation“ of the philosopher Friedrich Kambartel is adopted. Barriers can be analysed as non-functioning situations. Characteristics that are often confronted with barriers can be analysed as disabilities; work can be analysed as making for functioning situations; the work that is necessary to cope with barriers can be considered as barrier-work. In bringing together this account with the concept of alienation and the category of class, I will propose the concept of „specific alienation“ as a hybrid category between the normative concept of disadvantage and the more descriptive concept of class, putting together a first-person-perspective and social theory. This concept could allow political actors to identify the disadvantaged people and address their problems. It can offer both a normative and a descriptive view: If in a sociologist approach social justice can be interpreted as the re-entry of society into the society, struggling against specific alienations is the most general formula for justice. At the same time specific alienation can be identified with the concept of disadvantage – and replace the legal concept of discrimination by social disadvantage. Finally, this thesis posits three „rights to work“: First: The right to live in a barrier-free world, have assistance for the remaining barrier-work and to be recognized and payed for the barrier-work remaining for the disabled individuals. Secondly: The right for all people (that are struck by specific alienation) to have a job. And Thirdly: For all people who have to face substantial barrier-work the real possibilty to choose between a fair job and engaging in another fair form of active life without poverty. If these three rights are guaranteed, the specific alienation of disabled people related to the labour market will disappear. For the second right a model of implementation is proposed: In transforming the concept of positive discrimination into a concept of „employment responsibility“ it can offer strong incentives to firms to employ disadvantaged people.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
disability labour market disability studies social model inclusion critical theory money justice theory of justice philosophy
Schlagwörter
(Deutsch)
Behinderung Arbeitsmarkt Disability Studies Soziales Modell von Behinderung Inklusion Integration kritische Theorie Geldgesellschaft Gerechtigkeit Gerechtigkeitstheorie Niklas Luhmann Alfred Sohn-Rethel Friedrich Kambartel Philosophie
Autor*innen
Peter Karl Strebl
Haupttitel (Deutsch)
Behinderung und Arbeitsmarkt
Hauptuntertitel (Deutsch)
Wörterbuch einer Sprachlosigkeit
Publikationsjahr
2017
Umfangsangabe
266 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Josef Rhemann
Klassifikationen
08 Philosophie > 08.36 Philosophische Anthropologie ,
08 Philosophie > 08.44 Sozialphilosophie ,
08 Philosophie > 08.45 Politische Philosophie ,
71 Soziologie > 71.11 Gesellschaft ,
71 Soziologie > 71.61 Diskriminierung ,
71 Soziologie > 71.70 Behinderte ,
79 Sozialpädagogik > 79.14 Behindertenhilfe
AC Nummer
AC14503940
Utheses ID
43596
Studienkennzahl
UA | 092 | 296 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1