Detailansicht

The ontogeny of hominid cranial form
a geometric morphometric analysis of coordinated and compensatory processes
Silvester Bartsch
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Lebenswissenschaften
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Anthropologie
Betreuer*in
Philipp Mitteroecker
Mitbetreuer*in
Nicole Grunstra
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.60198
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-25128.54463.824964-8
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Der knöcherne Schädel vertebrater Organismen stellt eine höchst funktionelle Struktur dar: Er umfasst und schützt das Gehirn, diverse Sinnesorgane sowie den Kauapparat. Die einzelnen Schädelknochen müssen in integrativer Weise wachsen, um diese Funktionen während der Entwicklung und im erwachsenen Organismus, trotz der wichtigen morphologischen Veränderungen in der Ontogenie, sicherzustellen. Frühere Studien haben dieses Zusammenspiel unter dem Gesichtspunkt der Modularität, der vollständigen Unabhängigkeit einzelner Merkmale, erforscht, obwohl sich dieses Konzept in einem morphometrischen Kontext nur selten als biologisch interpretierbar erweist. Das theoretische Konzept der „self-similarity“, die aus entwicklungsbiologischen Unabhängigkeiten oder einer gegenseitigen Aufhebung von positiv und negativ korrelierten Effekten zwischen Merkmalen entsteht, wird in dieser Studie als alternatives Nullmodell angewandt. Abweichungen von diesem Nullmodell erlauben es, zwischen koordinierten und kompensatorischen Vorgängen während der Ontogenie zu unterscheiden. Diese Arbeit präsentiert außerdem einen neuen konzeptionellen Ansatz, in dem das Cranium in zwei Komponenten unterteilt wird: Die „globale“ Komponente repräsentiert die äußere Schädelgestalt und erfasst damit großräumige Gestaltvariation. Die „lokale“ Komponente, auch „residual shape“ genannt, repräsentiert die Knochenzusammensetzung anatomischer Strukturen und erfasst somit kleinräumige Gestaltvariation. Dieser Ansatz ermöglicht die Erfassung des Ausmaßes, in welchem postnatale ontogenetische Prozesse die generelle Schädelgestalt und den relativen Beitrag von Knochen zu anatomischen Strukturen verändern. Die Arbeit wird mögliche Unterschiede in der Art der Wachstumsprozesse (koordiniert oder kompensatorisch), die zur adulten Schädelform von Pan troglodytes und Homo sapiens führen, untersuchen. Im Speziellen wird auf die Frage, ob diese Prozesse im Chondrocranium und im Desmocranium unterschiedlich stark ausgeprägt sind, eingegangen. Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob Unterschiede in der Knochenzusammensetzung cranialer Strukturen zu interspezifischen Unterschieden der äußeren Schädelgestalt beitragen. Hierzu wurde ein Set aus 93 median-sagittal gesetzten Landmarks, die sowohl die äußere Schädelgestalt, als auch Knochengrenzen erfassen, entwickelt. Die Landmarks wurden auf 84 CT-Scans von Schädeln nicht-adulter sowie adulter Individuen gesetzt und anschließend mit den Methoden der sogenannten „geometric morphometrics“ analysiert. Sowohl die Messungen an menschlichen Schädeln, als auch an jenen der Schimpansen, zeigen, dass die craniale Größenentwicklung von koordinierten Wachstumsprozessen geprägt ist, während in der Gestaltentwicklung kompensatorische Prozesse überwiegen. Im Fall des Schimpansen konnte kein Schluss in der Frage, ob koordinierte oder kompensatorische Prozesse überwiegen, gezogen werden- hier wurden deshalb auch die größten interspezifischen Unterschiede gefunden. Beim Vergleich der Entwicklung in der globalen und lokalen Komponente des Craniums zeigte eine Hauptkomponentenanalyse der äußeren Schädelgestalt sowohl eine ontogenetische Trajektorie, als auch interspezifische Unterschiede auf. Im Gegensatz dazu ergab eine Hauptkomponentenanalyse der lokalen Gestaltkomponente keine ontogenetischen Veränderungen. Interspezifische Unterschiede waren gering, erwiesen sie sich jedoch als statistisch signifikant. Diese Ergebnisse deuten auf zwei gegensätzliche Prozesse hin, die der Entwicklung des Schimpansen- und Menschenschädel unterliegen. Höchstwahrscheinlich haben sich diese Mechanismen als Reaktion auf Störungen während der Entwicklung etabliert, um die funktionellen Anforderungen des Craniums sicherzustellen. Die koordinierte Entwicklung der Schädelgröße wird durch die Expression von Wachstumsfaktoren mit pleiotropischen Effekten in einer Reihe von cranialen Strukturen, sowie durch epigenetische Prozesse, wie dem Einfluss des Hirnwachstums auf das Wachstum der Schädeldecke, bewerkstelligt. Intraspezifische Unterschiede in der Schädelgestalt entstehen durch epigenetische Prozesse, wie dem sogenannten „bone mechanostat“, der die mechanischen Ansprüche der Knochen kontrolliert und Knochengewebe gegebenenfalls remodelliert. Interspezifische Unterschiede der Schädelgestalt haben höchstwahrscheinlich in epigenetischen Prozesse, die sich in komplexen genetischen Netzwerken manifestiert haben, ihren Ursprung. Hierzu bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen. Außerdem konnte gezeigt werden, dass die postnatale Entwicklung der Schädelgestalt auf großräumigen und nicht auf kleinräumigen Veränderungen beruht. Die Knochenzusammensetzung anatomischer Strukturen ist pränatal, in knorpeligen Vorläufern der Knochen, festgelegt und verändert sich während der postnatalen Entwicklung kaum. Möglicherweise folgt aus diesem Ergebnis, dass die äußere Schädelgestalt funktionell wichtiger als die Knochenzusammensetzung derselben ist. Diese Erkenntnis könnte wichtige neue Möglichkeiten für phylogenetische Rekonstruktionen, die auf morphologischen Daten beruhen, eröffnen.
