Detailansicht

Vielkonstruiertes Österreich
die nationale Basiserzählung der austrofaschistischen Regierung zwischen 1933 und 1938 im Spiegel der St. Pöltner Zeitung
Lukas Kalteis
Art der Arbeit
Masterarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Masterstudium Geschichte
Betreuer*in
Oliver Rathkolb
Volltext herunterladen
Volltext in Browser öffnen
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.73384
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-19132.75716.930541-8
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Ausrufung der Republik Österreich stürzte das Land in eine tiefe Identitätskrise. Das Habsburger Herrscherhaus war nach der österreichischen Revolution als Identifikationspunkt weggebrochen und die Massenparteien forderten einhellig den „Anschluss“ des zum Kleinstaat geschrumpften Landes an die Weimarer Republik. Da diese Forderung von den Siegermächten abgelehnt wurde, musste Österreich in seiner neuen Form als eigener Staat nach dem Vertrag von St. Germain weiter bestehen. 1933 wurde die Identitätskrise zum großen realpolitischen Problem. In diesem Jahr wurde Adolf Hitler in Deutschland im Jänner zum Reichskanzler ernannt und Kanzler Engelbert Dollfuß schaltete in Österreich das Parlament aus und regierte fortan diktatorisch. Dadurch hatte die österreichische Regierung mit einem doppelten Legitimationsdefizit zu kämpfen, denn sie beharrte auf die Zugehörigkeit der Österreicher:innen zum Deutschtum, das allerdings von den Nationalsozialist:innen massiv vereinnahmt worden war und hatte zudem durch ihren austrofaschistischen Kurs keine demokratische Legitimierung mehr. Diesem Legitimationsvakuum setzte die austrofaschistische Regierung einen staatlich verordneten Österreich-Patriotismus entgegen. Diese Masterarbeit setzt sich vor diesem Hintergrund auf Basis der Theorie der nationalen Basiserzählung von Harald Welzer und Aleida Assmann mit der Frage auseinander, wie die christlichsoziale Partei, die personell auch die treibende Kraft in der Vaterländischen Front blieb, versuchte, in der Zeit des Austrofaschismus eine nationale Basiserzählung für einen neuen, betont österreichischen Patriotismus zu etablieren, der sich vom Deutschtum abhob. Zur Frage nach identitätsstiftenden Elementen wird das regionale Wochenblatt, die St. Pöltner Zeitung, die bis heute in Form der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN) fortbesteht, hermeneutisch analysiert, denn räumliche Nähe schafft nach gängigen Kommunikationstheorien auch verstärkte Identifikation. Der Betrachtungszeitraum wird hierzu allerdings nicht nur auf die Jahre zwischen 1933 und 1938 eingegrenzt, sondern beginnt schon mit Ende des Ersten Weltkrieges 1918. Damit können die nationalen Elemente besser in ihrer Entwicklung nachvollzogen werden und auch die autoritären Tendenzen vor der Beseitigung der Demokratie, die sich bereits in der Verfassungsnovelle von 1929 und dem Korneuburger Eid der niederösterreichischen Heimwehr 1930 widerspiegelten, in die Analyse miteinbezogen werden. Bisher wurden zum Thema der nationalen Basiserzählung bzw. der Österreich-Ideologie vor allem politische Schriften der christlichsozialen Partei und der Vaterländischen Front sowie Aufarbeitungen von damaligen Historiker:innen herangezogen. Da die St. Pöltner Zeitung vom Pressverein der Diözese St. Pölten herausgegeben wurde und unter der Protektion des Bischofs stand, konnten vor allem zur personellen Verstrickung der katholischen Kirche auf regionaler Ebene mit dem austrofaschistischen Regime neue Erkenntnisse gewonnen werden. Die Masterarbeit kommt zu dem Schluss, dass der Austrofaschismus im heutigen Mostviertel und dem Gebiet der Diözese St. Pölten von Beginn an nicht nur toleriert, sondern über den Pressverein und sein Medium mitaufgebaut und gestaltet wurde. Die Diözese St. Pölten war bis zum „Anschluss“ 1938 personell über den Pressverein mit der christlichsozialen Partei, der Vaterländischen Front, der Heimwehr und den Ostmärkischen Sturmscharen verbunden und versuchte über diese Organisationen sowie die mediale Berichterstattung in der St. Pöltner Zeitung vehement Einfluss auf die Politik und das gesellschaftliche Leben zu nehmen. Die von den Austrofaschist:innen konstruierte Basiserzählung beruhte vor allem auf kultureller Überlegenheit mit einem starken christlichen Sendungsbewusstsein mittels eines verklärten Rückgriffs auf Traditionen der Habsburgermonarchie, einer Abgrenzung gegenüber dem nationalsozialistisch regierten Deutschen Reich sowie auf einem katholischen Weltbild mit agrarromantischen Vorstellungen und einer Abgrenzung gegenüber marxistischen und nationalsozialistischen Ansichten. Zum Aufbau von Feindbildern in Opposition zum neukonstruierten „Wir“ wurden Jüdinnen und Juden als scheinbar homogene Gruppe als Projektionsfläche genutzt. Alte, auch in der St. Pöltner Zeitung über Jahrzehnte hinweg befeuerte antisemitische Narrative wurden herangezogen, um Schuldige für sozioökonomische Probleme zu finden. Es blieb im Austrofaschismus jedoch bei abstrakten Anschuldigungen und Agitationen. Für die neue nationale Basiserzählung konstruierte das Regime auch neue Helden und Heldinnen, indem historische Persönlichkeiten glorifiziert wurden und ihre Taten bzw. Errungenschaften als besonders bedeutend für den „Ständestaat“ herausgestrichen wurden. Die Zeit des Austrofaschismus zeigte angesichts der schwierigen sozialen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen eine regelrechte Flucht in eine nostalgisch verklärte Vergangenheit, in der Österreich eine für Europa bedeutende Rolle eingenommen hätte.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Austrofaschismus St. Pöltner Zeitung Österreich-Ideologie Nationale Basiserzählung Pressverein der Diözese St. Pölten
Autor*innen
Lukas Kalteis
Haupttitel (Deutsch)
Vielkonstruiertes Österreich
Hauptuntertitel (Deutsch)
die nationale Basiserzählung der austrofaschistischen Regierung zwischen 1933 und 1938 im Spiegel der St. Pöltner Zeitung
Publikationsjahr
2023
Umfangsangabe
110 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Oliver Rathkolb
Klassifikationen
05 Kommunikationswissenschaft > 05.32 Öffentliche Meinung ,
05 Kommunikationswissenschaft > 05.33 Pressewesen ,
15 Geschichte > 15.06 Politische Geschichte ,
15 Geschichte > 15.37 Europäische Geschichte 1914-1945 ,
15 Geschichte > 15.60 Schweiz. Österreich-Ungarn. Österreich
AC Nummer
AC16819107
Utheses ID
66310
Studienkennzahl
UA | 066 | 803 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1