Detailansicht

Die Realismusmaschine
Stereoskopie im Diskurs medialer Bildlichkeit
Jörg Stöger
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Betreuer*in
Frank Hartmann
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.6231
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29561.51586.130563-2
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die Stereoskopie, deren Betrachtungsapparat aus dem wachsenden Interesse an der menschlichen Wahrnehmung und ihrer wissenschaftlichen Erforschung zu Beginn des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist, bewerkstelligte in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts zum ersten Mal die breite Vermarktung fotografischer Bilder. In der vorliegenden Arbeit wurde dieser eigenständigen Medienentwicklung sowohl unter strukturellen als auch unter phänomenologischen Gesichtpunkten nachgegangen und versucht, über die Darstellung des Einzelmediums hinaus, spezifische, den Realismus betreffende Aspekte des Verhältnisses von Menschen zu ihren medialen Bilderwelten zu beleuchten. Dazu wurden zunächst anhand von zwei sehr unterschiedlichen Distributionsbeispielen aus den USA und dem deutschsprachigen Raum die ökonomischen und technischen Ermöglichungsbedingungen für dieses, von der Mediengeschichtsschreibung in seiner Größenordnung oft übersehene Phänomen, zu verdeutlichen: Industrielle Produktionsmethoden und ausgeklügelte Vertriebssysteme machten die Stereofotografie finanziell verwertbar. Technische Rahmenbedingungen wurden zum Auslöser einer veränderten Bildpraxis. Das Versprechen der „Reisen im Lehnstuhl“ und die geweckten Bedürfnisse nach authentischen Seherlebnissen war der dritte Erfolgsfaktor. Zeitgenössische Kommentare umreißen den Vorstellungshorizont, der der Stereoskopie als Bildmedium zugewiesen worden ist und der sich bis heute in den Erwartungshaltungen von modernen Bildkonsumenten an binokulare Visualisierungstechniken widerspiegelt. Das Versprechen wirklichkeitsnaher Bildvermittlung durch stereoskopische Techniken wird nach wie vor aufrechterhalten, wie etwa die Virtual-Reality Debatte in den 90er Jahren oder regelmäßig auftauchende 3-D Film Produktionen illustrieren. Mit der leichteren Verfügbarkeit von gedruckten Ansichtskarten und der größeren Faszination an den bewegten Bildern zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschwand die Stereoskopie jedoch aus dem massenmedialen Kontext. Im Hinblick auf die technische Machbarkeit des stereoskopischen Films stellt sich allerdings die Frage, warum sich der 3-D Film nicht dauerhaft etablieren konnte. Ist es tatsächlich die bislang benötigte und als störend empfundene Brille, wie häufig argumentiert wird? Medientheoretische Ansätze, wie etwa von Jay David Bolter und Richard Grusin liefern dazu zwei Antworten: Ja, weil Medien als Übermittler von Inhalten zuallererst ihre eigene Transparenz bewerkstelligen müssen. Gerade das gelingt der Stereoskopie aber am allerwenigsten. Mit ihren auffälligen Apparaturen ist sie diesbezüglich der Elefant im medialen Porzellanladen. Und nein, weil Medien ihre Oberflächen andererseits auch selbst zum Inhalt machen und eigenständige Fortschreibungsmechanismen entwickeln. Die „Brille“ allein kann daher nicht für den langfristigen Misserfolg der Stereoskopie verantwortlich gemacht werden. Vielmehr scheint das stereoskopische Bild insgesamt gegenüber dem Zweidimensionalen an Symbolgehalten zu verlieren. Denn der räumliche Effekt ist auf Informationsebene zum größten Teil redundant, weil beinahe alle Tiefeninformationen zweidimensional darstellbar sind. Auf semiotischer Ebene bewirkt dieser Effekt eine grundlegende Veränderung der Betrachtungssituation wodurch bildliche Rahmenbedingungen aufgehoben und Bedeutungszusammenhänge eingebüßt werden. Die versprochene hyperrealistische Abbildungstechnik entpuppt sich somit als Dekonstruktionsapparat, der das Verhältnis von Bild und Betrachter verschiebt, indem es den Bezugsrahmen neu strukturiert. Damit gibt das Stereoskop aber auch den Blick auf die Fotografie frei und legt Bildkonventionen offen, die sonst vom medialen Verwendungszusammenhang verdeckt werden. Die Stereoskopie ist diesbezüglich für die Fotografie wie die Lupe für den Druck. (Bei Vergrößerung wird das gedruckte Bild als eine Ansammlung von Punkten erkennbar.) Bei dieser Arbeit handelt es sich also um den Versuch, eine Spielform des medialen Gebrauchs von Bildern hervorzuheben, indem eine gedankliche Verknüpfung von Erwartungshaltungen und tatsächlichem Mediengebrauch anhand eines historischen Beispiels unternommen wird. Die Stereoskopie stellt dabei ein Anschauungsbeispiel dar für die Entfaltung eines Mechanismus der Interaktion zwischen Mensch und Bild bzw. zwischen Mensch und menschlichen Bilderwelten. Dieser Effekt wird in dieser Arbeit als Realismusmaschine bezeichnet, ein Effekt der ebenfalls in zweidimensionalen Bildern beobachtbar und beschreibbar ist. Vereinfacht geht es um die Zerstörung oder Minderung des Imaginationspotentials bei der Deutung von Bildern durch die Hervorhebung und Überbewertung ihres Wirklichkeitsbezugs. Ein Wirklichkeitsbezug der umso glaubwürdiger erscheint, je größer das Täuschungsvermögen dieser Bilder ist und je besser die Mechanismen des Verschwindens ihrer medialen Bestandteile funktionieren. Gefragt wird also nach den Rahmenbedingungen unserer Imaginationsfähigkeit. Die kulturspezifische Bedeutung des Realismus in Bildern ist zum einen ein Gradmesser für den Stellenwert den das Sichtbare in einer Gesellschaft als Referent der Wirklichkeitskonstruktion einnimmt, andererseits können Realismuseffekte und Realismuserwartungen als Entschlüsselungsmuster für visuelle Codes besonders der gerade gängigen Bildkonventionen dienen. Bildlicher Realismus ist daher weniger eine Darstellungsform als vielmehr die Einnahme eines visuellen Standpunkts, einer Ideologie der Sichtbarkeit. Ein Bild ist letztlich das was passiert wenn jemand ein Bild betrachtet: Bilder sind Anleitungen zum Träumen. Jene Territorien der Bildkultur die sich als „Bildnatur“ ausgeben entlassen die daran Beteiligten in unbewusste Träume und Scheinrealitäten. Befreit von ihrer optischen Determiniertheit könnte die Stereoskopie an einer Erweiterung der Beweglichkeit unseres visuellen Denkens beteiligt sein.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Stereoskopie
Autor*innen
Jörg Stöger
Haupttitel (Deutsch)
Die Realismusmaschine
Hauptuntertitel (Deutsch)
Stereoskopie im Diskurs medialer Bildlichkeit
Publikationsjahr
2009
Umfangsangabe
V, 89 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Frank Hartmann
Klassifikation
05 Kommunikationswissenschaft > 05.00 Kommunikationswissenschaft: Allgemeines
AC Nummer
AC07774527
Utheses ID
5601
Studienkennzahl
UA | 301 | 295 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1