Detailansicht
Modernes Landgrabbing
bergbaubedingte Umsiedlungen in der Lausitz
Judith Fischer
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Soziologie
Betreuer*in
Roswitha Breckner
DOI
10.25365/thesis.53800
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29374.22816.808259-6
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Landgrabbing ist ein weltweites Phänomen, so auch in Deutschland. Anders als vorwiegend thematisiert und wissenschaftlich erarbeitet, handelt es sich hier um den großflächigen Abbau von Braunkohle eines ausländischen Konzerns und nicht um die Akquirierung von Agrarland, wie aus afrikanischen, südostasiatischen oder lateinamerikanischen Ländern übermittelt wird. Anders ist auch die Art der Landnahme; neben einer imperialen, postkolonialistischen Landnahme existiert, so argumentiere ich, eine hegemoniale Form innerhalb eines wirtschaftspolitischen, sozial reproduzierten Machtgefüges, durch welches eine Dichotomie von gewinnenden und verlierenden Parteien dekonstruiert wird. Hegemoniale Landnahme bedeutet im Lausitzer Kontext etwa, dass kaum eindeutige Gegenstimmen zu Umsiedlungen oder Braunkohlegewinnung gehört wurden. Vielmehr sind es oszillierende Stimmen zwischen einem Pro und Contra. In einer wirtschaftsschwachen und stigmatisierten Region scheint die Bevölkerung aufgrund mangelnder Alternativen eher bereit zu sein, externe Faktoren (Umsiedlungen, Umweltzerstörung, teilweise geminderte Lebensstandards) der Braunkohleindustrie in Kauf zu nehmen. Zudem profitiert die Bevölkerung von der monostrukturellen und einzig stabilen Industrie in der Region (Schaffung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur sowie allgemeine Aufmerksamkeit). Umsiedlungen werden von direkt Betroffenen (in fokussiertem Gebiet) tendenziell als traurige Notwendigkeit empfunden. Hegemoniales Landgrabbing wird also in einem Lebenskontext ermöglicht, der bereits seit Jahrzehnten von dessen Ursache geprägt ist: Braunkohle.
Ihre Allgegenwärtigkeit ist ebenso eine Besonderheit für die Region, wie die dort angesiedelte sorbische Minderheit, die um ihren Kulturerhalt kämpft. Es liegt nahe, dass bergbaubedingte Umsiedlungen Hauptursache für den kulturellen Zerfall der sorbischen Community ist. Jedoch ist sie von den selben regionalen Merkmalen geprägt, wie andere Bevölkerungsgruppen: Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Abwanderung als Folge. Hinzu kommt ihre interne teils geografische, sprachliche, religiöse, soziale Differenziertheit, die einen allgemeinen Zusammenhalt nicht zu gewähren scheint. 136 Dörfer der Lausitz (Region erstreckt sich über Brandenburg und Sachsen) wurden bereits zur Gänze bzw. zu einem Teil abgebrochen (vgl. Archiv verschwundener Orte, Horno). Insbesondere werden zwei Dörfer im Umsiedlungskontext untersucht. Beide sind sorbische Dörfer, eines in Brandenburg, das andere in Sachsen: Horno (sorb. Rogow) schrieb Protestgeschichte, indem sich die Dorfbevölkerung fast 15 Jahre gegen die Umsiedlung wehrte, diese zwar nicht aufhalten, jedoch in ihrer Umsetzung partizipieren konnte. Mühlrose (sorb. Miłoraz) steht kurz vor der Umsiedlung und protestiert nicht dagegen, im Gegenteil: die meisten Bewohner*innen sprechen sich dafür aus. Aus welchen Gründen diese Diskrepanz entstehen und wie die Region prinzipiell (aus einem „österreichischen“ Kontext heraus) verstanden werden kann, gehe ich in Form von ethnografischen Feldaufenthalten, Expert*inneninterviews, autofotografischen Rundgängen und einer Fotobuchinterpretation nach. Insgesamt wurde klar, dass die Lausitz eine hochkomplexe Region ist, der man sich intensiv (noch intensiver als ich es getan habe) widmen muss, um sie umfassend zu begreifen. Als Erklärungsansatz bediente ich mich Gramscis Hegemoniebegriff und praxeologischen Ansätzen, um die Prozesse in einen Kontext setzen zu können, der verdeutlicht, dass erst durch die Reproduktion von Praktiken Hegemonie ermöglicht wird, die wiederum das soziale Feld der Praktiken formt.
