Detailansicht
Praxisform Polizeinotruf
eine Studie zur Mobilisierung und Kontrolle von ziviler Wachsamkeit und polizeilicher Intervention
Philipp Knopp
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Doktoratsstudium Sozialwissenschaften (Dissertationsgebiet: Soziologie)
Betreuer*in
Michaela Pfadenhauer
DOI
10.25365/thesis.74768
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-19045.42331.650252-6
Link zu u:search
(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)
Abstracts
Abstract
(Deutsch)
Der Polizeinotruf wird in der soziologischen Forschung meist mikrosoziologisch untersucht. Dabei wird von zentralen Autor:innen die Dringlichkeit des Notfalls als Strukturierungsinstanz hervorgehoben. Quantitative Makroanalysen zeigen jedoch, dass die Polizei nur selten zur Intervention in solche evidenten Gefahrensituationen alarmiert wird. Im Anschluss an diese Irritation stellt die vorliegende Studie die Frage nach dem Bezugsproblem der Notrufbearbeitung durch eine multiperspektivische Untersuchung neu. Bisher liegen vor allem im deutschsprachigen Raum fast keine ethnografische Untersuchungen über die Praxis in den Leitzentralen vor, obwohl diese als Herz der Polizei gelten. Diese Studie untersucht die Notrufbearbeitung im Anschluss an die kulturanalytische Wissenschaftsforschung als tiefgreifend mediatisierte, epistemische Praxisform der Un/Sicherheitsproduktion. Mit dieser Perspektive können die heterogene Normativität und die Ambivalenzen der Notrufbearbeitung besser erfasst werden als durch bisherige Ansätze. Das komplexe Methodendesign der Studie kombiniert kritische Diskursanalyse des massenmedialen Interdiskurses (2010-2021) und Ethnografie in österreichischen Leitzentralen. Das Datenmaterial aus 12 semi-strukturierten Interviews und 50 teilnehmenden Beobachtungen wird mit der konstruktivistischen Grounded Theory Methode, einer Interfaceanalyse und situationsanalytisch ausgewertet. Die formspezifischen Bezugsprobleme der Notrufbearbeitung liegen in der Mobilisierung und Kontrolle von ziviler Wachsamkeit und polizeilichen Interventionen. Im gegenwärtigen Aktivierungsparadigma werden Menschen in Österreich zur Wachsamkeit aufgerufen und aktiviert. Der Notruf bildet dabei eine zentrale Schnittstelle in der Verkopplung der Vigilanz der Bürger:innen und den Bewegungen einer mobilen und flexiblen Polizei. Er wird im Untersuchungszeitraum zu einem wichtigen Element in der Bearbeitung diverser paradigmatischer Probleme. Zudem nehmen diskursive Forderungen nach effizienzorientierter Steuerung und Beschleunigung laut, die die Zeiten des Notrufs rekonfigurieren. Im Untersuchungszeitraum tritt als Antwort auf diese Kritiken das Projekt ELKOS auf, das ein österreichweites Einsatzleitsystem einführt. Eine Analyse der Medienkonfiguration zeigt wie in einem intermediären Organisationsraum Veränderungen von Praktiken und Medientechnik verbunden werden und so Stabilität und Wandel der Notrufbearbeitung ermöglicht werden. Die Ethnografie der Leitzentrale zeigt dann, wie aus von Anrufenden dargestellten Ereignissen Polizeieinsätze konfiguriert werden. Das Notrufgespräch stellt nicht nur einen Kontaktpunkt für zivile Wachsamkeit dar, sondern auch eine Kontrollstelle, die Anrufendendarstellungen formt, mit polizeilichen Kategoriensystemen verknüpft und exkludiert. Im Notrufprozess werden Einsätze mehrfach umgewertet. Im Notrufgespräch werden neben Ereignissen auch Personen und ihre Darstellungen kategorisiert. Die Arbeit entwirft daher das Konzept des epistemischen Profilings, um die Auswirkungen von Kategorisierungen auf Glaubwürdigkeitsbewertungen aufzuzeigen. Der Notrufprozess wird weiter durch die Praktiken der Verräumlichung und Enträumlichung verfolgt und auf zentrale mediale und körperlich-sensorische Infrastrukturen einer normativen Öffentlichkeit in den Leitzentralen und der Einsatzkoordination hingewiesen, die es wechselseitige Bewertungen und Sanktionen ermöglichen, aber auch durch Beobachtungsgrenzen gekennzeichnet sind. In der Einsatzdisposition werden verschiedene symbolische und moralische Ökonomien relevant, die die Interventionsmobilisierung kontrollieren und intensivieren. So vertauscht eine symbolische Ökonomie des Gabentauschs Risiko und Chance in der Einsatzbearbeitung und steht im scharfen Kontrast zum medientechnisch implementierten Managerialismus der Einsatzkoordination.
