Detailansicht

Die Auseinandersetzung zwischen Deleuze und Spinoza und ihre Auswirkungen auf "Tausend Plateaus"
Mathias Schönher
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Human- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Richard Heinrich
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.67833
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-27417.24032.304452-7
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die Probleme von Deleuze, ihre vielfache Überschneidung und kontinuierliche Variation, sind nirgends so komplex versammelt wie in "Tausend Plateaus". Dieses Buch bietet deshalb einen solchen Reichtum an Begriffen, dass die Singularität jedes einzelnen fast verblasst. Darum betrachte ich einige Begriffe genauer und das Umfeld, in dem sie ihre Produktivität entfalten; vorwiegend jene Begriffe, die den Spinozismus dieses Buches begründen, und diejenigen, die Deleuze derart mit Spinoza verknüpft, dass dieser in ein Anders-Werden hineingerissen wird: So zieht Deleuze die Unterscheidung zwischen einer qualitativen und einer quantitativen Mannigfaltigkeit von Bergson für seine Spinoza-Lektüre heran und eröffnet dadurch einen Zugang, der sich völlig von dem dialektischen Zugang Hegels abgrenzt. Dieselbe Unterscheidung verwenden Deleuze und Guattari für ihre Theorie der Gefüge in "Tausend Plateaus", woraus der Begriff des Rhizoms hervorgeht. Sie beziehen sich hingegen direkt auf Spinozas Attribute, wenn sie die Begriffe "organloser Körper", "Konsistenzebene" und "Materiestrom" entwickeln. Auf der Konsistenzebene werden Körper durch Geschwindigkeiten und Affekte definiert, so dass der Begriff "Körper" so heterogene Elemente umfasst wie Spinozas Modus. Dafür werden Körper aber gemäß der Art ihrer Individuation unterschieden. Deleuze und Guattari entdecken eine Individuationsweise, die den Dingen und Personen vorausgeht und an die sie sich anlehnen, wenn sie in "Was ist Philosophie?" ihre Konzeption der Kunst darlegen, die auf der spinozistischen Differenz zwischen Affekt und Affektion beruht. Diese Differenz ermöglicht es, die Kunst aus der Domäne der Repräsentation zu befreien, gegen die sich Deleuze und Guattari in jedem Bereich wenden. Sie konstruieren zum Beispiel ein rhizomatisches Bild des Denkens und definieren die Schizoanalyse als jene Herangehensweise an die Dinge, die besonders ihre Fähigkeit zur Metamorphose untersucht. Und sie bezeichnen Spinozas "Ethik" als "Ethologie", weil Spinozas Affekte in Gefügen zirkulieren und dort ein Werden bewirken, das nichts mit Imitation zu tun hat, sondern mit realen Veränderungen von Kräften. Deleuze sagt über "Tausend Plateaus", es sei sein bestes Buch, und er sagt über "Tausend Plateaus" das Gleiche wie über Spinozas "Ethik": "Es ist ein Begriffs-Buch." Dass diese Aussagen zusammenhängen, ergibt sich aus der Funktion der Philosophie, die "Tausend Plateaus" besser erfüllt als jedes andere seiner Bücher: "Die Philosophie hat eine Funktion, die vollkommen aktuell bleibt: Begriffe schaffen, Begriffsschöpfung. [...] Einzige Bedingung ist, daß diese Begriffe eine Notwendigkeit haben, aber auch eine Fremdheit, und sie haben beide in dem Maße, wie sie eine Antwort auf wirkliche Probleme darstellen. [...] Eine Philosophie – Félix Guattari und ich haben versucht, so etwas zu machen, im 'Anti-Ödipus' und in 'Tausend Plateaus', vor allem in 'Tausend Plateaus', die ein dickes Buch ergeben und viele Begriffe vorschlagen. [...] Eine Philosophie bedeutete daher für mich so etwas wie eine zweite Periode, die ohne Félix nie angefangen