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Misanthropie im österreichischen Vormärz
zur Pathogenese eines literarischen Motivs
Eva Susanne Lirsch
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Johann Sonnleitner
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.6930
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29338.03215.364166-6
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
In dieser Arbeit wurde anhand ausgewählter literarischer Werke der Frage nachgegangen, wie sich die vormärzlichen Bedingungen des restaurativen Österreich auf das Schreiben der Beamtendichter auswirken. Die österreichischen Beamtendichter krankten an dem als drückend empfundenen inneren Konflikt zwischen selbstbestimmter produktiver schriftstellerischer Tätigkeit und der rein reproduzierenden Tätigkeit im Amt, ihre misanthropische Unzufriedenheit fand ihren literarischen Niederschlag in den untersuchten Werken. Genauso wie ihre Autoren leiden die Protagonisten ihrer Stücke und Erzählungen an Misanthropie. In den literarischen Systemen spiegelt sich das politische System der franziszäischen Ära wieder: a. auf Figurenebene: Die Autoren lassen Autoritätsfiguren als Repräsentanten des Systems auftreten, die die bestehende Ordnung verkörpern und den Protagonisten gegenüber die gesellschaftlichen Konventionen durchsetzen: die Eltern Mathildes im Nachsommer, Herr Blase im Lustspiel Großjährig, der Vater Jakobs im Armen Spielmann, der als einflussreicher Beamte die repressiven Machtstrukturen in selbstherrlicher Machtfülle auf die Familie überträgt. Um die misanthropische Unzufriedenheit der Protagonisten darzustellen, werden Elemente der eigenen Autorenbiographie auf die Biographie der Handlungsträger übertragen. Handelt es sich in Grillparzers Fall vor allem um Szenen repressiver Erziehung, die in die Erzählung übernommen werden, werden bei Stifter Eckpunkte des eigenen Lebenslaufs (die Arbeit als Hauslehrer, der aus ökonomischen Gründen erfolgte Eintritt ins Amt, die Unlust in der Amtsführung, der frühe Ruhestand) in der Figur Risachs nachvollzogen. Ebenso wie bei Stifter manifestiert sich schließlich bei Bauernfeld die genaue Kenntnis behördlichen Wirkens der Restaurationszeit. Er gibt in seinem Lustspiel Großjährig in der Person Hermanns Einblick in die eigene Tätigkeit als „Aktenwurm“ und arbeitet in subtiler Überzeichnung die Besonderheit zeitgenössischen Amtsverständnisses heraus. b. auf inhaltlicher Ebene: Die Beamtendichter lassen ihre Protagonisten in der Literatur Kompensationsstrategien entwickeln. Stifter versucht in Ausgliederung aller ihm destruktiv erscheinenden sozial-politischen Aspekte eine nachsommerliche Idylle zu konstruieren, die sich dann freilich bei näherer Betrachtung als gar nicht so ideal erweist. Jakob im Armen Spielmann flüchtet sich vor seinem bestimmenden Vater in die Musik. Er ist ein aufgrund seiner Autoritätsbiographie politisch und sozial Unmündiger, der sein Bedürfnis nach Selbstbestimmung verdrängt und so zum typischen Vertreter vormärzlicher Untertanenmentalität wird, wie sie auch Eduard von Bauernfeld in seiner Darstellung des Beamten Hermann schildert. Franz Grillparzer bedient sich einer gezielten Verschleierungsstrategie durch Verlegung der Erzählung ins Private: Der innere Konflikt des Armen Spielmanns erscheint, eingebettet in die Künstlerproblematik, vordergründig als tragisches Einzelschicksal. Doch in der kleinen Welt der Familie spiegelt sich die große der Restaurationszeit: Die Repressalien des „Systems Metternich“ finden ihre Widerspiegelung im restriktiven Kontrollsystem des Vaters. c. auf struktureller Ebene: Grillparzer bedient sich der Metapher, um im Sprachbild auf den größeren, sozialpolitischen Zusammenhang im Werk hinzuweisen. Im Armen Spielmann sind es die Revolutionsmetaphern, die auf die konkrete politische Situation der Julirevolution und den Beginn der Französischen Revolution Bezug nehmen, außerdem dienen Antikenmetaphern in seinem Text der Encodierung aufklärerischen Programms. Im Nachsommer hingegen entspricht der Versuch der Installation einer idealen Gegenwelt der Ästhetisierung auf der Textstrukturebene. Das Streben nach einer objektivierten, absoluten Ordnung zeigt sich hier in der Bevorzugung von Parataxen, die Sachverhalte ohne Über- oder Unterordnung nebeneinander stellen, in der Abkehr von Metaphern als einer vom Lesersubjekt abhängigen Form sinnstiftender Strukturelemente, der Verwendung spezifischer, „analytischer“ Adjektive sowie der Reduzierung der Subjektive und Verben auf die einfachstmögliche Form, frei von subjektiven „Schnörkeln“. Schreiben ist der Versuch literarischer Wirklichkeitsbewältigung. Dies trifft auch auf die hier untersuchten Werke österreichischer Beamtendichter zu. Die Tatsache, dass sämtliche Autoren der hier untersuchten Werke ihre Protagonisten an ihrer literarischen Wirklichkeit scheitern lassen, ist das traurige Eingeständnis, dass jeder Versuch autonomer Selbstbestimmung unter den beschränkenden Bedingungen des vormärzlichen Systems letztlich zum Scheitern verurteilt war.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Österreichischer Vormärz Beamtendichter Misanthropie
Autor*innen
Eva Susanne Lirsch
Haupttitel (Deutsch)
Misanthropie im österreichischen Vormärz
Hauptuntertitel (Deutsch)
zur Pathogenese eines literarischen Motivs
Publikationsjahr
2009
Umfangsangabe
110 S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Johann Sonnleitner
Klassifikationen
10 Geisteswissenschaften allgemein > 10.99 Geisteswissenschaften allgemein: Sonstiges ,
15 Geschichte > 15.60 Schweiz, Österreich-Ungarn, Österreich ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.99 Literaturwissenschaft: Sonstiges ,
18 Einzelne Sprachen und Literaturen > 18.10 Deutsche Literatur
AC Nummer
AC07874137
Utheses ID
6260
Studienkennzahl
UA | 332 | | |
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