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Jenseits von Orient und Okzident: Selbstübersetzungen in der modernen arabischen Literatur
Wolfgang Trimmel
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie (Dissertationsgebiet: Orientalistik) Fachbereich: Arabistik)
Betreuer*in
Stephan Procházka
DOI
10.25365/thesis.72909
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-28225.13006.416765-2
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
In der vorliegenden Dissertation beschreibe ich Selbstübersetzung in der modernen arabischen Literatur als kulturelle Praxis, die sich in ihren spezifischen historischen und sozioökonomischen Kontexten verortet. Mein Zugang zeichnet sich durch eine philologisch-kulturwissenschaftliche Ausrichtung aus, die sich aus verschiedenen theoretischen Perspektiven speist. Grundsätzlich liegt mein Fokus auf individuellen zeitgenössischen arabischen Selbstübersetzer*innen, die ich in Anlehnung an Pierre Bourdieus Ansatz des literarischen Feldes als Akteure innerhalb von asymmetrischen lokalen und globalen kulturellen Feldern beschreibe. Für die Analyse der Dynamiken zwischen den hauptsächlich untersuchten Sprachkombinationen Arabisch-Englisch und Arabisch-Französisch spielen die von Abram de Swaan, Johan Heilbron und anderen geprägten Konzepte des Sprachenweltsystems und Weltsystem des Übersetzens eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus haben mich die Arbeiten von Anthony Pym dazu inspiriert, sowohl Selbstübersetzer*innen als Personen, als auch deren Werke zu berücksichtigen. Innerhalb der Forschungen zu literarischen Selbstübersetzungen stützt sich meine Arbeit vor allem auf die von Rainier Grutman sowie Eva Gentes entworfenen Terminologien und Fragestellungen. Des Weiteren fließen auch postkoloniale Diskurse rund um kulturelle und literarische Übersetzungen ein. Konkrete translatorische Akte und Entscheidungen konzeptualisiere ich in dieser Dissertation in Anlehnung an Umberto Eco als Aushandlungsprozess. Schließlich bediene ich mich bei der Diskussion ausgewählter Close Readings und Textvergleiche des von Lawrence Venuti geprägten Begriffspaares des ausgangs- und zielsprachlichen Übersetzens. Methodisch beruht meine Arbeit zunächst auf einer Analyse der bisherigen Forschungen zu Selbstübersetzungen in der modernen arabischen Literatur sowie zur literarischen Selbstübersetzung allgemein, die ich vor dem Hintergrund der oben angeführten theoretischen Zugänge in historischer und sozioökonomischer Perspektive ausarbeite und mit zahlreichen kontextuellen Faktoren in Verbindung setze. Auf Basis von Sekundärliteratur und publizierten Selbstzeugnissen analysiere ich auch eine Stichprobe von zwölf zeitgenössischen arabischen Selbstübersetzer*innen und diskutiere ihre Motive, Reflexionen und Arbeitsweisen. Den Hauptteil der Arbeit bildet die detaillierte Analyse zweier Selbstübersetzungen aus dem Arabischen ins Englische, die beide Konflikte zwischen der arabischen Welt und dem Westen behandeln. Es handelt sich dabei um Leila Abouzeids Autobiographie(n) Ruǧūʿ ilā ṭ-ṭufūla sowie Return to Childhood und Sinan Antoons Roman(e) Waḥdahā šaǧarat ar-rummān sowie The Corpse Washer. Für meine Untersuchung habe ich die vier Texte digitalisiert, mehrmals gegengelesen, Unterschiede markiert und im Anschluss ausgewählte Passagen und Themen in der Arbeit besprochen. Zusätzlich habe ich Sinan Antoon und Leila Abouzeid persönlich getroffen und leitfadengestützte Interviews durchgeführt, die auf die Ergründung ihrer Motive, Reflexionen und Wahrnehmungen rund um die Erfahrung der Selbstübersetzung abzielen. Die Dissertation bietet einen bis dato nicht vorhandenen Überblick zum Thema und zeigt, dass Selbstübersetzungen in der modernen arabischen Literatur durch historische und sozioökonomische Faktoren begünstigt werden. Darüber hinaus motivieren die Position des Schriftarabischen im Sprachenweltsystem sowie innerhalb der arabischen Welt arabischsprachige Autor*innen dazu, Selbstübersetzungen in andere Sprachen vorzunehmen. Nicht zuletzt nutzen arabische Autor*innen Selbstübersetzungen, um staatliche, gesellschaftliche und religiöse Formen von Zensur zu umgehen. Meine Analyse der Texte von Abouzeid und Antoon unterstreicht zunächst, dass Selbstübersetzung aus dem Arabischen ins Englische gleichzeitig einen an der Zielkultur orientierten Aushandlungs- und Überarbeitungsprozess auf mehreren Ebenen bedeuten kann. Im Fall von Abouzeids Autobiographie(n) betrifft dies nicht nur die narratologische Struktur des Textes, sondern auch die Ergänzung zahlreicher kontextueller Informationen im Englischen und schließlich die Neuverhandlung oder Anpassung zentraler politisch-ideologischer Positionierungen. Bei Antoons englischem Roman spielt die Neuverhandlung ideologischer Perspektiven im Vergleich zu Abouzeid eine geringere Rolle; auch wenn sich z.B. Repräsentationen von Sexualitäten im Hinblick auf die imaginierten Erwartungshaltungen der Zielkultur anders gestalten und ebenfalls fallweise kontextuelle Informationen ergänzt werden. Dafür nimmt Antoon im Englischen eine deutliche Straffung des Romantextes vor, indem er rund 10% des arabischen Textes unübersetzt lässt. Diese Untersuchungen machen einerseits die Autorität und den Handlungsspielraum von Selbstübersetzer*innen sichtbar, verdeutlichen aber gleichzeitig die sozioökonomischen und diskursiven Einschränkungen, denen sie bei Übersetzungen aus dem Arabischen ins Englische unterliegen. Abschließend nehmen Selbstübersetzer*innen wie Abouzeid und Antoon durch ihre Arbeit mit zumindest zwei Sprachen und literarischen Traditionen eine besondere Mittlerrolle zwischen kulturellen Sphären ein, die oft als klar definiert und streng abgegrenzt imaginiert werden.
