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Die Aufnahme Fremder in das System einer von Bund und Ländern geleisteten wirtschaftlichen Absicherung fernab der allgemeinen Sozialhilfe
eine rechtsdogmatische Analyse samt Lösungsansätzen im kritischen Rechtsvergleich
Jennifer Elisabeth Müller
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Doktoratsstudium Rechtswissenschaften
Betreuer*in
Wolfgang Wessely
DOI
10.25365/thesis.62623
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-16284.45123.340061-3
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Das System der wirtschaftlichen Absicherung Fremder fernab der allgemeinen Sozialhilfe ist in Österreich komplex ausgestaltet, eng mit dem Asyl- und Fremdenrecht verzahnt und hat dabei den rechtlichen Erfordernissen sowohl auf nationaler, als auch auf supranationaler (insbesondere der AufnahmeRL-neu und der QualifiaktionaRL-neu) und auch internationaler Ebene gerecht zu werden:
Asylwerberinnen und Asylwerber beispielsweise genießen ab Einbringung ihres Asylantrags in Österreich eine rechtliche Sonderstellung in Form eines (faktischen) Abschiebeschutzes (§§ 12 ff AsylG 2005) und – verknüpft mit deren asylverfahrensrechtlicher Stellung – einen Rechtsanspruch auf eine staatlich geleistete wirtschaftliche Absicherung ihrer Existenz. Daneben zählen auch Asylberechtigte für einen Zeitraum von vier Monaten ab Zuerkennung des Asylstatus, Subsidiär Schutzberechtigte, Fremde mit einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005, Vertriebene im Sinne des § 62 AsylG 2005 und Fremde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind, zum begünstigten Personenkreis auf Grundversorgung.
Die Genfer Flüchtlingskonvention 1951 – in Ergänzung durch das New Yorker Protokoll 1964 – kann als die Wiege der europäischen, staatlich geleisteten wirtschaftlichen Absicherung Asylsuchender angesehen werden.
Neben den Flüchtlingen erfahren aber auch andere schutzwürdige Fremde im internationalen Rechtsverständnis Anerkennung ihrer besonderen Stellung. In concreto handelt es sich dabei um solche Drittstaatsangehörige, deren Rückstellung in ihre Heimatstaaten aus den verschiedensten (anderen) Gründen nicht möglich ist. In Würdigung deren besonderer Situation wurden seitens zahlreicher Vertragsstaaten andere innerstaatliche Schutzmechanismen geschaffen („komplementärer Schutz“). Auch das Unionsrecht hat deren Schutzwürdigkeit erkannt und aufgegriffen.
Auf supranationaler Ebene wurden erstmals im Jahre 2003 mit Erlass der AufnahmeRL einheitliche Vorgaben betreffend Mindestbedingungen für die Aufnahme Asylsuchender in den Mitgliedstaaten geschaffen. Diese wurde per 21.7.2015 durch die AufnahmeRL-neu ersetzt. Daneben geben derzeit die MassenzustromRL und die OpferschutzRL europäische Mindeststandards für die Aufnahme und den Aufenthalt bestimmter anderer Fremder (Vertriebene, Opfer des Menschenhandels u.a.) in den Mitgliedstaaten vor.
Ab Zuerkennung des Subsidiären Schutzstatus bzw des Asylstatus gelten für Asylwerbende darüber hinaus die Kriterien der QualifikationsRL-neu (vgl insbesondere Art 29 und Art 30 QualifikationsRL-neu). Ab diesem Zeitpunkt sind Asylberechtigte den Staatsangehörigen im Hinblick auf Sozialhilfeleistungen gleichzustellen, Subsidiär Schutzberechtigte dürfen jedoch auf Kernleistungen beschränkt bleiben (vgl Art 29 Abs 1 QualifikationsRL-neu).
Für sämtliche Richtlinien gilt, dass sie Betroffenen ein Recht auf entsprechende Versorgung im jeweiligen Aufnahmestaat einräumen. Nichtsdestotrotz resultiert daraus kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht Fremder auf Grundversorgung in Form eines „Grundrechts auf soziale Absicherung“ in Österreich; ein solches ist der österreichischen Rechtsordnung fremd. Auch aus der GRC oder der EMRK kann per se keine staatliche Pflicht zur Einrichtung eines Versorgungssystems Fremder abgeleitet werden. In diesem Zusammenhang erlangt allerdings die neuere Judikatur des EGMR (EGMR, M.S.S./Belgien und Griechenland, 21.1.2011, Appl 30696/09) Bedeutung: So verlangt das Höchstgericht, dass, wenn auf nationaler Ebene ein System der sozialen Sicherheit in Form einer Grundversorgung Fremder etabliert wurde, die materiellen Leistungsmodalitäten der staatlichen Fürsorgeleistungen für Fremde nicht nur an den Garantien des supranationalen Sekundärrechts, sondern auch an jenen der EMRK und der GRC zu messen sind. Dies insbesondere am Grundsatz der „Achtung der Menschenwürde“ (Art 3 EMRK, Art 1 GRC), aus welchem der EGMR ableitet, dass die staatlichen Fürsorgeleistungen Betroffenen ein menschenwürdiges Leben im Aufnahmestaat ermöglichen müssen, bei dem die Gesundheit und der Lebensunterhalt der Fremden gewährleistet ist. Aus Sicht des EGMR erfasst dies gegebenenfalls auch finanzielle (staatliche) Unterstützungsleistungen in angemessener, den staatlichen Lebensbedingungen angepasster Höhe. Ob der unionsrechtlichen Umsetzungspflichten der supranationalen Richtlinien im Hinblick auf die Aufnahme und Versorgung bestimmter Fremder in den Mitgliedstaaten läuft diese Judikatur de facto auf die Etablierung eines „Grundrechts Fremder auf menschenwürdige Grundversorgung“ hinaus.