Abstract
(Englisch)
In sociological research, the police emergency service is usually examined in micro-sociological terms. Central authors emphasize the urgency of the emergency as a structuring instance of this form of practice. Quantitative macro-analyses, however, show that the police are rarely called to intervene in such situations of evident danger. Following this irritation, the present study asks for the issues and stakes of police emergency service in a multi-perspective investigation. To date, ethnographic studies of police control rooms are almost nonexistent in German-speaking countries, although they are often considered the heart of the police. This study follows the cultural studies of science-approach and examines emergency call processing as a profoundly mediatized, epistemic practice form of in/security to capture the heterogeneous normativity and ambivalences of emergency service. The study's complex methodological design combines a critical discourse analysis of mass media inter-discourse (2010-2021) and ethnography in Austrian control rooms. 12 semi-structured interviews and 50 participant observations are analysed using the constructivist ground-ed theory method, an interface analysis and situational analysis. The form-specific issues of emergency call processing lie in the mobilization and control of civilian vigilance and police intervention. In the current activation paradigm, people in Austria are called upon and activated to be vigilant. The emergency service forms a central interface in the coupling of the vigilance of citizens and the movements of a mobile and flexible police force. Thereby, emergency service becomes an important element in the processing of diverse paradigmatic problems. In addition, discursive demands for efficiency-oriented management and acceleration increase in volume, reconfiguring the times of the emergency call. During the period of study, the ELKOS project emerges as a response to these critiques, introducing a national emergency dispatch system. An analysis of media configuration shows how changes in practices and media technology are combined in an intermediary organizational space, enabling stability and change by linking evaluative feedbacks of practice and software adaptation. The ethnography of the control rooms then shows how police operations are configured from events presented by callers. The emergency call conversation represents not only a point of contact for civil vigilance, but also a locus of control that reconfigures caller representations, links them to police category systems, and excludes some. The emergency call process can be understood as a chain of reconfigurations and reevaluations, both of events and the form’s elements. In addition to events, people and their representations are categorized. The paper therefore outlines the concept of epistemic profiling to show the impact of categorizations on epistemic assessments. The emergency call process is further traced through the practices of spacing and despacing, pointing to key media and bodily-sensory infrastructures of normative publics in the control room and dispatching that allows for reciprocal evaluations and sanctions, but are also marked by observational boundaries. In dispatch, various symbolic and moral economies become relevant for controlling, and intensifying intervention mobilization. Thus, a symbolic economy of gift exchange intermingles risk and opportunity in deployment processing and stands in sharp contrast to the managerialism of managerial media technologies.
Schlagwörter
Schlagwörter
(Deutsch)
Polizei Notruf Praxistheorie epistemische Praxis Mediatisierung Ethnografie Diskursanalyse
Schlagwörter
(Englisch)
police emergency service practice theory epistemic practice mediatization ethnography discourse analysis
Autor*innen
Philipp Knopp
Haupttitel (Deutsch)
Praxisform Polizeinotruf
Hauptuntertitel (Deutsch)
eine Studie zur Mobilisierung und Kontrolle von ziviler Wachsamkeit und polizeilicher Intervention
Paralleltitel (Englisch)
Police emergency service as a form of practice
Paralleluntertitel (Englisch)
mobilization and control of civil vigilance and police interventions
Publikationsjahr
2023
Umfangsangabe
331 Seiten : Illustrationen
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Susanne Krasmann ,
Stefan Kaufmann
Klassifikationen
AC Nummer
AC16994970
Utheses ID
67414
Studienkennzahl
UA | 796 | 310 | 122 |