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Politische Vergangenheiten
Entpolitisierungs- und Politisierungsprozesse im österreichischen Protestantismus 1933/34 bis 1968
Leonhard Jungwirth
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Evangelisch-Theologische Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Doktoratsstudium der Evangelischen Theologie (Dissertationsgebiet: Evangelische Theologie)
Betreuer*in
Rudolf Leeb
DOI
10.25365/thesis.63952
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-22803.28901.731370-2
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Arbeit widmet sich in drei Teilen den bislang unaufgearbeiteten Entpolitisierungs- und Politisierungsprozessen im österreichischen Protestantismus in den Jahren 1933/34 bis 1968 sowie den damit verbundenen kirchenpolitischen Umbrüchen. Für die kirchenpolitischen Entwicklungen des österreichischen Nachkriegsprotestantismus sind die kurze Ära des betont katholischen Ständestaates (1933/34–1938) wie auch die Zeit des Nationalsozialismus (1938–1945) von geradezu zentraler Bedeutung: Zum einen setzten wesentliche kirchenpolitische Umbruchsprozesse bereits während der NS-Zeit ein. Zum anderen waren die generationell divergierenden theologischen wie narrativen Verarbeitungsformen dieser beiden prägenden Zeitspannen nach 1945 konstitutiv für die Neudefinierung kirchenpolitischer Handlungsziele und Verantwortlichkeiten.
Teil I legt seinen Fokus zunächst auf die nationalsozialistischen Affinitäten des österreichischen Protestantismus und ihre Herausbildung. Eine besonderes Interesse kommt dabei den allgemeinen soziologischen, frömmigkeits- und milieuspezifischen sowie theologischen Motiven und Faktoren zu, die zeigen, dass es trotz bereits vorhandener nationalprotestantischer Einstellungsdispositionen besonders ab der Zeit des katholischen Ständestaates zu einer ausgeprägten Herausbildung vielschichtiger nationalsozialistischer Affinitäten im Protestantismus und zu einer starken Politisierung desselben kommen konnte. Aufgrund einschlägiger Selbstpräsentationen beim ›Anschluss‹ 1938 verfestigte sich in der ›österreichischen‹ Öffentlichkeit das ständestaatliche Bild von der evangelischen ›Nazikirche‹. Unterschiedliche Faktoren und Motive führten sodann aber ab 1939/40 zum Einsetzen einer kirchenpolitischen Wende, die insbesondere durch die Kirchenleitung über eine strukturelle ›Verkirchlichung‹ und Zentralisierung wie auch über die paradigmatische Entpolitisierung der evangelischen Kirche bis Kriegsende vollzogen werden konnte. Vor dem Hintergrund einer funktional interpretierten Zwei-Reiche-Lehre kam es zu einem zunehmenden Rückzug aus der ›Welt‹.
Teil II nimmt schwerpunktmäßig das neue Kirchenbewusstsein sowie das neue Österreichbewusstsein österreichischer Protestantinnen und Protestanten in den Blick. Beide wurden maßgeblich vom lutherischen Bischof Gerhard May (1944–1968) forciert und auch theologisch reflektiert. Autoritativ angeleitet knüpfte die evangelische Kirche an die Erfahrungen der NS-Zeit an: Die Kirchenleitung setzte der anhaltenden ›Säkularisierungsangst‹ einen missionarischen und diakonischen Öffentlichkeitswillen entgegen, den sie einerseits mit einem betont überparteilichen kirchlichen Wächteramt verband und andererseits an einen religiösen Traditionalismus und Wertekonservativismus knüpfte. Antisemitische und nationalprotestantische Kontinuitätslinien verliefen weitgehend subkutan. Durch Entnazifizierung und Flüchtlingshilfe vermochte sich die evangelische ›Nazikirche‹ als einheitlich ›rehabilitationswillig‹ zu präsentieren; über ein spezifisch österreichisch-protestantisches Opfernarrativ passte sie sich außerdem in die österreichische Opferthese ein. Ein sich allmählich besserndes Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche wie auch zu den österreichischen Parteien belegt dieses wachsende Österreichbewusstsein einer vormals in Teilen deutschnationalen Kirche. Trotz ihres einheitlichen Erscheinungsbildes lassen sich bereits in den 1950er-Jahren erste v. a. intergenerationelle wie auch geschlechterbezogene Bruchlinien identifizieren. Unterschiedliche Verstehensweisen von dem, was evangelische Kirche bzw. was evangelische Kirche in Österreich bedeute, führten vor dem Hintergrund einer dynamisierten Zwei-Reiche-Lehre zur Formulierung alternativer politisch-theologischer Konzepte und kirchenpolitischer Programme. Wilhelm Dantine, ab 1963 Professor für Systematische Theologie A. B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien, wurde zum Vordenker einer ganzen Theologinnen- und Theologengeneration. Insbesondere rund um seinen Einsatz für die strafgesetzliche Zulassung der Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch kam es Ende der 1960er-Jahre zu einem neuerlichen Politisierungsschub wie auch zu einer massiven Polarisierung im österreichischen Protestantismus.
Teil III befasst sich schlussendlich fokussiert mit dem innerkirchlichen Generationenkonflikt rund um das Jahr 1968. Nachdem die politisch-theologischen Konzepte und kirchenpolitischen Programme der beiden kirchenpolitischen Generationen bereits im vorangegangenen Teil in ihren jeweiligen Kontexten beleuchtet wurden, wird der Generationenkonflikt nunmehr abschließend in seiner soziologischen Tiefendimension analysiert; dabei wird auch seine Bedeutung sowie seine katalysatorische Wirkung für die kirchenpolitischen Entwicklungsprozesse im österreichischen Protestantismus seit 1968 herausgestellt: Das Analyseergebnis, demzufolge im Generationenkonflikt zwei divergierende narrative Vergangenheitsbewältigungsformen gegenübergestellt wurden, auf deren Basis wiederum kirchenpolitische Handlungsziele und politische Verantwortlichkeiten definiert wurden, ist für ein vertieftes Verständnis der österreichischen evangelisch-kirchlichen Zeitgeschichte geradezu zentral.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Kirchenpolitik politische Kirche Nationalsozialismus Entnazifizierung Wilhelm Dantine Gerhard May Wächteramt 68er Vergangenheitsbewältigung Evangelische Kirche in Österreich im 20. Jahrhundert
Autor*innen
Leonhard Jungwirth
Haupttitel (Deutsch)
Politische Vergangenheiten
Hauptuntertitel (Deutsch)
Entpolitisierungs- und Politisierungsprozesse im österreichischen Protestantismus 1933/34 bis 1968
Publikationsjahr
2020
Umfangsangabe
787 Seiten : Illustrationen
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Oliver Rathkolb ,
Claudia Lepp
Klassifikationen
11 Theologie > 11.55 Protestantismus ,
15 Geschichte > 15.06 Politische Geschichte
AC Nummer
AC16122673
Utheses ID
56734
Studienkennzahl
UA | 782 | 041 | |