oder zu etwas geführt hätte." "Tausend Plateaus" ist somit ein philosophisches Buch. Selbst wenn es als solches oft nicht anerkannt wird, versuche ich diesem Anspruch gerecht zu werden und stelle es in Bezug zur philosophischen Tradition, aus der Deleuze, gerade mit Spinoza, auch die affirmativen Elemente zu ihrer eigenen Kritik bezieht. Badious Buch zeichnet ein eigenwilliges Bild von Deleuze, weil er den wichtigen Stellenwert von "Tausend Plateaus" missachtet und fast nur Bücher heranzieht, die sich als philosophische Bücher im akademischen Diskurs sicher positioniert haben, wie "Differenz und Wiederholung" und "Logik des Sinns". Und nur deshalb beharrt er auf der Überordnung des Einen über das Viele, was sich im Hinblick auf "Tausend Plateaus" nicht aufrechterhalten lässt. Deleuze sagt selbst, dass man "das ganze Werk nehmen [muss], ihm folgen und es nicht beurteilen, die Verzweigungen, das Auf-der-Stelle-Treten, das Vorwärtskommen, die Durchbrüche erfassen, es akzeptieren, es ganz und gar annehmen. Sonst versteht man nichts." Vieles, das ich über "Tausend Plateaus", den zweiten Teil von "Kapitalismus und Schizophrenie", schreibe, gilt auch für den ersten Teil, für "Anti-Ödipus". Und innerhalb der Spinoza-Auseinandersetzung von Deleuze spielt "Anti-Ödipus" eine genauso wichtige Rolle: "Der Anti-Ödipus war die Eindeutigkeit des Realen, eine Art Spinozismus des Unbewußten." Aber diese beiden Bücher zu bearbeiten wäre zuviel gewesen, da ich schon bei "Tausend Plateaus" einige Problemstellungen weggelassen habe, die unter mein Thema fallen, notgedrungen diejenigen, welche auf die Berücksichtigung von "Anti-Ödipus" am wenigsten verzichten können. Das betrifft besonders den Begriff des Begehrens, der ganz von Spinoza übernommen ist und Deleuze und Guattari zu den heftigsten Kritikern der Psychoanalyse überhaupt macht. Diese beiden Bücher sind allerdings zu unterschiedlich, als dass nicht entschuldigt werden könnte, nur eines zu behandeln; sie liegen im Ton, im Inhalt und in der Komposition weit auseinander. Es liegt schon im Ansatz meiner Arbeit begründet, dass sie nicht mit einem Resümee oder einer Konklusion endet. Nicht, weil sie sich fortsetzen ließe, sondern weil alles, über das ich schreibe, nicht erst bewiesen werden muss. Und zudem, wenn ich es anstrebe, die Probleme in ihrer Komplexität und die Begriffe mit ihren Verknüpfungen zu erfassen, würde ich nicht dem allem entgegenarbeiten, versuchte ich am Schluss, alles auf den Punkt zu bringen? So stelle ich die Frage, die auch mich beschäftigt, schon als Nachwort voran: "Werden wir jemals reif genug sein für einen spinozistischen Gedanken?"

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Gilles Deleuze Félix Guattari Spinoza "A Thousand Plateaus" "Ethics" Assemblage Mode Affect Becoming
Schlagwörter
(Deutsch)
Gilles Deleuze Félix Guattari Spinoza "Tausend Plateaus" "Ethik" Gefüge Modus Affekt Werden
Autor*innen
Mathias Schönher
Haupttitel (Deutsch)
Die Auseinandersetzung zwischen Deleuze und Spinoza und ihre Auswirkungen auf "Tausend Plateaus"
Paralleltitel (Englisch)
Deleuze's engagement with Spinoza and its impacts on "A Thousand Plateaus"
Publikationsjahr
2005
Umfangsangabe
105 Blätter
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Richard Heinrich
Klassifikationen
08 Philosophie > 08.25 Zeitgenössische westliche Philosophie ,
08 Philosophie > 08.31 Metaphysik, Ontologie ,
08 Philosophie > 08.38 Ethik
AC Nummer
AC04458310
Utheses ID
60122
Studienkennzahl
UA | 296 | 315 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1