Determiniert durch die internationalen und supranationalen Vorschriften, wird die Grundversorgung in Österreich auf nationaler Ebene derzeit durch zehn einfachgesetzliche Regelungswerke, die auch in Umsetzung der Grundversorgungsvereinbarung-Art15a B-VG erlassen wurden, rechtlich ausgestaltet. Während die Grundversorgungsvereinbarung-Art 15a B-VG insbesondere die Betreuungsaufgaben auf die Vertragsparteien verteilt (vgl Art 3 f leg cit), obliegt die konkrete einfachgesetzliche Ausgestaltung – in Entsprechung der Art 15a B-VG Vereinbarung sowie den unionsrechtlichen Vorgaben – dem Bundes- bzw dem jeweiligen Landesgesetzgeber.
Die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes zur Regelung der Grundversorgung der Asylwerbenden ist in Art 10 Abs 1 Z 3 B-VG (als Annexmaterie zum Tatbestand „Asyl“) begründet. Die Kompetenzgrundlage für die Grundversorgungsregelungen der Länder findet sich im Tatbestand des „Armenwesens“ in Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG. Da der Bund bis dato von seiner Grundsatzgesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, stand es den Ländern bisher frei, den Gegenstand ihren Vorstellungen entsprechend zu regeln (Art 15 Abs 6 B-VG).
Mag die wissenschaftliche Aufarbeitung des österreichischen Systems einer Grundversorgung Fremder auch nicht allzu viele Möglichkeiten zu rechtsdogmatischer Tiefe eröffnen, so darf dennoch nicht übersehen werden, dass die rechtliche Ausgestaltung dieser Regelungsthematik ob ihrer quantitativen Regelungsdichte auf nationaler und supranationaler Ebene, der engen Verflechtung mit dem Asyl- und Fremdenrecht sowie ihren Berührungspunkten zu den sozialhilferechtlichen Regelungen der Länder an Komplexität nicht zu unterschätzen ist.
Des Weiteren schränken die unionsrechtlichen Determinanten nicht nur den dem Gesetzgeber, sondern auch den gegebenenfalls den Organen der Verwaltung eingeräumten „Spielraum“ bei der nationalen Vollziehung der Grundversorgung in Österreich ein. Begünstigt durch die oftmals fehlenden Begriffsdeterminationen in den unionsrechtlichen Vorschriften sowie die weitgehend fehlende höchstgerichtliche Judikatur des EuGH, sind Spannungen zum supranationalen Recht vorprogrammiert. Im besten Fall können diese durch richtlinienkonforme Interpretationen beseitigt werden. Überall dort, wo dies nicht gelingt, bedarf es weitergehender gesetzlicher Anpassungen.
Der Fokus der Dissertation lag darauf, das komplexe System der österreichischen Grundversorgung aufzuarbeiten, im Bundesländervergleich kritisch auf ihre Vereinbarkeit mit supranationalen und nationalen Determinanten zu prüfen, Ungereimtheiten aufzuzeigen, geeignete Lösungsansätze zu liefern und dadurch Spannungsfelder zu minimieren bzw. – nach Möglichkeit – zu eliminieren.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Grundversorgung Fremder wirtschaftliche Absicherung Asylwerberinnen und Asylwerber Asylberechtigte Subsidiär Schutzberechtigte AufnahmeRL MassenzustromRL OpferschutzRL QualifikationsRL Genfer Flüchtlingskonvention 1951 Flüchtlinge
Autor*innen
Jennifer Elisabeth Müller
Haupttitel (Deutsch)
Die Aufnahme Fremder in das System einer von Bund und Ländern geleisteten wirtschaftlichen Absicherung fernab der allgemeinen Sozialhilfe
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine rechtsdogmatische Analyse samt Lösungsansätzen im kritischen Rechtsvergleich
Publikationsjahr
2019
Umfangsangabe
202 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Daniel Ennöckl ,
Christian Piska
Klassifikation
86 Recht > 86.43 Öffentliches Recht: Allgemeines
AC Nummer
AC16123722
Utheses ID
55343
Studienkennzahl
UA | 783 | 101 | |