Abstract
(Englisch)
In this thesis, I describe self-translation in Modern Arabic literature as a cultural practice located in specific historic and socio-economic contexts. My approach to the study of literary self-translation is influenced by Arabic philology and Cultural Studies and is informed by diverse theoretical perspectives. Generally, the thesis focuses on a selected number of contemporary Arabic self-translators and their translations. Based on Pierre Bourdieu’s theory of the literary field, I understand these authors-cum-translators as actors within asymmetric local and global cultural fields. In order to analyse the complex dynamics between the most important language pairs Arabic/English and Arabic/French, I use concepts such as the global language system and the world-system of translation, as defined by Abram de Swaan, Johan Heilbron and others. In addition, following the work of Anthony Pym, I take both the person of the self-translator and their texts into account. Within the field of self-translation studies, the terms and research questions formulated by Rainier Grutman and Eva Gentes have been central to my study. Postcolonial discourses related to cultural and literary translation have also contributed to my overall theoretical approach. To describe specific translation decisions and solutions, I follow Umberto Eco, who characterizes translation as a process of negotiation. Finally, I employ Lawrence Venuti’s binary model of foreignizing and domesticating forms of translation to carry out close readings and compare source and target texts. In methodological terms, this study begins by conducting an analysis and summary of the existing research on self-translation in Modern Arabic literature and literary self-translation in general, which is informed by the theoretical approaches mentioned above and covers historical and socio-economic perspectives as well as other contexts relevant to the topic. Based on secondary literature and published testimonials of Arabic self-translators, I have completed case studies of twelve contemporary Arabic self-translators and discussed their motives, self-reflections, and translation methods. The main part of the thesis is dedicated to a detailed analysis of two self-translations from Arabic to English which both deal with conflicts between the Arab World and the West; namely Leila Abouzeid’s autobiography(ies) Ruǧūʿ ilā ṭ-ṭufūla and Return to Childhood as well as Sinan Antoon’s novel(s) Waḥdahā šaǧarat ar-rummān and The Corpse Washer. To study these texts in detail, I have digitized them, compared the Arabic and English versions several times, highlighted differences, and selected a sample of passages and topics for discussion in the thesis. In addition, I met with Sinan Antoon and Leila Abouzeid in person and conducted semi-structured interviews, with the aim of finding out more about their motives, ideas and views concerning self-translation. My thesis offers the first survey of self-translation in Modern Arabic literature and shows that this phenomenon has been facilitated by a variety of historical and socio-economic factors. Furthermore, the status of Standard Arabic in the global language system and in the Arab world provides an incentive to authors to translate their own work into other languages. Arabic-language authors may also resort to self-translation to avoid or circumvent forms of government, social, or religious censorship. My analysis of the texts by Abouzeid and Antoon demonstrates that self-translation from Arabic to English can simultaneously constitute a process of editing and negotiation that is oriented towards the target language and target culture. In the case of Leila Abouzeid’s autobiography(ies), this process becomes evident because the author-cum-translator changes the narrative structure of the text, adds several pieces of contextual information to the English version, and renegotiates or modifies key political and ideological positions. The renegotiation of ideological perspectives features less prominently in Sinan Antoon’s English novel, even though representations of sexualities are handled differently to accommodate the imagined expectations of the target culture. Contextual information is also added to the English text in some instances. Conversely, Antoon chose not to translate about 10% of the Arabic text, thus creating a more concise narrative in English. My analysis highlights the authority and freedom that self-translators enjoy, while also revealing the socio-economic and discursive restrictions they are subject to when translating from Arabic to English. Finally, self-translators such as Abouzeid and Antoon work with and move between at least two languages and literary traditions. In doing so, they assume the role of intermediaries between cultural spheres that are frequently imagined to be clearly defined and strictly demarcated.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
literarische Selbstübersetzung Sinan Antoon Leila Abouzeid
Schlagwörter
(Englisch)
literary self-translation Sinan Antoon Leila Abouzeid
Autor*innen
Wolfgang Trimmel
Haupttitel (Deutsch)
Jenseits von Orient und Okzident: Selbstübersetzungen in der modernen arabischen Literatur
Paralleltitel (Englisch)
Beyond orient and occident: self-translations in modern Arabic literature
Publikationsjahr
2022
Umfangsangabe
242 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Stephan Guth ,
Sebastian Maisel
Klassifikationen
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.94 Literarische Einflüsse und Beziehungen. Rezeption ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.95 Literarische Übersetzung
AC Nummer
AC16736071
Utheses ID
64066
Studienkennzahl
UA | 792 | 397 | 385 |