Abstract
(Englisch)
The cranium is a highly functional morphological complex in vertebrates: It protects and houses the brain, the sensory organs and the masticatory apparatus. Individual cranial bones need to form an integrated whole in order to facilitate these functions throughout development and into adulthood, in spite of the considerable changes in cranial shape that are taking place during ontogeny. Previous studies on these developmental interactions used the concept of modularity, i.e. the complete independence of traits which manifests itself in a covariance of 0, as a null model, the deviations from which are not always adequately interpretable in a morphometric context. A novel theoretical framework introduced the null-model of self-similarity, interpreted as a state where independent developmental processes underlie the morphology of traits. Deviations from this null-model can be interpreted as either a dominance of coordinated or compensatory growth processes during ontogeny. I use this approach for a novel study of human and chimpanzee cranial shape by decomposing it into two components: The 'global' component reflects the functionally relevant features of cranial shape and captures large-scale morphological variation, which is represented by the cranial outline. The 'local' component or 'residual' shape, which captures more small-scale variation, represents the relative contribution of individual bones to overall shape. This approach allows me to investigate the extent to which postnatal ontogenetic changes in cranial shape occur in the overall shape versus the relative contribution of individual bones, respectively. My thesis aims to investigate possible differences in the kind of growth process (coordinated or compensatory growth) leading to adult cranial form in Pan troglodytes and Homo sapiens, with an additional focus as to whether these processes have different effects on the chondrocranium and the desmocranium. Furthermore, my study addresses whether differences in the contribution of bones to overall cranial shape contribute to the apparent differences in cranial shape between the two species. To this end, a set of 93 midsagittal landmarks, which captures classical anatomical landmarks, as well as the delineations of individual cranial bones, was devised. The landmarks were measured on 84 CT-scanned crania of different age classes and a geometric morphometric analysis was conducted. The results revealed that the ontogeny of cranial size is mainly driven by coordinated growth processes in both species. On the other hand, the ontogeny of cranial shape is mostly driven by compensatory growth processes in both humans and chimpanzees. No clear answer as to whether coordinated or compensatory growth processes dominate over the development of the chimpanzee desmocranium was found. In the comparison of global and local aspects of cranial shape, a principal component analysis (PCA) of outline shape showed species differences as well as ontogenetic trajectories, which were similar for humans and chimpanzees. By contrast, a PCA of residual shape showed no ontogenetic trend within either species. Interspecific differences were less pronounced although they remained statistically significant. These findings indicate that two distinct processes underlie cranial development in chimpanzees and humans. Most likely, these processes have evolved to buffer developmental perturbations and to ensure the functional integrity of the cranium. The coordinated growth of cranial size likely is accomplished through the expression of growth factors with pleiotropic effects in several cranial regions as well as epigenetic effects, such as the influence of brain growth on calvarial size. In terms of cranial shape, intraspecific differences in cranial shape presumably are accomplished via epigenetic mechanisms, such as the “bone mechanostat”, which monitors physical strains on developing and remodelling bone tissue. However, interspecific differences in cranial shape may have arisen through epigenetic mechanisms which have eventually manifested themselves in complex genetic networks that require further investigation. In addition, it was found that postnatal development of cranial shape is accrued via global, rather than local shape changes. The contribution of bones to the overall cranium is largely determined prenatally, perhaps even in the cartilaginous precursors of bones, and remains largely stable during postnatal development. This finding may indicate that overall cranial shape is functionally more relevant than residual cranial shape, opening new possibilities for morphology-based phylogenetic reconstruction.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
ontogeny of the cranium geometric morphometrics self-similartiy global and local aspects of shape
Schlagwörter
(Deutsch)
Ontogenie des Craniums geometrische Morphometrie self-similarity globale und lokale Gestaltkomponente
Autor*innen
Silvester Bartsch
Haupttitel (Englisch)
The ontogeny of hominid cranial form
Hauptuntertitel (Englisch)
a geometric morphometric analysis of coordinated and compensatory processes
Paralleltitel (Deutsch)
Die Ontogenie hominider Schädelform : eine geometrisch-morphometrische Analyse koordinierter und kompensatorischer Prozesse
Publikationsjahr
2019
Umfangsangabe
67 Seiten : Illustrationen, Diagramme
Sprache
Englisch
Beurteiler*in
Philipp Mitteroecker
Klassifikationen
42 Biologie > 42.10 Theoretische Biologie ,
42 Biologie > 42.21 Evolution ,
42 Biologie > 42.23 Entwicklungsbiologie
AC Nummer
AC15533260
Utheses ID
53203
Studienkennzahl
UA | 066 | 827 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1