Abstract
(Englisch)
Landgrabbing is a worldwide phenomenon which has also manifested itself in Germany. Unlike the scientific discussion so far about farmland acquisitions in African, Southeast Asian or Latin American countries, this study addresses large- scale landgrabbing in the context of brown-coal mining by a foreign company. In my view, we can distinguish between imperialist, post-colonialist landgrabbing and so-called ‘hegemonic landgrabbing ‘, which is facilitated within an economic, socially reproduced power structure and which makes the dichotomy between losing and winning parties evident.
Hegemonic landgrabbing in the Lusatian context means, for example, the absence of opposing views on relocation and brown-coal mining. Rather, one can hear views oscillating between for and against. Lusatia (region in Brandenburg and Saxony) is an economically weak, stigmatised region shaped by work-related migration and unemployment. Due to a lack of alternatives, people seem to accept external factors of brown coal mining like relocation, ecologic destruction and low life quality.
On the other hand, a large proportion of the local population benefit from the stable, also mono-structural industry in the region generating job opportunities and infrastructure as well as public attention. My study has shown that relocations tend to be perceived as sad necessities by directly affected people (in the focused field). Hegemonic landgrabbing is therefore facilitated within a socio-economic context, which has been shaped and determined for decades- by brown coal. Its omnipresence is as unique as the Sorbian minority living in this region and struggling for their cultural survival.
It can be concluded that mining-related relocation is the cause of their socio-cultural disintegration. Though the Sorbian community also is affected by the same regional characteristics as other parts of the population. Moreover, geographically, linguistically and religiously induced internal differentiation complicates cohesion within the community.
136 villages in Lusatia have already been partially or completely relocated (cf. archives of disappeared villages, Horno). This study will focus on two villages in the context of their relocation. They are both Sorbian villages, one in Brandenburg, the other in Saxony: Horno (Sorbian Rogow) has made history by resisting their planned relocation for nearly 15 years. Though they did not succeed in stopping the resettlement programme, they took an active part in the whole process.
Mühlrose (Sorbian. Miłoraz) is about to be relocated, but does not resist at all, on the contrary: it seems that most of the villagers want to be resettled.
The possible reasons for this discrepancy and how developments in this region could be understood, from an “Austrian” point of view, will be subject of this study.
It will be conducted through ethnographic fieldwork, expert interviews, auto-photographic walks and an interpretation of a professional photobook. All things considered, I can see that Lusatia is a highly complex region, which would require more intensive research to achieve full understanding.
This, however, would go beyond the scope of my study.
My explanatory approach is based on Antonio Gramsci’s concept of hegemony and the praxeological approach for contextualizing processes, which enable practical reproduction of hegemony in the field of practices.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Englisch)
Land Grabbing Brown Coal Relocation Lusatia Ethnography Visual Sociology
Schlagwörter
(Deutsch)
Landgrabbing Braunkohle Umsiedlung Lausitz Ethnografie visuelle Soziologie
Autor*innen
Judith Fischer
Haupttitel (Deutsch)
Modernes Landgrabbing
Hauptuntertitel (Deutsch)
bergbaubedingte Umsiedlungen in der Lausitz
Publikationsjahr
2018
Umfangsangabe
131 Seiten : Illustrationen, Karten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Roswitha Breckner
AC Nummer
AC15187149
Utheses ID
47526
Studienkennzahl
UA | 066 | 905 | |