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Subjektformierung in vollbetreuten Einrichtungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten
eine praxistheoretische Studie zur Herstellung von Differenz
Georg Gappmayer
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Doktoratsstudium Sozialwissenschaften (Dissertationsgebiet: Kultur- und Sozialanthropologie)
Betreuer*in
Bernhard Hadolt
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.56786
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-17280.43531.471158-0
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Alltagswelt von erwachsenen Menschen mit Lernschwierigkeiten in vollbetreuten Einrichtungen in Österreich. Ausgehend von Überlegungen zur Neoliberalisierung von care und der gouvernementalen Regierung der Menschen geht diese Forschung der Frage nach dem Umgang mit Andersartigkeit in dieser Gesellschaft nach und erkundet, welche Subjektformen in den Einrichtungen hergestellt werden. Diesbezüglich wird nicht nur ergründet, welche Subjekte produziert werden, sondern wie diese Produktion durch Alltagspraktiken erfolgt und somit im Endeffekt, wie die Differenz in der Wertigkeit von Menschen mit Lernschwierigkeiten hergestellt und stabilisiert wird. Der Fokus auf Praktiken — auf jegliches Tun und Sagen — und die damit verbundene Praxistheorie ermöglicht, jenseits einer akteurszentrierten Sichtweise ein Verständnis des Sozialen durch die Alltagsaktivitäten selbst. Zur Beantwortung dieser Fragen erfolgt einerseits eine theoretische Annäherung an die Eigenschaften der in westlichen Gesellschaften hegemonialen Personhood-Konzeption, die dem autonomen Subjekt entspricht, und andererseits eine Suche nach gesellschaftlichen Mechanismen, durch die Differenz von Menschen erzeugt wird, um die beobachteten Alltagsaktivitäten in den Einrichtungen in einen größeren Kontext zu stellen. Methodisch wurde zwischen 2011 und 2015 eine ethnographische Feldforschung in drei Wohnhäusern und einer Werkstätte für Menschen mit Lernschwierigkeiten durchgeführt. Die Datenanalyse berücksichtigt die Erkenntnisse der Praxistheorie und ist angelehnt an die Grounded Theory und die Situational Analysis. Ich argumentiere, dass in den Einrichtungen versucht wird, Menschen mit Lernschwierigkeiten zu autonomen Subjekten aufzuwerten. Durch die Praktiken erfolgt dabei allerdings eine Einschreibung in die abhängige Subjektform, da die betreuten Personen einerseits über einen zu geringen Level an Fähigkeiten verfügen, um den Anforderungen der dafür nötigen Selbstbestimmung und Selbstständigkeit gerecht zu werden, und andererseits es die implizite Aufgabe der BetreuerInnen ist, die Haushaltsführung so effizient wie möglich zu gestalten. Das erschließt sich aus der Analyse der handlungsleitenden Ziele in den Alltagspraktiken und in den handlungsanweisenden Schriftdokumenten der Organisationen. Ersichtlich wird, dass das Ziel Versorgen und Konsumieren in den Praktiken sehr präsent ist, und Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der BewohnerInnen zwar favorisiert werden, jedoch im Alltag nur bedingt handlungsleitend sind. Das steht im Widerspruch zu den schriftlichen Dokumenten, die Selbstbestimmung und Selbstständigkeit an erster Stelle benennen, jedoch Versorgen und Konsumieren als leitendes Ziel weitestgehend ignorieren. Daraus entsteht ein Spannungsfeld, in dem alle Beteiligten verhaftet sind. Wie Differenz in der Wertigkeit hergestellt wird, zeigt diese Arbeit anhand des Ineinandergreifens unterschiedlicher Differenzmechanismen. Folgende fünf wurden diesbezüglich identifiziert: die Einordnung in die Kategorie Nicht-/Behinderung, die Nichterreichung des Normlevels an Fähigkeiten, die Abweichung von der menschlichen Form, das un/doing difference Konzept und die verknüpfende Instanz der Behindertenbetreuungssite. In diesem Zusammenhang argumentiere ich, dass Differenz situativ und durch stabilere Einordnungen erfolgt, die sich in (neuen) Handlungskategorien manifestiert. Die Stabilisierung der Differenz ereignet sich durch das Wechselspiel zwischen Praktiken und der Behindertenbetreuungssite — jene Instanz, die das Denken und die Praktiken formt und gleichzeitig von diesen konstituiert wird.
Abstract
(Englisch)
This research investigates the daily life of people with intellectual disabilities (ID) who live in fully supervised group homes in Austria. Two main research questions contribute to the discussions of the neoliberalism of care and the governmentality of people. First, it asks which subjects are formed through practices — the daily activities in the institution for people with ID. Second, it examines how differences in the value of people with ID are produced and stabilized. Practice Theory is the epistemological approach used in this thesis to understand the Social. In this approach it is not the specific actor that is in the center of interest, but rather the analysis of doings and sayings – the activities themselves. A profound understanding of the daily practices is achieved through a theoretical discussion of the characteristics of the hegemonic personhood in Western Societies – the autonomous subject, and the search for social mechanisms which create differences between people. Ethnographic fieldwork was conducted in three group homes and one supervised workshop for people with ID in Austria between 2011 and 2015. Data analysis was inspired by Grounded Theory and Situational Analysis. I argue that the institutions try to enhance the personhood status of the people with ID to autonomous subjects. But this normative approach fails because the people do not have the necessary level of skills to be self-determined and independent in their daily life. At the same time, many activities like household tasks are carried out by the care-givers and not by the people with ID because this is more efficient. This results in the construction of the people with ID as societally devalued dependent subject. This argument is revealed through the analysis of the action-guiding aims, which are interwoven in the daily practices and in the policy documents of the organizations for people with ID. The practices and the policy documents are contradictory. Self-determination, independence, providing and consuming, belonging and safety are the five central aims in the practices. Most practices are guided through providing and consuming, but self-determination and independence are the most valued ones. This becomes specifically obvious in the policy documents, in which self-determination and independence of the people with ID are the main objectives. In the analyzed documents, providing and consuming is absent as an action-guiding aim. This contradiction produces a field of tension in which all actors are stuck. I argue that the situations themselves and more stable classifications create difference in the value of people with ID. In total, I identify five social mechanisms that create difference: the classification in the category non-/disability, ableism, deviance of the human form, the un/doing difference concept and the practice theoretical concept of site, which brings all other mechanisms together. These five mechanisms are manifested in new activities’ categories, which a person can fulfill if he/she has the requisite skills. Difference is stabilized through the interaction between the practices and the disability care-site. This is the site which forms the thinking and the practices in this social context, and is at the same time constituted through these.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
subject personhood people with learning disabilities practice theory difference everyday activities dependency self-determination
Schlagwörter
(Deutsch)
Subjekt personhood Menschen mit Lernschwierigkeiten Praxistheorie Differenz Alltagshandlungen Abhängigkeit Selbstbestimmung
Autor*innen
Georg Gappmayer
Haupttitel (Deutsch)
Subjektformierung in vollbetreuten Einrichtungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine praxistheoretische Studie zur Herstellung von Differenz
Publikationsjahr
2018
Umfangsangabe
273 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Ruth Kutalek ,
Gabriele Alex
Klassifikationen
70 Sozialwissenschaften allgemein > 70.99 Sozialwissenschaften allgemein: Sonstiges ,
73 Ethnologie > 73.49 Sozialethnologie: Sonstiges
AC Nummer
AC15371008
Utheses ID
50159
Studienkennzahl
UA | 796 | 310 | 307 |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1